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# taz.de -- Humboldts "Endeckung der Neuen Welt": Kopfschütteln über Kolumbus
> Alexander von Humboldt fragt seiner jetzt neu übersetzten "Entdeckung der
> Neuen Welt", warum Kolumbus vor seiner Reise nicht besser recherchiert
> hat.
Bild: Der Leistungssportler unter den Forschern: Humboldt, hier ein Selbstportr…
Man könnte nach Weimar fahren und nachforschen, ob die "sehr alte
Weltkugel" noch existiert, die Alexander von Humboldt so nachdenklich
stimmte wie Martin Behaims Nürnberger "Erdapfel" aus dem Jahr 1492. Auf
beiden Weltkugeln pflanzte sich ein Irrtum fort, der dafür sorgte, dass die
im 15. Jahrhundert nicht einmal in Umrissen bekannte südamerikanische
Festlandmasse als eigener, von Nordamerika getrennter Kontinent vorgestellt
wurde. Ein Irrtum, der nicht zuletzt für den Irrglauben des Kolumbus
verantwortlich war, er habe jenes "Indien der Spezereien" gefunden, von dem
Europa träumte.
Fährt man nicht nach Weimar, sondern versucht mittels eines Quellenstudiums
herauszufinden, ob die Weltkugel tatsächlich noch existiert, erspart man
sich vielleicht eine Enttäuschung, verpasst möglicherweise aber auch die
Sensation einer zufälligen Entdeckung, die man in Büchern nie machen
könnte.
So in etwa ist das Dilemma zu umschreiben, in dem der Forscher steckt, der
sich nur als scholastischer Gelehrter oder lediglich als empirischer
Erfahrungswissenschaftler versteht. Alexander von Humboldt war weder das
eine noch das andere. Er vereinte die Stärken der philosophierenden
Quellenkunde und der rationalen Empirie. 1799 brach er mit dem
französischen Pflanzenkundler Aimé Bonpland nach Südamerika auf, drang ins
dunkle Herz der Neuen Welt ein, kartografierte den Orinoko, bestieg den
Chimborazo fast bis zum Gipfel und hatte am Ende so viele Details zur
Geologie, Flora und Fauna gesammelt, wie nach ihm kein Zweiter würde
sammeln können.
Seit Humboldt weiß man, welch gute Konstitution notwendig ist, um die
klimatischen Anfechtungen auf der anderen Seite der Welt zu überstehen.
Humboldt war der Leistungssportler unter den wissenschaftlichen Entdeckern.
Er war aber auch ein antikolonialer Aufklärer und inmitten der "durch
falsche Gelehrsamkeit hervorgerufenen Vorurteile" als akribischer Empiriker
und wissenschaftlicher Erzähler unterwegs - ganz davon abgesehen, dass er
zum Popstar wurde: Zur Weihnachtszeit 1827, als er seine globale Geografie
populärwissenschaftlich unters Volk brachte, lockte er die Massen in seine
Vorlesungsreihe an der damaligen Berliner Singakademie.
Am Pult auf der Bühne des heutigen Gorki Theaters stand ein
Universalgelehrter, der einige Jahre später noch die Hauptwerke "Kosmos"
und "Die Entdeckung der Neuen Welt" schreiben sollte. Humboldts "Kosmos"
ist erhältlich. Seine auf Französisch geschriebene "Kritische Untersuchung
zur historischen Entwicklung der geografischen Kenntnisse von der Neuen
Welt und den Fortschritten der nautischen Astronomie im 15. und 16.
Jahrhundert" ist nun, 170 Jahre nach der Erstausgabe und passend zu
Humboldts 150. Todestag, erstmals wieder in einer Neuübersetzung
erschienen. Herausgeber ist der Potsdamer Romanist Ottmar Ette, der in
einem zweiten Band die für die ideengeschichtliche Rückschau relevanten
Kartenwerke versammelt und in einer Monografie den bewegten Forscher als
Pionier einer offenen, globalen Wissenschaft feiert. Übersetzt hat Julius
Ludwig Ideler, der Humboldts erzählerischen Esprit, aber auch gelegentlich
langatmige Beweisführungen kongenial nachvollzieht.
Als Humboldt in der Karibik anlandete, war er 30. Mit 50 reiste er
wesentlich komfortabler nach Osten durchs kalte Russland in Richtung
chinesische Grenze. Als er Rückschau hielt und seine Hauptwerke schrieb,
hatte er nach heutigem Verständnis bereits die Rentengrenze überschritten.
In jener Zeit beugte er sich noch einmal über die Skizzen und Zeichnungen,
die er während seiner südamerikanischen Forschungsreise zeichnete und die
jetzt im Bildband der Neuausgabe versammelt sind. Zu finden sind da
Miniaturen, die im Fall des Orinoko wie computertomografische Annäherungen
an ein Organ wirken, das der Chirurg erst noch freilegen will. Plötzlich
ist da aber auch die detaillierte Zeichnung eines Abschnitts des Orinoko
und zum ersten Mal der annäherungsweise exakte Ausschnitt einer Welt, die
über die Jahrhunderte hinweg nur Gegenstand von Spekulationen war.
