# taz.de -- Völkerverständigung durch Kammermusik: Mehr als musikalischer Pro… | |
> Junge Musiker des West Eastern Divan Orchestra lernen beim 4. | |
> Rolandseck-Festival die Feinheiten des Dialogs - nicht nur der | |
> Instrumente. | |
Bild: Dirigent Barenboim hat mit seinem West Eastern Divan Orchestra (Foto) das… | |
"Breath!", ruft Chaim Taub und ermuntert die Oboistin Tamar Inbar, sich im | |
dritten Satz von Mozarts Es-Dur-Bläserquintett mehr Zeit zu nehmen, um die | |
Reprise des Hauptthemas zu intonieren. "Okay!", nickt sie und wiederholt | |
nach kurzem Nachdenken die Phrase, freier und spielerischer als vorher. | |
Jetzt klingt es sprechend, ausdrucksvoll, plastisch. Taub nickt anerkennend | |
und verfolgt, in der Partitur blätternd, aufmerksam die musikalischen | |
Antworten von Klarinette, Horn und Fagott. Dann unterbricht er wieder. Der | |
Klang solle mehr aus dem Rücken kommen, rät er dem Pianisten Bishara | |
Harouni und malt mit imponierend großen Geigerhänden Phrasierungen in die | |
Luft. | |
Der 84-jährige Taub, einst Konzertmeister des Israel Philharmonic | |
Orchestras, leitet im Arp-Museum Rolandseck bei Bonn einen | |
Kammermusik-Meisterkurs im Rahmen des vierten Rolandseck-Festivals und | |
wandert zwischen drei Probenräumen. Er schaut herein, arbeitet nur noch am | |
Feinschliff und unterbricht selten, dann aber mit Nachdruck. Immer geht es | |
ihm um den musikalischen Ausdruck, den großen Bogen und um das Ausmerzen | |
von Oberflächlichkeiten und bloß mechanischer Virtuosität. | |
Das Mozart-Quintett probt in den Ausstellungsräumen, Jonathan Meeses | |
obszön-wüste Großbilder bilden einen bizarren Kontrast zu Mozarts | |
geschliffener Rhetorik. Als das Museum eröffnet, wird unbeirrt | |
weitergeprobt, die Besucher laufen auf Zehenspitzen, flüstern und staunen. | |
Nebenan, "Kunstvermittlung" steht an der Tür, probt ein Quartett Anton von | |
Weberns zerbrechliche, atonale "Bagatellen", die leuchtenden Mozart-Klänge | |
des "Larghetto"-Satzes dringen immer wieder herein und grundieren | |
unfreiwillig die atomisierten Klangsplitter Weberns. Bei der Probe zu | |
Mendelssohns Oktett für Streicher unten in den alten Bahnhofsräumen führt | |
derweil Guy Braunstein Regie: "Dont kill us!", mäßigt er augenzwinkernd die | |
orgelnden Celli und schickt ironisch hinterher: "Its not war here…" | |
Die Stimmung ist gelöst, professionell und heiter, dabei hat Braunsteins | |
Witz durchaus bitteren Hintersinn. Denn die jungen Musiker, die hier so | |
einträchtig proben, könnten von ihrer Herkunft her Feinde sein: Israelis, | |
Palästinenser, Syrer, Iraner, Ägypter, Libanesen und Türken. Und hier üben | |
sie sich in der Kammermusik, der musikalischen Königsdisziplin des | |
Einander-Zuhörens, des feinnervigen Reagierens, des gleichberechtigten | |
Dialogs. Sie rekrutieren sich allesamt aus dem von Daniel Barenboim vor | |
knapp zehn Jahren gegründeten "West Eastern Divan Orchestra", das in diesem | |
Jahr erstmalig beim Festival am Rhein zu Gast ist. Die Idee, die | |
Divan-Musiker einzuladen, ist durchaus symbolträchtig gemeint. Denn Chaim | |
Taub, der das Festival früher selbst leitete, unterrichtete im Meisterkurs | |
dereinst vorwiegend israelische Musiker. | |
Nun hat Guy Braunstein, im Hauptberuf Konzertmeister der Berliner | |
Philharmoniker und Schüler von Taub, die künstlerische Leitung des | |
Festivals übernommen und gemeinsam mit Torsten Schreiber, der die | |
Konzertreihen von Rolandseck managt, die Idee für die Meisterkurse | |
ausgeheckt. Er spielt selbst im Divan-Orchester. | |
Die Coaches suchen ständig | |
Bei den Musikern ist von Spannungen untereinander nichts zu spüren, Witze | |
wie der von Braunstein sind an der Tagesordnung, die Atmosphäre ist | |
international, weltläufig, lässig. Die Probensprache ist Englisch, aber | |
untereinander reden die Musiker Hebräisch, Arabisch, Englisch oder sogar | |
Deutsch. Viele von ihnen studieren in Europa, stehen kurz vor dem | |
Studienabschluss oder haben sogar schon eine Stelle. Die Plätze im | |
Divan-Orchestra sind begehrt, sie gelten als erste Adresse und | |
Karriererampe. Die Coaches des Orchesters sind ständig unterwegs auf der | |
Suche nach erstklassigen Musikern, die ins Ensemble passen, nur die | |
Begabung zählt. | |
Der tiefere Sinn dieses besonderen Orchesters erschließt sich manchem | |
Musiker erst im Laufe der meist langjährigen, phasenweise organisierten | |
Projektarbeit. In regelmäßigen Rhythmen proben die Musiker, teilen sich | |
Hotelzimmer und gehen auf ausgedehnte Konzertreisen. Der Geiger Michael | |
Barenboim, Sohn des Orchester-Gründers Daniel Barenboim und der Pianistin | |
Elena Bashkirova, spielt seit fast neun Jahren im Orchester und studiert in | |
Rostock Geige: "Die Arbeit im Orchester verändert jeden von uns ganz von | |
selbst. Aber von innen! Es gibt immer wieder Musiker, die kommen ins | |
Orchester und haben sich vorgenommen, nur musikalisch zu profitieren, und | |
wollen mit der Politik nichts zu tun haben. Sie tun dann erst einmal so, | |
als würden sie es nicht wahrnehmen, mit wem sie da zusammen Musik machen. | |
Wenn sie dann aber eine Weile da sind, macht es doch eine Menge mit ihnen. | |
Sie müssen miteinander reden, und dann hören sie irgendwann auch einander | |
zu. Und das verändert dann eben doch ihr Denken. Aber alles andere würde ja | |
auch keinen Sinn machen in einem solchen Orchester." | |
Dass Musik eine universelle Sprache sei, die befriedend die Völker über | |
alle Grenzen hinweg eine, zählt zu jenen Erbauungssätzen, die man als | |
Binsenweisheit empfindet, weil man sie allzu oft hören musste. Doch dem | |
Abnutzungseffekt zum Trotz, hier scheint es wahr. Wohl kein Musikprojekt | |
auf der Welt beglaubigt das derzeit eindrucksvoller als das "West Eastern | |
Divan Orchestra". | |
21 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
## TAGS | |
Klavier | |
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