# taz.de -- Debatte Arbeiterbewegung im Iran: Zur Sonne, zur Freiheit | |
> Iran Langsam erholt sich die Arbeiterbewegung von Terror und Ausgrenzung. | |
> Der Kampf um freie Gewerkschaften bedroht das Regime. | |
Bild: So ungestört wie die Hamburger Trauerfeier für Neda, verlief die iranis… | |
Mansur Osanlu ist auf einem Auge erblindet. Das andere Auge konnte nur | |
durch eine Operation vorerst gerettet werden. Wie barbarisch das | |
Folterregime der Islamischen Republik mit unschuldigen Häftlingen umgeht, | |
konnte die Welt nach der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung trotz | |
Zensur in den Medien verfolgen. Was innerhalb der iranischen | |
Gefängnismauern, dort, wo die Welt nicht zusieht, passiert, wollen sich | |
viele lieber nicht vorstellen. Die Grausamkeit der Folterer ist grenzenlos. | |
Mansur Osanlu hat diese Grausamkeit am eigenen Leib gespürt. | |
Osanlu ist der prominenteste Kämpfer für freie Gewerkschaften im Iran. Er | |
ist Gründungsmitglied und Präsident der Syndicate of Workers of Teheran and | |
Suburbs Bus Company (SWTSBC), einer Gewerkschaftsorganisation im Großraum | |
Teheran mit mehreren tausend Mitgliedern, die meisten von ihnen beim | |
Busunternehmen Sherkate Vahed, der United Bus Company of Teheran, | |
beschäftigt. | |
Der Verband wurde ins Leben gerufen, weil es im Iran keine unabhängigen | |
Gewerkschaften gibt. Die regimenahen Gewerkschaften sind ein Teil des | |
Machtapparats und somit von Haus aus nicht dafür konzipiert, die Rechte der | |
Arbeitnehmer zu schützen. Ganz im Gegenteil: Hätten sie sonst nicht dagegen | |
protestieren müssen, dass iranische Arbeiter jeden Tag zur Arbeit gehen, | |
dafür aber schon längst keinen Lohn mehr sehen, sondern sich mit immer | |
schwerer zu ergatternden Krediten durchs Leben hangeln? Allein das ist | |
Beweis genug für die desolate Lage, in der sich die iranische Wirtschaft | |
befindet. | |
Als Osanlu und weitere Mitstreiter mit ihrem Engagement begannen und mit | |
einfachen Mitteln wie dem Verzicht auf Fahrtentgelt für Reisende auf die | |
unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Busfahrer aufmerksam machen wollten, | |
galt ihr Kampf noch nicht dem System der Islamischen Republik. Erst die | |
Panikreaktion des Regimes hat sie zu politischen Aktivisten gemacht. Osanlu | |
wurde als Busfahrer entlassen und zwischen 2005 und 2008 mehrmals | |
verhaftet. | |
2007 reiste Osanlu nach London und Brüssel, um dort für internationale | |
Unterstützung der legitimen Rechte der iranischen Arbeiter, insbesondere | |
der Busfahrer zu werben. Er wusste, dass er bei seiner Rückkehr in den Iran | |
sofort wieder verhaftet werden würde. Die Islamische Republik warf ihm | |
"Gefährdung der nationalen Sicherheit" vor und verurteilte ihn unter | |
Ausschluss der Öffentlichkeit zu fünf Jahren Gefängnis. | |
Betrachtet man die vergangenen dreißig Jahre der iranischen Geschichte, ist | |
es erschreckend, wie sehr die iranische Linke und die Arbeiterbewegung | |
ausgebeutet und erniedrigt wurden. Alles fing damit an, dass in den | |
1970er-Jahren Ajatollah Chomeini für die Errichtung der islamistischen | |
Diktatur eine möglichst breite Basis in der iranischen Gesellschaft | |
brauchte. Seine Hauptunterstützer waren die Basarhändler, die | |
wirtschaftliche Macht verkörperten, aber sehr ungebildet, streng religiös | |
