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# taz.de -- Debatte Naziattacken: Aufstand der Anständigen?
> Eine Tote in Dresden, ein Schwerverletzter in Berlin-Friedrichshain. Das
> ist kein Kampf "fremder", sondern deutscher Kulturen.
In Dresden wird die 31-jährige Ägypterin Marwa al-Sherbini von einem
fanatischen Rassisten im Gerichtssaal erstochen, ihr Mann schwer verletzt
und zu allem Unglück auch noch von einem Polizisten angeschossen. Das
geschah am 1. Juli. In Kairo wird seither dagegen ausdauernder protestiert
als in Deutschland. Ein anderer Angriff fanatischer Rechtsextremisten
ereignete sich letztes Wochenende in Berlin. Im "links-alternativen"
Stadtteil Friedrichshain versuchten polizeibekannte Nazischläger aus dem
Ostberliner Umland einen 22-Jährigen zu ermorden. Sie traktierten den Kopf
des Bewusstlosen mit Tritten an der Bordsteinkante. Der junge Mann erlitt
lebensgefährliche Verletzungen und kam auf die Intensivstation. Auch in
Berlin demonstrierten bislang nur wenige, vornehmlich antifaschistische
Jugendliche. Die brutale Tat, sie wird von den Medien als zu
bagatellisierende Links-rechts-Schlägerei auf den Lokalseiten geführt.
Offenbar meinen viele, es gehe sie nichts an. Wer sich mit gewaltbereiten
Nazis anlege, sei wohl selbst schuld daran. Doch dem ist nicht so. Das
wissen alle, die qua Herkunft, Aussehen oder Lebensstil den faschistischen
Schlägern ein Dorn im Auge sind. Sie können ihnen nicht aus dem Weg gehen,
da sie selbst als Person das Ärgernis darstellen. Die Apothekerin Marwa
al-Sherbini hatte daraus die Konsequenz gezogen, die ihr dann zum
Verhängnis wurde. Sie hat den sie bedrohenden Rassisten zur Anzeige und vor
Gericht gebracht. In Dresden, in Sachsen, dort wo die NPD im Parlament
vertreten ist. Ihre zivilgesellschaftlich vorbildliche Haltung, im
rassistischen Konfliktfall den Rechtsstaat anzurufen, war für sie tödlich.
Fast auch für ihren Mann. In Sachsen wird nun über Metalldetektoren an den
Eingängen zu Justizgebäuden diskutiert.
Vor einigen Jahren rief die rot-grüne Bundesregierung zum "Aufstand der
Anständigen". Unübersehbar war die Gewaltspur, die sich nach dem Mauerfall
durch das vereinigte Deutschland zog. Und auch das Versagen des Staates und
seiner Institutionen, wenn es darum ging, rechtsextremistischen
Gesetzesbrechern klar Einhalt zu gebieten. Der damalige Innenminister Otto
Schily widersprach deswegen den höhnischen Darstellungen Rechtsradikaler,
die von "national befreiten Zonen" im ländlichen Osten redeten. Rot-Grün
reformierte auch das Staatsbürgerrecht, was seither Zugewanderten die
Einbürgerung erleichtert. So wurde zumindest in Teilen das Vertrauen in den
deutschen Rechtsstaat wieder hergestellt. Minderheiten, die wegen Herkunft
oder persönlichem Lebensstil diskriminiert oder angegriffen wurden, wenden
sich seither häufiger an die Polizei und fordern geltende Bürgerrechte für
sich ein.
Der Preis für diese neue Liberalität im Inneren war aber die Abschottung
nach außen. Die Anerkennung der Bürgerrechte für die hier nach 1945
Zugewanderten wurde gegen ein europäisches Schengen-Regime eingetauscht,
das fast die gesamten legalen Möglichkeiten der Zuwanderung zum Erliegen
brachte. In unsere schöne neue und modernere Gesellschaft kommt heute kaum
noch jemand rein. Rot-Grün hatte zwar anerkannt, dass Deutschland ein
Einwanderungsland war, aber auch mit dafür gesorgt, dass es heute keines
mehr ist.
