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# taz.de -- Ein Jahr Bürgerentscheid gegen Mediaspree: Auf zu neuen Ufern!
> Ein Jahr nach dem Bürgerentscheid gegen die Bebauung des Spreeufers
> vereinen sich die Betroffenen zum Bündnis "Megaspree" und rufen wieder
> zum Protest auf.
Bild: Ausruhen ist noch nicht: Ein Jahr nach dem Bürgerentscheid sehen sich Ku…
Es ist ein heißer Tag Anfang Juli. Der Sonderausschuss Spreeufer trifft
sich in der Strandbar Oststrand zur Sitzung. Die Ausschussmitglieder sitzen
unterm weißen Zeltdach, nippen am kühlen Mineralwasser und fächern sich mit
ihren Sitzungsunterlagen Luft zu. Sie diskutieren, wie sich verhindern
lässt, dass dort, wo sie gerade sitzen, in einigen Jahren der
East-Side-Tower steht. Ein Hochhaus, 67 Meter. Schön findet das niemand,
aber es gibt eine Baugenehmigung, und der Eigentümer scheint entschlossen,
diese zu nutzen. "Wir können nur noch auf die Finanzkrise hoffen", sagt
Antje Kapek (Grüne). Oder darauf, dass der Eigentümer mit sich reden lässt.
So machen sie das, seit sich der Ausschuss im Oktober das erste Mal
getroffen hat: VertreterInnen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), der
Bürgermeister, vier Vertreter der Bürgerinitiative "Mediaspree versenken".
Grundstück für Grundstück sind sie durchgegangen, auf der Suche nach
Spielräumen für die Entwicklung des Spreeufers. Die Sitzungen fanden auf
dem jeweiligen Gelände statt: in der bedrohten Bar25, im Yaam, der Maria am
Ostbahnhof.
Die BVV Friedrichshain-Kreuzberg hatte den Ausschuss als Antwort auf den
erfolgreichen Bürgerentscheid ins Leben gerufen. 87 Prozent, rund 30.000
Menschen, hatten am 13. Juli 2008 gegen Mediaspree gestimmt, eine Reihe von
Großprojekten entlang dem Spreeufer von Kreuzberg und Friedrichshain.
Ein Jahr später ist die Aufregung abgeebbt, die damals durch Bezirk, Senat
und Medien schwappte, Mediaspree für eine Weile zum großen Thema machte. In
der Initiative war es nach dem Bürgerentscheid umstritten, ob man sich auf
das Klein-Klein eines Ausschusses einlassen soll, ob man nicht an
Glaubwürdigkeit verliere, wenn man Entscheidungen fälle, die doch keine
Relevanz haben. Denn die Beschlüsse des Ausschusses sind nur Vorschläge an
die BVV, und selbst ein BVV-Beschluss hat als Forderung an das Bezirksamt
nur "ersuchenden" Charakter, rechtlich bindend ist er nicht.
Doch diejenigen, die den Ausschuss für eine Befriedungsstrategie des
Bezirks hielten, ein "Alibi-Gremium", haben den Ausschuss verlassen.
Vielleicht ist die Stimmung deshalb so entspannt, man kennt sich, scherzt
miteinander. "Am Anfang standen sich alle Beteiligten skeptisch gegenüber",
erzählt Carsten Joost, Sprecher von "Mediaspree versenken". Inzwischen, da
sind sich alle Beteiligten einig, sei die Arbeit angenehm, konstruktiv.
Die Ergebnisse nach einem Jahr sind dennoch dürftig, Stückwerk wie die
Verhandlungen. Hier einige Meter Abstand mehr zwischen geplantem Bau und
Spreeufer, dort ein paar zusätzliche Monate für die Zwischennutzungen. Auf
dem Grundstück der Behala am Kreuzberger Spreeufer wird es einen
zusätzlichen Streifen Park geben. Der Yaam-Club bekommt einen Mietvertrag
und darf bleiben, bis der Investor, die spanische Immobilienfirma Urnova,
tatsächlich zu bauen beginnt. Der Bezirk behält das Planungsrecht für das
Grundstück, auf dem sich die Maria am Ostbahnhof befindet - im Frühjahr
hatte der Senat kurzerhand gedroht, dem Bezirk die Zuständigkeit zu
entziehen, sollte er nicht die alten Planungen beibehalten. Dort soll jetzt
zumindest die Hälfte der Fläche öffentlich bleiben, allerdings nicht am
Ufer, sondern in Hinterhöfen. Erfolge des Ausschusses, des öffentlichen
Drucks, der Finanzkrise?
"Niemand hat erwartet, dass wir den Bürgerentscheid zu 100 Prozent umsetzen
können", sagt Bürgermeister Schulz. Er zieht eine "durchwachsene" Bilanz.
Die Bedingungen seien nun einmal schwierig, der Bürgerentscheid habe Themen
berührt, für die der Bezirk eigentlich gar nicht zuständig ist. Die Drohung
von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), dem Bezirk die
Zuständigkeit zu entziehen, wenn Investorenrechte verletzt würden, schwebt
immer über den Verhandlungen. "Ohne diesen Eingriff wären die Verhandlungen
um Kompromisse leichter gewesen, flexibler, offener", sagt Schulz. "Dann
wären wir vielleicht auch zu anderen Lösungen gekommen."