und damit immer nah am Klerus waren. | |
Die Basaris | |
Die Basaris sind in der iranischen Gesellschaft sozioökonomisch als eine | |
eigene Schicht zu betrachten. Mit ihnen allein konnte Chomeini aber seine | |
Vorstellung von Revolution nicht umsetzen. Er brauchte die Massen, er | |
brauchte vor allem die iranische Linke, die gegen den Schah und seine | |
Diktatur schon lange und entschieden protestierte. | |
Hier kommt Ali Schariati ins Spiel, ein Soziologe und Islamwissenschaftler, | |
der mehrere Jahre in Paris gewirkt hat. Sein Projekt war es, den Islam mit | |
einer Art "Third Worldism" in der Tradition Frantz Fanons zu verbinden. | |
Damit stellte er sich zunächst gegen den Klerus und deutete eine Nähe zu | |
linken Überzeugungen an. Er war davon überzeugt, dass die Modernisierung | |
des Islams eine Antwort auf die Verbrechen des Kapitalismus sei. | |
Es versteht sich von selbst, dass dieser Ideologie ein politischer, | |
wirtschaftlicher und kultureller Antiamerikanismus inhärent war. Schariatis | |
vehemente Kritik am Klerus bestand darin, dass die Geistlichen die | |
Lösungsansätze, die der Islam bereithalte, verdorben hätten und in | |
Rückständigkeit verfallen wären. Als Ali Schariati 1977 unter mysteriösen | |
Umständen in England ums Leben kam, ging Chomeini, anders als das klerikale | |
Establishment, dazu über, seine politischen Aussagen an Schariati | |
anzulehnen. Mit Statements wie "Wir sind für den Islam, nicht für | |
Kapitalismus und Feudalismus" oder "In einer wahren islamischen | |
Gesellschaft gibt es keine Kleinbauern ohne Land" wollte er den Eindruck | |
erwecken der Islamismus sei mit dem Marxismus kompatibel. | |
Chomeinis Kalkül | |
Chomeini hat die Sympathie der linken Gruppierungen kühl für seine Zwecke | |
ausgenutzt und sich ihrer dann in Säuberungs- und Hinrichtungswellen | |
entledigt, seine Zöglinge sind ihm in den vergangenen Jahren auf diesem Weg | |
gefolgt. Seit dreißig Jahren protestieren nun Irans Arbeiter, nachdem sie | |
erkennen mussten, dass mit Chomeini ein ebenso grausamer Diktator an die | |
Macht gekommen ist wie der chauvinistische Schah. Aber so, wie dessen | |
Herrschaft 1979 abgewirtschaftet hatte, ist nun im Jahr 2009 das Regime der | |
Islamischen Republik in eine existenzbedrohende Krise geraten. | |
Bezeichnend für die geringe Aufmerksamkeit und Unterstützung, die Irans | |
Arbeiterbewegung bislang im Westen gefunden hat, ist, dass in den | |
vergangenen zwei Jahren ausgerechnet das American Enterprise Institute, ein | |
neokonservativer Thinktank in Washington, durch Publikationen in US-Medien | |
auf die dramatische Situation von Mansur Osanlu und die der iranischen | |
Gewerkschafter und Arbeiter insgesamt aufmerksam gemacht hat. Wohlgemerkt: | |
eine Denkfabrik, die sich für freies Unternehmertum und einen schlanken | |
Staat engagiert und sicher nicht im Verdacht steht, den Gewerkschaften oder | |
irgendeiner Version von "Third Worldism" nahezustehen, setzt sich explizit | |
für freie Arbeitnehmerorganisationen im Iran ein - eine konkrete Form der | |
Solidarität, von der sich Institute, Intellektuelle und Politiker in Europa | |
und anderswo eine Scheibe abschneiden sollten. | |
SABA FARZAN | |
31 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Saba Farzan | |
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