# taz.de -- G-8-Trümmertreffen in L'Aquila: Auf der Suche nach neuer Autorität | |
> G 8, G 5, G 8 plus G 5, Major Economies Forum: Von einem klassischen | |
> Gipfel konnte in L'Aquila kaum noch die Rede sein. Eine Bilanz. | |
Bild: Worauf den Blick richten? Und wie nennt sich eigentlich die Gruppe dieser… | |
Erst merkten es die Leute von der Feuerwehr an dem markanten Fensterbogen | |
in der via Calzolai, der Schuhmachergasse. Der einzelne Ziegel, der sich | |
aus dem Halbrund gelöst hatte, war während ihrer Abwesenheit viel weiter | |
hinabgerutscht. Dann nahmen die Kräfte aus Rom, die nach zwei Wochen Pause | |
an den Einsatzort zurückkehrten, die übrigen Ruinen in Augenschein. Auch | |
dort hatten sich durch die Nachbeben Risse verbreitert, waren die | |
Schutthalden weiter abgerutscht. Seither dürfen Besucher das zerstörte Dorf | |
Onna, das nach dem großen Erdbeben vor drei Monaten zunächst noch frei | |
zugänglich war, nur noch in Ausnahmefällen betreten. | |
Eine solche Ausnahme machten die Behörden am Mittwoch für die deutsche | |
Kanzlerin. Bevor sich Angela Merkel ein paar Kilometer bergauf zum Treffen | |
der Staats- und Regierungschefs fahren ließ, besuchte sie das kleine Dorf | |
wenige Kilometer talabwärts von LAquila. Nirgends starben bei dem Beben, | |
gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Menschen wie hier. 41 von 302 | |
Dorfbewohnern konnten die Rettungskräfte nur noch tot unter den Trümmern | |
hervorziehen. Nun leisten die Deutschen Aufbauhilfe, errichtet das | |
Technische Hilfswerk Holzhäuser für den Winter. | |
Die Wahl der Deutschen fiel auch deshalb auf Onna, weil hier einst | |
Wehrmachtssoldaten 17 unbeteiligte Dorfbewohner massakrierten, als | |
Vergeltung für Anschläge italienischer Partisanen. Es soll eine Art | |
Wiedergutmachung sein. Aber auch andere Länder haben Patenschaften | |
übernommen, während des Gipfeltreffens setzte ein regelrechter | |
Ruinentourismus in die umliegenden Ortschaften ein. Barack Obama besuchte | |
die Altstadt von LAquila, wo die Amerikaner den Wiederaufbau des Doms | |
unterstützen. Die französische Präsidentengattin Carla Bruni wollte am | |
Freitag das zerstörte Zentrum in Augenschein nehmen. | |
Trümmer, Nachbeben, Katastrophenhilfe: Solche Vokabeln passen auch auf die | |
Themen, die in LAquila die große Politik bestimmten. Italiens Premier | |
Silvio Berlusconi hatte das Treffen vor allem deshalb in die Abruzzen | |
gelegt, um sich aus innenpolitischen Kalamitäten zu befreien. Zumindest für | |
kurze Zeit ist ihm das auch gelungen. Selbst die ausländischen Delegationen | |
mochten von verbalen Fehltritten des Unternehmer-Politikers diesmal nichts | |
berichten, sondern nur von liebevoll angerichteten Mahlzeiten in den | |
Nationalfarben Rot-Weiß-Grün. | |
Die Mächtigen der Welt trafen sich in einer Ausbildungsstätte der | |
italienischen Finanzpolizei, einer Art kasernierten Fachhochschule für | |
angehende Zoll- und Steuerfahnder. Die deutsche Kanzlerin kam wie ihre | |
Kollegen in einem schnöden Studentenwohnheim unter. Aus den Hörsälen hatten | |
die Gastgeber mithilfe von Vorhängen, Wandverkleidungen und Fototapeten, | |
die das zerstörte LAquila zeigen, kurzerhand Konferenzräume gemacht. Die | |
Tennisplätze schließlich verwandelten sich in ein Pressezentrum unter | |
freiem Himmel, mit Lounge-Sesseln und Zelten für die Arbeitsplätze. | |
Ringsherum das karge Bergpanorama der Abruzzen, das den abgeschirmten | |
