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# taz.de -- Theaterfestival in Avingnon: Frische Luft vermisst
> Das Festival von Avignon wird beklagt: zu viel Theater, zu viel
> Subvention. Dabei war es mal als Gegenentwurf zu den verstaubten Pariser
> Nationaltheatern gegründet worden.
Bild: Dionysos (Andrew Van Ostade) eröffnet und beendet die Spiele auf dem Mou…
Ist es die schiere Menge? Das Festival dAvignon teilt sich ja in "In" (rund
vierzig Veranstaltungen) und "Off" (neunhundertachtzig!). Das "Off" ist
seit bald dreißig Jahren ebenso offizieller Teil des Festivals geworden wie
das "In"; es gibt Studien, wonach drei von zehn Festivaliers ausschließlich
das "Off" besuchen.
Aber in diesem Jahr macht gerade das "Off" wenig Lust hinzugehen. Ein
unübersichtliches Theatergemenge, eine Vielzahl an Produktionen, die nur
mit viel gutem Willen unter einen sehr erweiterten Theaterbegriff zu fassen
sind, kaum geprobte Akrobatik, Ad-hoc-Chorgesang. Dazu kommen die Truppen,
die schon vor drei, vier Jahren das identische Programm auf der Affiche
hatten und Avignon lediglich nutzen, um mal wieder richtig die Kasse zu
füllen. All das hat in diesem Jahr dermaßen überhandgenommen, dass die
ernsthaften Theaterbemühungen darin untergehen.
Dabei war Avignon einmal die Begegnungsstätte der neuen Formen; gegründet
1947, um dem Theater einen Ort an der frischen Luft zu geben, als
Gegenentwurf zu den verstaubten Pariser Nationaltheatern: ein "théâtre
national populaire", ein Theater für das Volk, befasst mit dem
Gesellschaftsvertrag. Das ist eine Weile her. Das Avignon-"In" heute:
vornehme Blässe. Es gibt viel Solides im "In"-Festival, viel handwerklich
schönes, unterhaltendes Theater, aber wenig wirklich Herausragendes und
kaum etwas Herausforderndes.
Wajdi Mouawad, der diesjährige "Artiste associé", also der Kurator des
Programms, zeigt im Ehrenhof des Papstpalastes von acht Uhr abends bis acht
Uhr morgens seine drei Stücke "Littoral", "Incendies" und "Forêts". Das
zweite, "Verbrennungen", wurde auch ins Deutsche übersetzt und viel
gespielt. Es geht in ihnen um eine versehrte Gegenwart, die sich in den
großen Mythen der Vergangenheit spiegelt, um Wurzelsuchen, Narben,
verlorene Väter, die den Nachkommen bis ins siebente Glied ihren
kriegsbiografischen Sündenstempel aufdrücken und von denen die Kinder sich
befreien müssen.
Mouawads Dramen mäandrieren, sie verzweigen sich in vielerlei Strömungen,
manchmal auch nur Rinnsale, die im Kopf des Zuschauers zusammenfließen. Sie
sind getragen von einer schwungvollen, pointenreichen, zuweilen auch
pathetischen Sprache, von einer orientalisch anmutenden, von Details
funkelnden Erzähllust. Aber im Grunde wiederholt sich die Geschichte
dreimal und zeigt im dritten Teil ihre Kehrseite: dass nämlich die
Fabulierlust mit dem Autor durchging und den Inhalt erdrückte.
Denis Marleau bringt einen technisch brillanten, aber etwas unterkühlten
Thomas Bernhard nach Avignon ("Une Fête pour Boris"), es gibt die
internationalen Habitués, Krzysztof Warlikowski mit "(A)pollonia",
Christoph Marthaler mit "Riesenbutzbach". Marthaler wird im nächsten Jahr
zusammen mit dem ähnlich verschrobenen Autor Olivier Cadiot Artiste associé
des Festivals. Es gibt den vielversprechenden Nachwuchs: den jungen
Franzosen Christophe Honoré etwa, der aus der hochromantischen
Liebestragödie "Angelo, tyran de Padoue" von Victor Hugo ein Maximum an
echtem und falschem Gefühl, Tragik und Ironie heraushört: Bei Victor Hugo
sind die Dialoge sehr klassisch, die Gedanken sehr modern. Das war schön.
Aber auch das blieb merkwürdig besänftigt, weit entfernt von den
ästhetischen Herausforderungen, welche die Artistes associés anderer Jahre
ihrem Publikum zugemutet haben. Etwa Jan Fabre: Dessen scharf gedachte und
in fellinesk böse Bilder gesetzte konsumkritische "Orgie de la tolérance"
blieb ein Fremdkörper im Programm.
Ist es die Krise? Derentwegen ganz allgemein keine Aufbruchstimmung
herrscht? Avignon ist der Ort, wo sehr grundsätzlich über Theater
debattiert wird. Es wird viel über Kulturpolitik geredet in diesem Jahr,
was wohl auch damit zusammenhängt, dass mit Frédéric Mitterrand, dem Neffen
von François Mitterrand, soeben ein neuer Kulturminister angetreten ist,
dem man mehr Nähe zum künstlerischen Milieu zutraut.
Es wird aber auch über den Zwiespalt geredet zwischen Erstarrung im
subventionierten Betrieb und die beliebig anmutende Anpassung an einen
vermuteten Publikumsgeschmack. Dass das Publikum immer unterschätzt wird,
es wird ja nie überschätzt. Man redet wieder darüber: dass das
subventionierte Theater angetreten war, um den Zugang zur Kunst weniger
elitär zu halten, und dass dies nicht gelungen ist - ein Arbeiter geht nach
neun Stunden Schicht nicht ins Theater. Das Theater ist für die
gesellschaftlichen Strukturen, die diese Differenz hervorbringen, nicht
verantwortlich; und doch muss es sich gegen dieses Argument immer wehren,
wenn es wieder ums Sparen geht. Das gilt nicht nur für Frankreich.
In diesem Zusammenhang ist es allerdings über Frankreich hinausweisend,
wenn sich das Theater in Erinnerung ruft als ein Ort, der eben nicht nur
der Unterhaltung dient, sondern auch der Verhandlung gesellschaftlich
relevanter Themen. "Das Publikum abzuholen" ist in Ordnung, aber dann muss
man auch den Weg wieder zurückfinden, zurück zu den genuinen Aufgaben des
Theaters. Und dafür ist Avignon immer so etwas wie ein Symbol gewesen.
20 Jul 2009
## AUTOREN
Andreas Klaeui
## TAGS
Performance
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