Welche Irrgärten der Erde durch diese Spekulationen produziert wurden, ist
wiederum auf den Kartenwerken zu sehen, die Humboldt benutzte und die im
zweiten Teil des zweiten Bandes abgebildet sind. Wechselt man wieder zum
Schriftband, findet man dort die für Humboldt entscheidenden
geistesgeschichtlichen Spuren und immer wieder den Namen "Christoph
Kolumbus". An ihm und dem historischen Irrtum, Südamerika sei Indien,
arbeitete Humboldt sich ab. Immer wieder ist zwischen den Zeilen
kopfschüttelndes Unverständnis zu spüren, wenn der empirische Aufklärer
nahelegt, Kolumbus habe, als er am 12. Oktober 1492 zum ersten Mal in der
Karibik anlandete, mehr wissen können, als er wusste.
Er "segelte mit der Zuversicht eines Mannes, der da weiß, dass er finden
muss, was er sucht", schreibt Humboldt und führt aus, dass Kolumbus noch am
7. Juli 1503, also während seiner vierten Entdeckungsreise und nachdem
Vasco da Gama bereits das Kap der Guten Hoffnung umsegelt und die Südroute
nach Indien entdeckt hatte, in einem aus Jamaika an Königin Isabel und den
spanischen König Ferdinand II. von Aragon adressierten Brief schrieb: "Ich
wiederhole es Ew. Majestäten, die Erde ist nicht so groß, als man es sich
gemeinhin vorstellt."
Die Quelle von Kolumbus Irrglaube hieß Pierre dAilly. Der französische
Kardinal war einer der einflussreichsten Theologen des 15. Jahrhunderts und
sein astronomisch-geografisches Hauptwerk "Imago Mundi" die Hausbibel des
Kolumbus. DAilly, so Humboldt, berief sich in seinen Spekulationen
allerdings nur auf mittelalterliche Schriften und die antike Philosophie.
Und Kolumbus, der als Theoretiker ein kaufmännischer Ministrant war, betete
die kosmologischen Glaubenssätze der katholischen Kirche auch deshalb brav
nach, weil er Fördergelder für seine Expeditionen brauchte. Diese
Schlussfolgerung zieht Humboldt nicht, sie liegt aber nahe, wenn man
bedenkt, dass der Drittmittelentdecker "starb, ohne das zu erkennen, was er
erreicht hatte, und in der festen Überzeugung, dass die große Insel Kuba
ein Festland sei, das am Anfang von Indien liege".
Liest man heute, wie genau Humboldt die gewollten Irrtümer des Kolumbus
auflistet, ist verwunderlich, dass er sich in seiner Kritik auf die
Position des physischen Geografen zurückzieht. "Der Admiral verengte nicht
allein den Atlantischen Ozean und die Ausdehnung aller Meere, welche die
Erdoberfläche bedecken, er verringerte auch in gleichem Maße die Dimension
der Erdkugel selbst", schreibt Humboldt, beschwichtigt dann aber sofort und
meint, Kolumbus habe sich immerhin "eine tiefe und dichterische Empfindung
für die Majestät der Schöpfung bewahrt". Angesichts "der Mannigfaltigkeit
und Schnelligkeit seiner Lektüre" sei "eine gewisse Gedankenverwirrung"
nicht verwunderlich. Diese Nachsicht passt nicht unbedingt zu Humboldt, der
wie Charles Darwin ein genauer Empiriker war. Sie markiert andererseits
aber auch ein Dilemma des sanften Aufklärers: Humboldt war sich seiner
Wurzeln und dessen bewusst, dass er selbst weitaus exaktere Quellen
studieren konnte als Kolumbus.
Warum das so ist, lässt sich wiederum im Bildband der Neuausgabe studieren.
Da sieht man, dass ab 1520 plötzlich wesentlich genauere Darstellungen der
Neuen Welt wie auf dem neuen Nürnberger Erdglobus des Johannes Schoner
auftauchen. Und in Abraham Ortelius "Theatrum Orbis Terrarum" aus dem Jahr
1570 ist dann plötzlich der Pazifik und und noch dazu in einer Ausdehnung
gezeichnet, die seiner tatsächlichen Größe nahekommt.
Auch dafür hat Humboldt eine Erklärung. Das Europa im Übergang vom 15. Zum
16. Jahrhundert, meint er im Vorwort, sei eine "Zwischenwelt" gewesen, in
der es zu einem "Höhepunkt in der Skala des Zeitenfortschritts der
menschlichen Vernunft" gekommen sei. Dem Forschergeist habe sich plötzlich
eine derart "große Masse von neuen Gegenständen" geboten, dass in der Folge
"fast unmerklich Meinungen, Gesetze und staatsrechtliche Verhältnisse der
Völker durchgreifenden Veränderungen" unterworfen worden seien. Der Globus
des Ortelius wurde übrigens in Antwerpen gefertigt. Man könnte also nach
Weimar, Nürnberg und dann auch nach Antwerpen reisen, um während der Reise
unter Umständen eine zufällige Entdeckung zu machen. Man kann aber auch
daheim bleiben und sich Zeit für Humboldt nehmen.
23 Aug 2009
## AUTOREN
Jürgen Berger
## TAGS
Kolumbus
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