# taz.de -- Die Weisheit des Erleuchteten: Buddhas Heimkehr | |
> Nachdem er im Westen Fuß gefasst hat, entdecken auch moderne Inder die | |
> Lehre des Meisters | |
Bild: Buddhas Geburtstag: Mönch reinigt Buddha-Statue in indischem Kloster | |
Bedächtig tuckert das kleine Fährboot über eine von Mangrovensümpfen | |
gesäumte Lagune. Zahlreiche Inseln säumen die Küste von Gorai im Norden der | |
Hafenstadt Mumbai, die früher Bombay hieß. Die Mitreisenden, fast alles | |
Collegestudenten, sind so ins Gespräch vertieft, dass sie die Schönheiten | |
der Natur, die Mangrovenwälder, die weißen Sumpfreiher, die frische Seeluft | |
kaum wahrnehmen. Während wir die Hektik, den Lärm und den Schmutz der | |
Millionenstadt hinter uns lassen, taucht aus dem Dunst ein blassrotes | |
Bauwerk auf, das wie ein riesiger Hut auf einer Insel sitzt und dessen sich | |
verjüngende Spitze kerzengerade in den blauen Himmel ragt. Baukräne deuten | |
darauf hin, dass an dem Monument noch gearbeitet wird. | |
An der Fähranlegestelle begrüßt ein Hinweisschild die Fahrgäste. Nach | |
rechts weist ein Pfeil zum Vergnügungspark Esselworld, dem ältesten, | |
beliebtesten und mit allem modernen Schnickschnack ausgestatteten | |
Vergnügungspark. Nach links geht es zur Global Pagoda. Die Jugendlichen | |
ordnen sich zielsicher rechts ein, ich entscheide mich als Einziger für den | |
linken Pfad. Es gilt zunächst, eine kleine Anhöhe zu erklimmen. Schon bald | |
finde ich mich von üppigem Dschungel umgeben, die Luft ist schwül und der | |
Weg schweißtreibend. Der Buddha lebte jahrelang im Wald und übte Askese, | |
schießt es mir durch den Kopf. Der Gedanke macht mir den Anstieg etwas | |
leichter. | |
Und dann schimmert die goldene Spitze der Pagode durch das Blattwerk und | |
zieht mich in ihren Bann. Sie erinnert in Form und Größe an die | |
Shwedagon-Pagode in der birmanischen Hauptstadt Rangun, die ebenfalls auf | |
einem Hügel steht. Ich stehe vor dem massigen, in mehrere Stockwerke | |
unterteilten Kuppelbau, aus dem die mit einem goldenen Schirm verzierte | |
Turmspitze fast einhundert Meter hoch aufragt. Die grazile, aber | |
erdverbundene Ästhetik, die Größe und der rosarote Sandstein vermitteln | |
Erhabenheit. "Die Global Pagoda hat unser Meister Goenka aus Dankbarkeit | |
für seinen birmanischen Guru entworfen", hatte mir ein Eingeweihter gesagt | |
und mich so zu diesem Besuch inspiriert. "Die Global Pagoda ist unser | |
Leuchtturm, sie soll die Lehre Buddhas in die ganze Welt und nach Indien | |
ausstrahlen!" | |
Es ist ziemlich einsam an der Pagode. Keine Menschenseele! Der Tradition | |
folgend umrunde ich die Pagode im Uhrzeigersinn und stehe bald vor einem | |
mit prächtigen Schnitzereien verzierten Holzportal. Fast alle Stupas der | |
buddhistischen Welt sind solide Bauwerke, doch die Global Pagoda ist innen | |
hohl, eine riesige, freitragende Kuppel, in deren Scheitelpunkt die | |
Reliquie, ein Überrest des sterblichen Buddhas, eingelassen ist. | |
Ein Bauingenieur weist mir den Weg ins Innere: "Wir haben hier eine | |
traditionelle indische Bautechnik angewandt. Die Steine für die Kuppel sind | |
so behauen, dass sie sich ineinander verhaken und so die Last tragen. Die | |
Kuppel misst 93 Meter im Durchmesser und ist 30 Meter hoch. Schauen Sie | |
hoch zum Scheitelpunkt, sehen Sie das buddhistische Rad der Lehre?" | |
Am 8. Februar diesen Jahres kam Indiens Staatspräsidentin Pratibha Patil | |
nach Gorai. Umgeben von Ministern, Großindustriellen und einigen | |
Bollywood-Größen wohnte sie der Einweihungsfeier für die Global Pagoda bei. | |
An ihrer Seite saß Priyanka Gandhi, Tochter der zweiten mächtigen Frau | |
Indiens, der Congress-Partei-Vorsitzenden Sonia Gandhi. Beide Damen outeten | |
sich bei der Gelegenheit als Anhängerinnen der buddhistischen | |
Vipassana-Meditation. Zahlreiche Prominente bekennen sich in der ein oder | |
anderen Form zur buddhistischen Lehre: Pankaj Mishra, preisgekrönter Autor, | |
Arbaz Khan, Bollywood-Star, Nandita Das, Schauspielerin, und natürlich | |
Subhash Chandra, Medienmogul (Zee-TV) und schwerreicher Vorsitzender der | |
Global Vipassana Foundation. | |
Der Multimillionär lenkt die weltweite Vereinigung: "Meine Familie stiftete | |
das Land zum Bau der Pagode direkt neben dem Vergnügungspark, den wir | |
übrigens auch betreiben. Die freitragende Kuppel ist ein architektonisches | |
Wunder, die größte ihrer Art in der Welt. Unter ihr können 8.000 Menschen | |
