# taz.de -- Michael Töpel über digitales Lernen: "Auswendiglernen ist Wahnsin… | |
> Wer sinnvoll mit Computern lernen will, muss vorher kapieren, dass er für | |
> sein Wissen selbst verantwortlich ist, erklärt Michael Töpel – und | |
> fordert einen Einsatz von Notebooks ab der dritten Klasse. | |
Bild: Michael Töpel: "In der Grundschule sind alle noch ganz fröhlich, die Ki… | |
taz: Guten Tag, Herr Töpel. Mein Diktiergerät ist kaputt, deshalb nehme ich | |
das Interview mit dem iPhone auf. Moment... | |
Michael Töpel: Ah, das ist ja für unser Thema sehr interessant. Ich bin | |
übrigens auch nicht sehr technikaffin. | |
Danke. Wie kommt es dann, dass Sie sich für Lernen mit Notebooks einsetzen? | |
Meine Arbeit ist natürlich in einem zentralen Punkt immer von Technik | |
bestimmt. Ich habe früher Forschung gemacht und sehr viel darüber | |
nachgedacht, wie man Technik gesellschaftlich verstehen kann. Mich hat | |
dabei aber mehr der Ansatz interessiert, dass Werkzeuge die Welt verändern. | |
Es gibt kaum eine so gesellschaftsverändernde Kraft wie Werkzeuge. | |
Der Computer ist also nur ein technisches Hilfsmittel? | |
Genau. Man darf Technik nicht unter dem Aspekt des Bewunderns von | |
Möglichkeiten sehen - das ist ja auch der Apple-Aspekt - sondern unter dem | |
Aspekt der Werkzeugfunktionalität. Mir war sehr früh klar, dass das ein | |
spannendes Feld sein wird. Gerade auch in Richtung Schule, weil diese | |
Technik Informationen verarbeiten kann und weil Lernen - nicht nur, aber | |
auch - Informationsverarbeitung ist. Ich wusste: Da wird etwas passieren, | |
das wird hochspannend sein. | |
Trotzdem springen wahrscheinlich gerade die Apple-Verrückten auf | |
Einrichtungen wie Notebookklassen an. | |
Ja, wir erreichen oft nur die Technikaffinen, die Early Adopters, und das | |
ist ein Riesenproblem - sowohl bei Lehrern als bei Schülern. Ich habe | |
allerdings die Erfahrung gemacht, dass Frauen einen anderen Ansatz beim | |
Umgang mit Technik haben. Sie sind pragmatischer, ergebnisorientierter. | |
Schülerinnen werden eher erreicht, wenn man nicht mit der Technik ins Haus | |
fällt, sondern Beiträge zu sinnvollem Lernen zeigt. | |
Wie sieht denn sinnvolles Lernen mit Notebooks überhaupt aus? | |
Möglichst alles Wissen muss jedem Schüler zur Verfügung steht. Es muss | |
dafür gesorgt werden, dass jeder Schüler sich das Wissen in pädagogisch | |
sinnvollen Prozessen aneignen kann, so wie es am besten funktioniert. Und | |
das geht mit technischer Unterstützung, jedenfalls wenn sie möglichst immer | |
von unten nach oben angeordnet entwickelt wird. Und wenn sie dem Prinzip | |
folgt, dass sie möglichst bedienerfreundlich ist, aufwandsarm und preisarm. | |
Also wie Ihr Arbeitsmittel LASSI, ein USB-Stick.... | |
Ja. Da ist alles drauf, was die Schüler gelernt haben, ihr ganzes Wissen, | |
und wie sie mit Wissen umgehen. Wenn sie ernsthaft damit gearbeitet haben, | |
ist das wertvoll. Das gibt dem Lernenden Autonomie, niemand zwingt ihn | |
dazu, das selbe zu machen wie die anderen, nur weil es das selbe Ding ist. | |
Die Devise ist: Bau deine eigene Wissenswelt auf. Wir müssen versuchen, das | |
Lernen und Lehren vom Kind her zu gestalten. Das ist ein ganz schwieriger | |
Prozess. | |
Und das klappt durch die Notebooks? | |
Nein. Sagen wir es mal ganz vorsichtig: Das ist eine Hoffnung. Notebooks | |
sind das, was an notwendiger Innovation stattfinden muss in der Schule. Wir | |
brauchen diesen ganz generellen Umschwung, damit Lernen erstens wieder für | |
die Lernenden, für die Gesellschaft, aber auch für die Entwicklung unserer | |
Gesellschaft in Richtung Wissensgesellschaft sinnvoller und fruchtbarer | |
wird. Leider ist unser ganzes System auf den Gedanken ausgerichtet, dass | |