Komplex je nach Perspektive wie ein komfortables Lager oder einen | |
spartanischen Ferienclub erscheinen ließ. Das Wort vom Campingurlaub, das | |
Berlusconi zynischerweise für die durch das Erdbeben obdachlos Gewordenen | |
gebrauchte, auf diesen Gipfel schien es zu passen. | |
Erklärtes Ziel des Trümmertreffs war nichts weniger als die Rettung der | |
Welt. Das Gefühl, dass ohne baldige Katastrophenhilfe alles so sehr ins | |
Rutschen kommt wie die Schuttberge von LAquila, hat inzwischen auch die | |
Mächtigen erreicht - auch dies ein Grund, warum größere Proteste anders als | |
vor zwei Jahren in Heiligendamm ausblieben. In der Finanzkrise regiert noch | |
immer die Furcht vor Nachbeben und weiteren Einstürzen, auch wenn die | |
offizielle Gipfelerklärung vorsichtigen Optimismus verbreitet. Offiziell | |
wurde das Thema für den Herbstgipfel der G 20 in Pittsburgh aufgespart. | |
Womöglich sind hier aber die Problem- und Interessenlagen zu | |
unterschiedlich für gemeinsames Handeln, weshalb der jüngst verstorbene | |
Soziologe Ralf Dahrendorf in seinem letzten Aufsatz schrieb, die Finanz- | |
und Wirtschaftskrise schaffe "kein globales Problem von der Art des | |
Klimawandels". | |
Klima bleibt wichtig | |
Das Klima also blieb in LAquila, wie zuvor in Heiligendamm, das wichtigste | |
Problem, die Finanzkrise hat es, anders als befürchtet, nicht verdrängt. | |
Zur Weltenrettung schritten die Staats- und Regierungschefs am | |
Donnerstagnachmittag, und sie taten es im ganz wörtlichen Sinn. Nicht auf | |
einem roten Teppich, sondern über einen weißen Laufsteg betraten sie am | |
kahlen Appellplatz der Finanzpolizisten das Hauptgebäude. Dessen monströse | |
Fassade mit weißer Plastikverkleidung, dunklen Scheiben und weit | |
auskragendem Dachwulst hätte man eher in Pjöngjang oder im alten Ostberlin | |
vermutet als unter der südlichen Sonne Italiens. Neben der gelben Flamme, | |
dem Symbol der Finanzpolizei, prangte deren Wahlspruch "Nec Recisa | |
Recedit". Das ist Latein und heißt auf Deutsch: "Auch verwundet weicht sie | |
nicht zurück." | |
Das mochte man auch auf den politischen Aggregatzustand manch eines | |
anwesenden Staatsmanns beziehen, auf den Briten Gordon Brown etwa, der als | |
Einziger auf eines der bereitgestellten Elektroautos verzichtete, sich auf | |
dem Fußmarsch inmitten einer stattlichen Lakaienschar versteckte und den | |
wartenden Fotografen keinerlei Lächeln schenkte. Huldvoll grüßte dagegen | |
der Franzose Nicolas Sarkozy, kumpelig der Brasilianer Luiz Inácio Lula da | |
Silva. Gastgeber Berlusconi hingegen hatte sich als Einziger eine Schar | |
Claqueure bestellt, die seinem Auftritt den nötigen Beifall zollten. | |
Es war das Major Economies Forum, das an diesem Nachmittag zusammentrat. | |
Dazu zählen die klassische Runde der G 8, also der sieben führenden | |
Industrienationen zuzüglich Russlands, aber auch die G 5, die neuen | |
Giganten von China bis Brasilien, die schon am Gipfel von Heiligendamm als | |
Zaungäste teilnehmen durften. Neu hinzugekommen sind schließlich Südkorea, | |
Indonesien und Südafrika. Alles in allem 17 Staaten, die gemeinsam für 85 | |
Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich sind. | |
Immer mehr Delegationen | |
Von einem G-8-Gipfel konnte in LAquila kaum noch die Rede sein, nur am | |
ersten Tag blieben die Chefs der reichen Länder noch unter sich. Bis zum | |
Freitag sah das Kasernengelände dann eine stetig wachsende Zahl von | |
Delegationen aus aller Welt. Ihre wechselnde Zusammenballung in immer neuen | |