Das Ausschussmitglied Kapek sagt dagegen: "Wir haben viel mehr geschafft,
als ich je gedacht hätte." Auch Joost zeigt sich zufrieden: "Die Strategie,
in den Ausschuss zu gehen, war richtig, unbedingt." Nur die Diskussion um
die Maria sei ein großer Reinfall gewesen. Abgesehen davon sieht Joost jede
Menge Erfolge, auch außerhalb des Ausschusses: "Der Verkauf der
landeseigenen Grundstücke ist gestoppt worden. Der Verein Mediaspree, der
durch Öffentlichkeitsarbeit Investoren ins Gebiet locken sollte, ist
versenkt. Das Planwerk Innenstadt wird überarbeitet." Schließlich habe der
Bürgerentscheid gegen Mediaspree wesentlich dazu beigetragen, die Debatte
über Gentrifizierung, über Stadtentwicklung mit anzustoßen. Aus der ganzen
Welt, erzählt Joost, kämen Anfragen, neulich sei eine japanische Zeitung da
gewesen, eine italienische, ein Filmteam habe eine Dokumentation gedreht.
"Mediaspree und der Widerstand dagegen sind international zu einem Symbol
für die Diskussion um Stadtentwicklung geworden."
Bei genauerem Betrachten sind die Erfolge, die Joost nennt, allerdings gar
keine: Den Verkaufsstopp der landeseigenen Grundstücke hat die BVV vom
Senat zwar gefordert, auf einen entsprechenden Brief des Bezirksamt hat
Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) jedoch nie reagiert - und der
damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat ausrichten lassen, er sehe
sich in keinster Weise veranlasst, das zu tun. Dass die öffentlichen Mittel
zur Unterstützung des Investorenvereins Mediaspree Ende 2008 auslaufen, war
schon beschlossen, als gerade die ersten Stimmen für den Bürgerentscheid
gesammelt wurden. Und bei der Überarbeitung des Planwerks Innenstadt, jenem
überholten Entwicklungsplan für Berlin, spielt das Spreeufer in
Friedrichshain und Kreuzberg nur eine untergeordnete Rolle.
"Augenwischerei", sagt Henrik Haffki, der im Januar aus den Ausschuss
ausgestiegen ist. Das abgekartete Spiel zwischen Bezirk und Senat
funktioniere: "Man zeigt mit dem Finger auf den anderen und lehnt sich
entspannt zurück." Die Forderungen, die im Bürgerbegehren ausgedrückt
wurden, würden in den Verhandlungen ignoriert. "Die Initiative wird in den
Mühlen der Politikmaschine zerrieben und die Basis bröckelt weg."
Es gab in der Bürgerinitiative seit langem mehrere Fraktionen. Die haben
sich inzwischen nach Themengebieten aufgeteilt, erklärt Joost: Ein Teil der
Aktiven, vor allem die Mitglieder der AG SpreepiratInnen, beschäftigt sich
mit der Mietentwicklung, der Wohnsituation in den Bezirken. Die Gruppe um
Joost befasst sich mit Kultur, mit Zwischennutzungen - mit Megaspree.
Megaspree, das ist das neue, große Bündnis, das am Spreeufer entsteht. Ein
Bündnis von Kunst- und Kulturschaffenden, von alteingessenen Kneipen und
Zwischennutzern, die bedroht sind von der Umgestaltung des Spreeufers, von
der Aufwertung der Innenstadt - oder fürchten, es bald zu sein. Nicht nur
am Spreeufer, sondern auch in Mitte, in Prenzlauer Berg. Dreimal
wöchentlich gibt es Treffen, zumindest jetzt gerade, vor der großen
Demonstration am Samstag. "Berlin frisst ihre Kinder" ist das Motto. Kinder
der Stadt, so sehen sich die Projekte, die irgendwo entstehen, in den
Nischen, auf den Brachen. Kinder, die die Politik vernachlässigt, loswerden
will, obwohl sie doch für den Ruf der Stadt verantwortlich sind, den
"Mythos Berlin" erst geschaffen haben.
Das Motto passt aber auch zum Bündnis, denn das ist selbst noch ganz jung.
Vor zwei Monaten erst haben sich VertreterInnen der Initiative "Mediaspree
versenken" mit einigen der bedrohten Projekte getroffen, so entstand die
Idee. Ein Zusammenschluss, in dem sich die Kulturschaffenden in Berlin
austauschen und vernetzen können, der Lobbyarbeit macht für die Szene bei
den Bezirken, beim Senat. Jetzt ist "Mediaspree versenken" nur noch ein
Mitglied unter vielen.
Denn Megaspree wächst, und zwar rasant. Über 70 Clubs, Bars oder Projekte
gehören zu den Unterstützern, das SO36 ist dabei, die Bar25, GoldenGate,
Maria, Yaam, der Oststrand, Schokoladen in Mitte, die Bürgerinitiative
Kastanienallee und die gegen die A 100, der Wagenplatz Schwarzer Kanal. Und
das Radialsystem. Und Spindler & Klatt. Letzteres hat für Ärger gesorgt.
Ein Kulturzentrum, in dem auch Parteien ihre Veranstaltungen abhalten und
das von Dussmann gesponsert wird, ein Club, der für viel Geld "exklusive
Abende" anbietet - ist das nicht genau die Art von Nutzungen des
Spreeufers, die man verhindern möchte? Wer ist von der Gentrifizierung
bedroht - und wer profitiert von ihr?
Das Wohnprojekt Köpi ist jedenfalls aus dem Bündnis wieder ausgestiegen.
Aber es habe "tolle Diskussionen" gegeben, sagt Christin Bolte, freie
Kulturschaffende und Sprecherin von Megaspree. Man wolle ein ganz breites
Bündnis, nicht nur eines für Alternativ- oder Subkultur. "Was heißt schon
alternativ?", fragt Bolte. "Kultur ist Kultur." Alle sollen am Spreeufer
Platz haben. Die Yuppies und die Punks.
BEZIRKSBÜRGERMEISTER (GRÜNE)
10 Jul 2009
## AUTOREN
Juliane Schumacher
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