# taz.de -- Grenzerfahrungen (II): Bahnhof des Grauens | |
> Der Bahnhof Schwanheide war ein Knotenpunkt im deutsch-deutschen | |
> Grenzverkehr. Der Reichsbahner Norbert Weise war hier Fahrdienstleiterk. | |
> Der Arzt Arthur A. Keller dagegen ist heute mit seinem Kunsthaus größter | |
> Arbeitgeber. | |
Bild: Relikt aus grauer Vorzeit: Das Grenzkontrollgebäude samt Birke auf dem e… | |
Manches wird einfach nicht schöner. Beim Grenzkontrollgebäude in | |
Schwanheide hilft selbst die Distanz von zwei Jahrzehnten nicht. Es bleibt | |
grau und grauenhaft. Ein vierstöckiger Betonriegel, eingeschlagene | |
Fensterscheiben, zugemauerte Eingänge, auf dem Vordach wächst eine Birke. | |
"Die reißt das auch nicht raus", sagt Norbert Weise. | |
In den 1980er Jahren war er Fahrdienstleiter auf dem DDR-Grenzbahnhof an | |
der Bahntransitstrecke von Hamburg nach West-Berlin. Eine Arbeit "unter | |
ständiger Kontrolle" sei das gewesen, sagt Weise, der heute 56 ist. | |
DDR-Reichsbahner wie er hätten ihren Dienst verrichtet, mit den Leuten vom | |
Zoll "konnte man auch mal ein Wort wechseln", zu den beiden anderen | |
Staatsorganen aber "blieb man besser auf Distanz": Die schwer bewaffneten | |
Grenztruppen und die eigentliche Herrin über das Geschehen in Schwanheide, | |
die Passkontrolleinheit. "Das waren Stasi-Fuzzis", sagt Norbert Weise, "von | |
denen hielt man sich besser fern." | |
Der Bahnhof von Schwanheide liegt kaum drei Kilometer östlich der | |
ehemaligen deutsch-deutschen Grenze in Mecklenburg-Vorpommern, Büchen in | |
Schleswig-Holstein war das westdeutsche Pendant. "Tor zur Freiheit" steht | |
auf einem Granitblock auf dem Bahnhof Büchen, und wer Norbert Weises | |
Erzählungen über Schwanheide zuhört, kann den Eindruck gewinnen, da sei was | |
dran. | |
Der ehemalige Fahrdienstleiter erzählt von den hohen Zäunen, mit denen das | |
Gelände abgesperrt war, von den Hundestaffeln, die hier zum Einsatz kamen, | |
von den Postenbrücken quer über die Gleise, auf denen die Grenztruppen rund | |
um die Uhr Wache schoben, von den Flutlichtstrahlern, die das gesamte | |
Gelände nachts taghell erleuchteten. "Da konnte sich keine Maus | |
unbeobachtet bewegen", sagt Norbert Weise. | |
Und er erzählt von den Totweichen. Zur Grenzkontrolle mussten die Züge auf | |
ein Nebengleis rangieren, an dessen Enden die Weichen so gestellt wurden, | |
dass sie ins Schotterbett führten. Während die Fahrgäste im Grenzgebäude | |
penibel gefilzt wurden, habe niemand unerlaubt mit dem Zug wegfahren | |
können, sagt Norbert Weise. Für die Weiterfahrt durfte Weise die Weichen | |
erst stellen, wenn die Kommandanten der Passeinheit und der Grenztruppen | |
das anordneten. | |
Für Arthur A. Keller ist der Grenzbahnhof ein Relikt aus grauer Vorzeit. | |
Eigentlich ist er Allgemeinmediziner, doch lieber ist er Maler. Das | |
Kunsthaus Schwanheide betreibt der 51-Jährige zusammen mit seiner Frau | |
Ulrike, die nach Hamburg pendelt, wo sie Kunstgeschichte unterrichtet. Vor | |
acht Jahren haben die beiden das ehemalige Verwaltungsgebäude der | |
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) günstig erworben, 660 | |
Quadratmeter Nutzfläche und ein riesiger Garten. | |
Als er es zum ersten Mal sah, habe er sofort gewusst, "das ist es", sagt | |
Keller. Das Leben in der Großstadt hat er hinter sich gelassen, das kleine | |
Atelier in Hamburg-Eimsbüttel, das er hobbymäßig betrieb, hat er aufgegeben | |
und ist in das 800-Einwohner-Dorf übergesiedelt. Einen sechsstelligen | |
Betrag haben die Kellers seitdem in die Modernisierung der Gebäude | |
investiert, in eine neue Heizung, in neue Fenster, in die | |
Photovoltaikanlage auf dem Dach. | |
Noch mehr Geld haben die beiden in Computer und Druckmaschinen gesteckt. | |
Kalender, Kunstdrucke und aufwendig illustrierte Bücher in kleinen Auflagen | |
entstehen in ihrem Kunsthaus, Auftraggeber sind Verlage. Elf Menschen | |
arbeiten hier, in Teilzeit die meisten, "und nur einer mit Förderung der | |
Arbeitsagentur", sagt Keller stolz. | |
Das Kunsthaus ist der größte Arbeitgeber in Schwanheide, der Chef aber | |
jobbt gelegentlich. Zwei oder drei Vertretungsdienste macht Keller jeden | |
Monat in der Arztpraxis seines Bruders in Hamburg-Berne. "Da bleibt man | |
beruflich auf der Höhe, und das Geld kann man ja auch gebrauchen", wie er | |
unumwunden zugibt. | |
Während Arthur A. Keller in Schwanheide wenn nicht von, so doch für seine | |
Kunst leben kann, ist Norbert Weise nach der Wende weggezogen. Bei der | |
Osthannoverschen Eisenbahn im niedersächsischen Celle hat der ehemalige | |
Reichsbahner einen guten Job gefunden, privat wohnt er fast 100 Kilometer | |
entfernt in Perleberg. | |
Es ist das erste Mal seit der Wende, dass Weise wieder seinen alten Bahnhof | |
besucht. In Schwanheide halten nur noch alle zwei Stunden die Regionalzüge | |
von Hamburg nach Schwerin, das Grenzkontrollgebäude ist überflüssig. Was | |
aus ihm werden soll, weiß keiner. "Geplant ist nichts", räumt der | |
ehrenamtliche und parteilose Bürgermeister Gerd Altenburg ein. Schwanheide | |
habe "kein Geld". | |
Der Betonriegel steht zum Verkauf. Für 135.000 Euro preist das Maklerbüro | |
Scholz aus der nahen Kleinstadt Boizenburg das "gut gelegene Objekt" an der | |
Bahnstrecke an. Auf 3.300 Quadratmeter Nutzfläche und 7.500 Quadratmeter | |
Grundstück gebe es "viel Platz für Büro, Callcenter, Logistik, Lager, | |
Verwaltung". | |
"Wer will denn hier hin", wundert sich Norbert Weise. Der Bahnhof | |
Schwanheide ist für ihn DDR, von damals eben, nicht von heute. Aber als ein | |
IC mit gefühlten 180 Stundenkilometern durchrauscht, muss er doch grinsen. | |
"Das gab's früher nicht", sagt er, "hier mussten alle anhalten." | |
24 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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