Kombinationen führte auf kleinstem Raum die tastende Suche nach einer neuen | |
globalen Regierungsform vor Augen. Nach so etwas wie einer "Weltautorität", | |
wie sie der Papst zu Wochenbeginn aus seinem römischen Palast verlangt | |
hatte - wenn auch in einem Ton, der den Regierungschefs demokratisch | |
legitimierter Nationalstaaten allzu pluralismusfeindlich erscheinen musste. | |
Es trafen sich erst die G 8, dann die G 8 plus G 5, anschließend die | |
erwähnten Major Economies. Am Freitag schließlich durfte auch eine Reihe | |
afrikanischer Regierungschefs teilnehmen, die Vertreter der großen | |
internationalen Organisationen waren ohnehin dabei. Insgesamt dreißig | |
Flaggen reihten sich auf dem Kasernenhof aneinander, so viele verschiedene | |
Embleme, dass selbst erfahrene Besucher internationaler Gipfeltreffen mit | |
der Zuordnung Probleme hatten. Am leichtesten ließ sich das monochrome Grün | |
Libyens identifizieren. Dessen Staatschef Muammar al-Gaddafi vertrat in | |
LAquila die Afrikanische Union und durfte beim abendlichen Staatsdinner | |
neben seinem neuen Freund Silvio Berlusconi Platz nehmen. Der andere Stuhl | |
neben dem Italiener war für Barack Obama reserviert. Für den Mann also, der | |
mit seinem sanften Imperialismus doch wieder die Führungsrolle übernehmen | |
könnte in einer so unübersichtlichen Welt. | |
Es ist auch die Suche nach einem Ersatz für die paralysierte UNO, deren | |
Generalsekretär Ban Ki Moon ebenfalls nach LAquila gekommen war. Die | |
Vollversammlung zu groß, der Kreis der Vetomächte im Sicherheitsrat zu | |
klein für effektive Verhandlungen auf globaler Ebene - da ist es kein | |
Wunder, dass die Regierungschefs nach Alternativen suchen. Wer sich einmal | |
auf dem Laufsteg von LAquila fotografieren ließ, wird sich allerdings aus | |
den Treffen kaum je wieder verbannen lassen. Bei einem Kreis von 20, eher | |
25 Teilnehmern werde es daher wohl bleiben, heißt es aus den Delegationen | |
halb resignativ - mit dem Verweis darauf, dass sich auch in der Union 27 | |
Regierungen zusammenraufen müssten. | |
Wie schwierig das ist, zeigte sich einmal mehr bei den Verhandlungen zum | |
Klima. Im Vorfeld gab es noch die Hoffnung, dass sich auch die | |
Schwellenländer in LAquila auf konkrete Zahlen für niedrigere Emissionen | |
verpflichten würden. Dazu kam es dann nicht. Länder wie China, Indien und | |
Brasilien wollten sich nicht festlegen, solange die Industrieländer | |
ihrerseits nur vage Langfristziele definieren. Immerhin: Die | |
Schwellenländer sind jetzt so weit wie George W. Bush in Heiligendamm nach | |
intensiver Bearbeitung durch die deutsche Kanzlerin. Und dass die | |
Erderwärmung nicht mehr zu stoppen ist, wenn sie die Marke von 2 Grad | |
einmal überschritten hat, haben jetzt alle als wissenschaftlich gesicherte | |
Erkenntnis akzeptiert. Zumindest das klingt ein wenig nach Papst. | |
Bis zum Klimagipfel Ende des Jahres soll es jetzt eine Einigung geben. Es | |
klingt so vage wie die Ankündigung Berlusconis, bis zum Winter hätten alle | |
Obdachlosen aus der Erdbebenregion eine wetterfeste Unterkunft. Zum | |
Klimaschutz wollen sich die Staaten Ziele bis 2050 setzen, der Aufbauplan | |
des italienischen Premiers erstreckt sich über die nächsten 23 Jahre. | |
11 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Ralph Bollmann | |
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Erdbeben | |
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