Wissen aus Wissensvermittlung entsteht. | |
Was ist falsch daran? | |
Wissen entsteht durch Wissenserwerb. Bei Pisa und Co stellt man fest: Die | |
Schüler verfügen hauptsächlich über träges Wissen. Sie haben zwar Wissen | |
gespeichert, können es aber nicht anwenden. | |
Wie konnte das denn passieren? | |
Es gibt zwar noch keine fundierten Untersuchungen, aber betrachten Sie mal | |
plausibel, wie das System funktioniert: In der Grundschule sind alle noch | |
ganz fröhlich, die Kinder gehen gerne in die Schule. Irgendwann verliert | |
sich das, das ist schon mal das erste Drama. Zweitens passiert Folgendes: | |
In den ersten zwei, drei Jahren geht es im Wesentlichen darum, Fertigkeiten | |
wie lesen, schreiben und rechnen zu erwerben. Und damit verbindet sich auch | |
ein individuell sehr wichtiger Stolz: Ich kann etwas. | |
Aber das ist doch gut! | |
Ja, doch ab der dritten Klasse ändert sich das. Da beginnt der sogenannte | |
Sachunterricht. Und kommt man schließlich aus der Grundschule, aus dieser | |
geborgenen Welt, ins Gymnasium, ist Lernen völlig fremdbestimmt. Man lernt | |
für eine Klassenarbeit und die wichtigste Frage ist: Was kommt dran? Das | |
hat nichts mehr mit verstehen zu tun, oder die Welt zu erklären, mit allem | |
was in den schönen Präambeln von allen Lehrplänen der Welt steht. Bei der | |
Klassenarbeit schreibt man alles auswendig gelernte einfach runter. Bekommt | |
man eine gute Zensur, ist klar: Aha, so funktioniert also Lernen. Und wenn | |
der Schüler keine Veränderung von außen spürt, keinen Druck, dann wird er | |
sich auch nicht ändern. | |
Und wenn der Schüler eine 5 in Mathe bekommt? | |
Dann resigniert er und erlebt eine Art Selbstentwertung, weil er mit dem | |
Lernen nicht klar kommt. Er versucht, den Stoff mit Gewalt in seinen Kopf | |
zu stopfen und liest seine Unterlagen tausendmal durch - anstatt zu | |
versuchen, sie zu verstehen. Er lernt quantitativ statt qualitativ. | |
Der Einsatz von Notebooks im Unterricht sollte also möglichst früh | |
beginnen. | |
Ja, wenn die Wissensarbeit beginnt, also ungefähr ab der dritten Klasse. | |
Vorher muss der Schüler kapieren, dass er für sein Wissen selbst | |
verantwortlich ist und verständnisvoll damit umgehen muss. Auswendiglernen | |
ist Wahnsinn! | |
Viele Eltern haben ja einige Bedenken, was das Arbeiten mit Notebooks | |
angeht. Zum Beispiel, dass die Schüler lieber im Internet surfen, anstatt | |
zu lernen... | |
Wenn der Wille da ist, zu wissen und Wissen zu erlernen, wird kein Kind auf | |
Pornoseiten surfen. Ablenkung gibt es natürlich immer, früher gab es eben | |
Zettel, die unter dem Tisch durchgereicht wurden. Wenn man den Unterricht | |
vom Kind her denkt, passiert das alles nicht. | |
Funktioniert das nicht auch ohne Notebook? | |
Doch, natürlich. Doch kein Mensch, der klug ist und Kinder versteht, wird | |
sie in diese Welt hineinschicken, wo sie selbstverständlich diese | |
Technologie brauchen und auch haben wollen. Niemand wird freiwillig auf ein | |
Notebook verzichten. Das gehört einfach zu unserer Zeit und wird nie mehr | |
anders sein. | |
26 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
## TAGS | |
Schule | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Digitale Schulzeit: Das Ende der Kreidezeit | |
Können Bremens Schulen mit dem digitalen Wandel Schritt halten? Neben | |
pädagogischer Kompetenz und technischer Investition drängen auch soziale | |
Fragen. | |
Laptops in der Schule: Blogs sind cooler als Wilhelm Tell | |
Zwischen daddeln und Eigeninitiative: An einer Berliner Schule lernen | |
Schüler mit tragbaren Computern. Sie lösen Matheaufgaben mit einem | |
Lernprogramm und entwerfen eigene Blogs. |