Dennoch hat sich einiges getan. Auch Wolfgang Schäuble und seine Partei
mühen sich heute redlich in Sachen Integration. Aber nicht alle Probleme
lassen sich per Verordnung und neuem, zumindest innenpolitischen Goodwill
lösen. Jahrzehntelange Gleichgültigkeit und Hartherzigkeit müssen auch im
Alltag umgegraben werden. Es gehört zur Bürgerpflicht, da wo man sich nicht
sinnlos selbst gefährdet, den Rechten Straßen und Orte streitig zu machen.
Wo "normale" Deutsche dies nicht tun, machen sie sich zu Komplizen der
Rechtsradikalen. Antifaschismus ist keine Sache der Linken, sondern eine
der demokratischen Mehrheit der Gesellschaft.
Wer sich nachts, im öffentlichen Raum und außerhalb der urbanen Zentren
bewegt, kommt zwangsläufig in Kontakt mit jenen rechten Subkulturen, die
sich oft anlasslos an denen vergreifen, die gerade zur Verfügung stehen.
Eine Frau mit rot gefärbten Haaren, eine mit Kopftuch, ein Vietnamese, ein
Punk, ein Lesbenpärchen, ein Obdachloser usw. Die meisten Übergriffe werden
nie zur Anzeige gebracht, und längst nicht alle lassen sich alles gefallen.
Und das ist im humanistischen Sinne gut so, wenn damit terroristische
Gewalt gebrochen und nicht stumpf eskaliert wird. Doch wer keinerlei
Kontakt zu gefährdeten Bevölkerungsgruppen hat, selbst unauffällig aussieht
und lebt, sieht vieles anders und kann sich die latente Bedrohung in
gewissen Zonen Deutschlands offenbar kaum vorstellen.
Und auch nicht ihre Ursachen. Andrian Kreye schrieb anlässlich des Mordes
an Marwa al-Sherbini tatsächlich von einem "Kampf der fremden Kulturen" auf
deutschem Boden. Mit dem Verweis, dass der Mörder ein vor einigen Jahren
zugewanderter Russlanddeutscher war und sein Opfer ein Kopftuch trug, lädt
Kreye die Analyse ethnizistisch auf. In der Süddeutschen Zeitung schreibt
er: "Es waren zwei einander vollkommen fremde Kulturen, die hier auf einem
Spielplatz aufeinandertrafen." Und: "Obwohl Deutschland kein
Einwanderungsland ist, sind viele Konflikte hier bereits angekommen."
Obwohl? Und was soll "das Fremde" an Marwa el Sherbini gewesen sein? Ein
Kopftuch etwa? Ansonsten verhielt sie sich anscheinend auch für Kreye
vorbildlich: im Konfliktfall keine Selbstjustiz üben und stattdessen den
Rechtsstaat und die demokratische Zivilisation bemühen.
Es macht keinen Sinn, den Russlanddeutschen, der per Gesetz als
Volksdeutscher betrachtet wird, im Nachhinein wieder zum Ausländer zu
erklären. Tatsache ist, dass die Nation sich aus vielerlei Herkünften
zusammensetzt und gegen menschenverachtende Ideologien und Praktiken
gemeinsam handeln muss. Dazu gehört, dass viel mehr Menschen als bisher,
sich trauen, im alltäglichen Agieren die Perspektive von Minderheiten
einzunehmen. Es kann nicht Aufgabe weniger Jugendlicher sein, dass
stadtbekannte Nazitreffs geschlossen werden und konsequent gegen
rechtsextremistische Gruppen vorgegangen wird, egal welcher Herkunft.
Antifaschismus ist keine Sache der Linken, sondern eine der demokratischen
Mehrheit der Gesellschaft
17 Jul 2009
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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