meditieren", erzählt er im Baubüro der Pagode. Vor elf Jahren begannen die | |
Bauarbeiten. Chandra hofft, in ein paar Jahren fertig zu sein. "Bisher | |
haben wir 25 Millionen US-Dollar investiert, davon stammen 70 bis 80 | |
Prozent aus Spenden unserer Schüler, der Rest ist von Firmen. Es ist | |
geplant, die Pagode später mit Gold zu überziehen", sagt der | |
erfolgsgewohnte Medienmogul. Ich erlaube mir die Frage, ob sich ein | |
Meditationszentrum in direkter Nachbarschaft zu einem Funpark vertrage. Da | |
wird Subhash Chandra philosophisch: "Aber genau das ist doch die Realität | |
des Lebens, die Wahrheit ist stets widersprüchlich. Mit Vipassana weist der | |
Buddha einen Weg, wie wir trotz vielfältiger Widersprüche unseren Gleichmut | |
bewahren können!" | |
Die Global Pagoda symbolisiert in Indien das neu erwachte Interesse am | |
Buddhismus. Mehr als 1.000 Jahre lang hatten die Lehren des "Erleuchteten" | |
das Denken, die Künste und die Geschichte Indiens mitbestimmt und sich von | |
dort über weite Teile Asiens ausgebreitet. Seit dem 6. Jahrhundert aber | |
drängten hinduistische Priester seinen Einfluss zurück, später zerstörten | |
muslimische Invasoren die meisten buddhistischen Bauwerke. Nach dem 12. | |
Jahrhundert spielte der Buddhismus in Indien praktisch keine Rolle mehr. In | |
den 60er-Jahren entdeckte der Führer der ehemaligen Unberührbaren, Bhimrao | |
Ambedkar, den Buddhismus und empfahl ihn als Zuflucht, um dem | |
hinduistischen Kastensystem zu entkommen. Mehr als eine Million Dalits | |
(Gebrochene) sind bis heute zum Buddhismus konvertiert. | |
Nachdem der neue Buddhismus im Westen Fuß gefasst hat, entdecken auch | |
modern denkende Inder aus der Ober- und Mittelschicht die Lehren des alten | |
Meisters. Das Revival wird nicht von einer Glaubensgemeinschaft | |
organisiert, es ist eher eine spirituelle Bewegung, die viele Blüten | |
treibt. Eine davon ist die Vipassana-Meditation. Der Geschäftsmann S. K. | |
Goenka brachte die buddhistische Meditationstechnik erst 1969 aus Birma | |
nach Indien. Sie wird auch von Nichtbuddhisten geübt und gelehrt. | |
Wesentlicher Aspekt der verschiedenen Schulungsmethoden ist das Einüben von | |
Achtsamkeit. | |
Ich fahre nach Pune, 120 Kilometer südöstlich von Mumbai. Hamir Ganla | |
leitet das dortige Vipassana-Zentrum. "Die meisten Praktikanten suchen nach | |
Wegen aus dem Alltagsstress, sie haben eine starke Abneigung gegen die | |
traditionellen Rituale und den blinden Glauben an einen Guru", meint er. | |
"Vipassana ist keine Religion. In unseren Meditationszentren suchen Sie | |
vergeblich eine Buddhastatue. Wir sind überkonfessionell. Ich würde sagen, | |
Vipassana stellt den Kern aller Religionen dar!" Buddha sagt, es gibt | |
keinen Gott und jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Niemand | |
muss sich einem Guru unterwerfen, die tägliche Praxis beruht auf Arbeit mit | |
sich selbst und ist freiwillig. ."Zu uns kommen viele junge | |
IT-Spezialisten, die der Job ausgebrannt hat. Sie suchen nach einem Weg, | |
den Geist zu kontrollieren und eigene Fehler zu korrigieren", sagt der | |
Meditationslehrer. | |
An die 300 Männer sitzen mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen und schauen | |
in sich. Viele sind im mittleren Alter, die meisten sind beruflich | |
erfolgreiche Familienväter. Mit sanfter Stimme erteilt ein Lehrer | |
Instruktionen: "Wir konzentrieren uns auf die Beobachtung unseres Atems, | |
wie er aus den Nüstern tritt und über die Oberlippe bläst, wir werden uns | |
des Atems bewusst." Dies ist eine der Übungen, um den Geist auf den Körper | |
einzustimmen. Es gibt keine Freizeit, keine Musik, keine Genussmittel. Es | |
wird nicht gesprochen, der Kontakt zu anderen Teilnehmern ist untersagt. | |
Morgens um vier werden wir geweckt und erscheinen eine halbe Stunde später | |
zur ersten Meditation, die zwei Stunden dauert. Nach einer Frühstückspause | |
stehen zwei weitere Meditationsstunden in der Halle auf dem Programm. | |
Schätzungsweise 24.000 Inderinnen und Inder nehmen pro Jahr an einer | |
Meditation in einem der rund 100 Vipassana-Zentren teil. Der neue | |
Buddhismus passt in die moderne Zeit. Er zieht jene an, die mit den | |
Ritualen und Zwängen der etablierten, häufig korrumpierten Religionen | |
nichts anfangen können. | |
5 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Rainer Hörig | |
## TAGS | |
Reiseland Indien | |
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