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# taz.de -- GEDÄCHTNISARBEIT: Alles muss sortiert werden
> Er hat die Beatles abgelichtet, den Mai 68 und die Anti-AKW-Kämpfe im
> Norden. Jetzt kümmert sich Günter Zint um den Nachlass von Domenica
> Niehoff - und um ihr Andenken.
Bild: So dürfte sie sich nicht jedem gezeigt haben: Domenica bei sich zu Hause.
St. Paulis Gedächtnis ist weit draußen zu finden, noch hinter dem
Speckgürtel. Da, wo die Grundstückpreise schon wieder günstiger werden,
weil der Weg in die Stadt zu weit ist, um zu pendeln. Vor der Tür steht ein
gelber Lotus Elise, 0 auf 100 in 3,5 Sekunden, daneben ein alter Volvo.
Zwei lebensgroße Pin-ups am Eingang zum einstigen Kuhstall.
Seit inzwischen 12 Jahren lebt Günter Zint, Fotograf und Chronist des ach
so sündigen Stadtteils, jetzt schon hier draußen. In letzter Zeit zieht es
ihn wieder häufiger in die Stadt: Zint ist alleiniger Erbe von Domenica
Niehoff, der vermutlich prominentesten Sexarbeiterin im Land, die Anfang
des Jahres verstarb. Er hat sich um ihre Beerdigung gekümmert, organisierte
ihren Trauermarsch und verwaltet ihren Nachlass. Damit nicht genug: Zint
scheint sich zum Ziel gesetzt zu haben, Niehoff noch ein letztes Mal
auferstehen zu lassen, sie vielleicht sogar, wenn man so will, zu
rehabilitieren: Auf sein Betreiben hin wird an diesem Sonntag ein
Gedenkstein zu Ehren Domenicas aufgestellt: im so genannten "Garten der
Frauen" auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Ohlsdorf. Die Schlammschlacht, die
sich der Boulevard im Vorfeld leistete, war nicht Teil des Plans.
Die Wände in Zints Arbeitsräumen sind voll von Zeichnungen, Plakaten und
Fotos. Auch auf Tischen und Regalen: überall Bilder, Bilder, Bilder.
Irgendwo dazwischen jene Aufnahmen, die Zint von den ganz Großen gemacht
hat, von Dutschke, Hendrix, von den Beatles. Auf über 1.400 Quadratmetern
lagern seine Bestände: der Fundus des St. Pauli Museums und der Fotoagentur
Panfoto. Das Archiv eines Lebens, eines Stadtteils - einer ganzen
Generation.
Zint hat die große Zeit des Star-Clubs dokumentiert, die Studentenproteste
in Berlin und Paris, die Anti-AKW-Bewegung und den Mauerfall. Mittlerweile
sagt Zint, der am vergangenen Wochenende 68 geworden ist, Sätze wie: "Die
Einschläge kommen näher." In näherer Zukunft will er sich vom St. Pauli
Museum trennen, das er einst praktisch im Alleingang aufgebaut hat. "Ich
stehe bereits in Verhandlungen mit der Stadt", sagt er und klingt dabei ein
wenig wehmütig. Auch seine Agentur Panfoto wird früher oder später eines
seiner fünf Kinder übernehmen. Auch wenn er sich so ganz noch nicht
zurückziehen möchte: "Domenica", sagt Zint, "ist mein letzter großer Akt".
Zusammen mit der Journalistin Margarete Groschupf arbeitet er derzeit an
einem Buch über das Leben Domenicas, geplant ist außerdem eine große
Ausstellung. Dazu hat Zint Domenicas Wohnung leer geräumt und nahezu
komplett in sein Archiv überführt. Mit zwei Mitarbeitern durchforstet er
nun ihre Habseligkeiten: dutzende Kartons, hunderte Briefe, tausende Fotos.
Alles muss sortiert und abgelegt werden.
Vieles fügt sich organisch in die vorhandenen Bestände ein. Wenn Zint durch
sein Reich führt, stößt er alle paar Meter auf die Frau mit dem
einprägsamen Gesicht. "Schau hier, da ist sie mit dem Jan Fedder in der
Ritze", sagt er und holt irgendwo ein Bild hervor, um es gleich wieder
verschwinden zu lassen. "Oder hier, das sind alles Originale, die Toni
Ungerer für sie gemalt hat."
An anderer Stelle beugt er sich runter, um ein bunt angemaltes Krippenspiel
aufzuziehen und dann dem Weihnachtsgebimmel zu lauschen. "Domenica hat
diesen Kitsch-Scheiß geliebt", sagt er dann. "Sie war eine große
Flohmarktgängerin." Außerdem sei sie "die größte Bedarfsanstalt
Deutschlands" gewesen, zitiert Zint gerne seine Frau: Die dort gesammelten
Schriftstücke belegen, wie wahr diese Einschätzung ist. Neben schier
unzähligen Briefen von Verehrern finden sich in ihrer Korrespondenz vor
allem Bittgesuche und Dankschreiben. Meistens geht es um Geld, manchmal
auch um Zuneigung. Auch skurrilere Anfragen wurden an die Kiezgröße
herangetragen. "Eine echte Schusswaffe mit Munition", will einer haben.
"Ich bin 42 Jahre alt", heißt es in einem anderen Brief, "und möchte nach
22 Jahren Büro den Beruf der Domina erlernen".
Auch Sexualberatung ist ein großes Thema. Wildfremde Leute wenden sich mit
den intimsten Themen an Niehoff und vertrauen auf ihre Expertise - und ihre
Diskretion. "Wenn nicht bei Dir, wo sonst könnte ich von einer Technik für
einen ,Kurzschwänzigen hören", endet ein langer verzweifelter Brief, "um
ihn die Wolllust zu bereiten, die er sich von so einer Blasnummer
verspricht?"
"Immer wenn ich Domenica gefragt habe, wie sie denn am liebsten von mir
fotografiert werden will", berichtet Zint, "hat sie geantwortet: als
Senatorin im Rathaus". Um sicher zu gehen, dass die Nachwelt ein richtiges
Bild von Domenica vermittelt bekommt, hat Zint eine Wachsfigur in Auftrag
geben lassen, die im Frühjahr ins Panoptikum am Spielbudenplatz einziehen
soll - in einem feinen Kleid und erhobenen Hauptes, Domenica als Dame der
Gesellschaft. "So kann sie zumindest nach ihrem Tod den gesellschaftlichen
Rang einnehmen, den sie sich immer gewünscht hat", sagt Zint und fügt
hinzu, "und verdient".
2 Jul 2009
## AUTOREN
Johann Tischewski
## TAGS
Fotografie
Fotografie
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Fotograf Günter Zint übers Alter: „Meine Fotos sind mein Grabstein“
Günter Zint ist Chronist von St. Pauli und hat auch als 80-Jähriger noch
viel vor. Ein Gespräch über Alten-WGs, Handy-Fotos und Lebensverdienste.
Die Fotos eines Überzeugungstäters: Nah dran am Mythos
Günter Zint fotografierte die Beatles und Hendrix, den Anti-AKW-Widerstand
und St. Pauli. Zum 75. Geburtstag zeigt eine Ausstellung in Hamburg seine
wichtigsten Bilder.
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