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# taz.de -- Geschichtsaufarbeitung: Moskau und Polen streiten über 1939
> Kurz vor dem 70. Jahrestag des Kriegsbeginns verteidigen russische
> Historiker und Publizisten den Überfall Stalins auf Polen. Dies sei keine
> Aggression gewesen.
Bild: Anlässlich des Weltfriedenstages 70 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Welt…
WARSCHAU taz | Was wird Wladimir Putin am 1. September auf der Westerplatte
im polnischen Danzig sagen? Was Angela Merkel? Polens Politiker und
Publizisten fürchten, dass die Regierungschefs von Russland und Deutschland
die Geschichte fälschen und den 1939 gemeinsam geplanten Angriffskrieg
gegen Polen abstreiten könnten.
Die Angst ist berechtigt, zumindest wenn es um Moskau geht. In den
vergangenen Wochen warfen russische Historiker und Publizisten Polen vor,
den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geradezu provoziert zu haben. Der
damalige polnische Außenminister Jozef Beck sei ein Nazi-Geheimagent
gewesen. Noch 1938 hätten die Polen mit Hitler gegen die Sowjetunion
paktiert.
Eigentlich erwarteten die Polen, dass sich Putin in Danzig klar zur Schuld
der Sowjetunion am Kriegsausbruch bekennen und die Polen um Entschuldigung
bitten würde. Manche hegten sogar die vage Hoffnung, dass er Dokumente zum
heimtückischen Mord an tausenden polnischen Offizieren durch den
sowjetischen Geheimdienst in den Wäldern von Katyn mitbringen würde.
Stattdessen müssen sie sich sagen lassen, dass der damalige sowjetische
Außenminister den Hitler-Stalin-Pakt unterschreiben musste, um die
Sicherheit der UdSSR zu gewährleisten.
"Vielleicht waren dies brutale Methoden, aber sie unterschieden sich in
nichts von denen, die andere Staaten damals anwandten", zitiert die
polnische Tageszeitung Rzeczpospolita den russischen Historiker Alexander
Djukow. Auch der Einmarsch Sowjetrusslands in Polen am 17. September habe
nichts mit einer Aggression zu tun, sondern sei dem "Selbstbestimmungsrecht
der Völker" entsprungen. Zwar protestierten in Deutschland rund 140
Intellektuelle gegen diese Vorwürfe. Sie riefen in Erinnerung, dass für die
Staaten Mittelosteuropas der Krieg 1945 noch nicht zu Ende war und sie ihre
Unabhängigkeit erst 1989 wiedererlangten. Doch in Warschau konnte die
Entschuldigung der Intellektuellen für den deutsch-russischen Angriffskrieg
und ihr Dank für die polnische Freiheitsbewegung Solidarnosc kaum
beruhigen.
Die Polen starren nach Moskau. Dort setzte vor einigen Monaten Russland
Präsident Dimitri Medwedjew eine Kommission "zur Verhinderung von Versuchen
der Geschichtsfälschung zum Nachteil der Interessen Russlands" ein. Sergei
Naryschkin, der Vorsitzende dieser Kommission, warf Polen nun vor, "die
Geschichtsfälschung in den Rang seiner Staatspolitik" zu erheben. Im
staatlichen russischen Fernsehen wurde ein Film ausgestrahlt, der Polen
beschuldigte, 1934 mit Hitler einen Nichtangriffspakt mit geheimem
Zusatzprotokoll geschlossen zu haben.
Beweise für diese Behauptung wurden keine vorgelegt. Es gibt sie auch
nicht. Polen hatte in der Zwischenkriegszeit eine Schaukelpolitik betrieben
und versucht, sich die beiden Nachbarn vom Leib zu halten. 1932 schloss
Polen daher einen Nichtangriffspakt mit der UdSSR, 1934 auch mit dem
Deutschen Reich. Ein geheimes Zusatzprotokoll, das den eigentlichen
Nichtangriffspakt in einen Angriffspakt verwandelt hätte, gab es weder im
ersten noch im zweiten Fall.
Polens Premier Donald Tusk, der selbst mehrere historische Bücher verfasst
und herausgegeben hat, will auf die russischen Attacken vorerst nicht
reagieren. "Es gibt nur eines, was wir dem entgegen halten können", sagt
er. "Die Wahrheit."
Am Dienstag, dem 1. September, sollen auf der Westerplatte in Danzig um
4.45 Uhr die Sirenen heulen. Nach Trommelwirbel und dem Aufmarsch
polnischer Soldaten werden Staatschef Lech Kaczynski und Premier Donald
Tusk im Fackellicht an die ersten Schüsse des Kadetten-Schulschiffs
"Schleswig-Holstein" 1939 erinnern und an die Verteidigung der
Westerplatte.
In diesem Jahr sollte die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Kriegsausbruchs
besonders groß ausfallen. Mit zahlreichen internationalen Gästen hoffte
Tusk, die Aufmerksamkeit der Welt für einen Moment auf Polen und die
Ereignisse des Jahres 1939 zu lenken. Doch die 22 Gäste, die am Ende ihr
Kommen zusagten, blieb unter den Erwartungen Polens. Nicht kommen werden
US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, und auch
der britische Premier Gordon Brown bleibt zu Hause. "Die Feinde kommen, die
Alliierten nicht unbedingt", titelte die konservative Tageszeitung
Dziennik. Mit den "Feinden" sind die Russen und die Deutschen gemeint,
vertreten durch Wladimir Putin und Angela Merkel.
1 Sep 2009
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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