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# taz.de -- It-fittester Lehrer über Lernen 2.0: "Schule und Computer sind sic…
> Digitales Lernen ist die Zukunft, sagt Olaf Kleinschmidt, der 2008 den
> Preis des It-fittesten Lehrers Deutschlands bekam. Wie man die Lehrer
> motiviert? Mit 250 Euro mehr – pro Monat.
Bild: Olaf Kleinschmidt: "Ich kann eine Problemstellung am interaktiven White B…
taz: Herr Kleinschmidt, in einem französischen Departement müssen die
Schüler ihre Netbooks zurückgeben. Der Unterricht mit tragbaren
Minicomputern ist gescheitert. Woran lag es?
Olaf Kleinschmidt: Allenfalls ist die Strategie der betroffenen Region in
die Hose gegangen - wenn man da von Strategie sprechen mag. Die haben halt
die Lehrer mit den Geräten im Klassenzimmer alleingelassen. Das kann nicht
funktionieren.
Was ist denn genau schiefgelaufen?
Es heißt, weniger als die Hälfte der Lehrer hätten überhaupt mit der
Technologie arbeiten wollen. Viele seien nicht bereit und in der Lage
gewesen, digitale Hausaufgaben aufzugeben. Das sehen wir auch hierzulande -
Lehrern fehlt allgemein die Bereitschaft, mit Laptopklassen zu arbeiten.
Wieso ist das so?
Die Schule und der Computer sind sich fremd. Das sind zwei unterschiedliche
Welten. Wir sprechen immer noch von sogenannten neuen Medien - obwohl
digitale Geräte schon dreißig Jahre auf dem Markt sind. Es gibt immer noch
viele Lehrer, die sich weigern, für den Unterricht einen Computer
einzuschalten, geschweige denn ihn sachgerecht einzusetzen.
Was bedeutet das für den Unterricht?
Die Lehrer können das Lernen mit den Rechnern gar nicht oder nicht fesselnd
gestalten. Also beginnen die Kinder damit, die allenthalben vorhandenen
Spielchen anzuwerfen.
Spiele werden teilweise sogar als Belohnung eingesetzt. Was halten Sie
davon?
Nichts. Manche Lehrer, aber auch manche Lernprogramme geben den Schülern
nach einer erfolgreichen Übung die Möglichkeit, ein Spiel zu machen. Tetris
als Appetitanreger, um vorher eine Matheaufgabe zu lösen.
Was ist daran falsch?
Es ist das Gegenteil dessen, was der Laptop und Web2.0-Anwendungen für den
Lernenden bedeuten: Erstens die intrinsische Motivation. "Ich mache das, um
mich selbst zu entwickeln" - das ist das Prinzip, das der Computer
erleichtert. Zweitens wird es mit vernetzten Geräten viel leichter,
individuelles und zugleich gemeinsames Lernen in der Klasse zu praktizieren
Wieso ist eine Netbookklasse individuell und zugleich gemeinsam?
Nehmen Sie eine mathematische Problemstellung. Ich kann sie am interaktiven
White Board …
… der elektronischen Tafel, welche die Kreidetafel ablöst …
… genau, ich kann sie also am White Board mit Stift statt Kreide für alle
Schüler sichtbar aufschreiben. Zugleich stelle ich sie aber mit einem
Mausklick elektronisch in den Chatraum, in dem die Schüler von ihren
Netbooks aus arbeiten. Der eine knobelt alleine an seiner Lösung, der
andere kooperiert real mit seinem Nachbarn - oder virtuell mit einem
Freund, der ein Mathe-As ist und in Russland sitzt. Alle physischen
Begrenzungen fallen weg - sei es die Wand des Klassenzimmers. Der Lernraum
wird unendlich und er verwandelt sich auch von der Methode her grundlegend.
Es geht um die idealste Kooperation für die beste Problemlösung - das ist
die durch Web2.0 möglich gemachte neue Form der Wissensproduktion: Alle an
alle, Schwarmintelligenz ist überall.
Was hat die Schule davon?
Vieles erahnen wir noch gar nicht. Aber es gibt Beispiele. Mein Mitarbeiter
Stefan ist ein exzellenter Schwimmer. Als er noch am Sportgymnasium in
Magdeburg war, konnte er an meinem Physikunterricht teilhaben - selbst wenn
er irgendwo auf der Welt im Trainingslager war. Seine Klasse arbeitete in
Magdeburg, aber die gemeinsam erarbeiteten Problemlösungen waren für ihn im
Chatraum überall abrufbar. Stellen Sie sich dieses Prinzip für kranke
Schüler vor oder für solche, deren Eltern für ein halbes Jahr nach London
ziehen.
Es bleibt eine überschaubare Zahl von Sonderfällen. Was bringt Lernen2.0 im
Klassenzimmer?
Es stellt die herrschende Lehrmethode "einer an alle" infrage. Das testen
wir gerade in der Grundschule.
Sie arbeiten mit Zehnjährigen am Laptop?
Ja, es sind Netbooks, an die über einen USB-Anschluss ein Tablet angedockt
wird, das ist eine digitale Schreibfläche. Das bedeutet, die Kinder
schreiben weiter mit einem Stift. Nur jetzt auf dem Computer. Das ist
wichtig. Die reine Tastatur- oder Mausbedienung muss durch ein einfaches
Werkzeug erweitert werden, damit der Computer schnell für alle zugänglich
wird. Das geht übrigens viel besser, wenn die Lehrer bereits ein
vielgestaltiges pädagogisches Arrangement beherrschen.
Vielleicht ist das französische Experiment auch wegen der starren
Monokultur der Frontbeladung dort gescheitert?
Der Computer braucht individuelle Lernarrangements. Aber er schafft sie
sich auch - sofern die Lehrer sich dem nicht verweigern, sondern umdenken.
Wie geht das ?
Schrittweise. Für eine Recherche etwa müssen die Kinder unserer
Versuchsklassen eben nicht mehr ins Computerlabor wandern - sie klappen ihr
Netbook auf und sind online. Das ist aber nur normaler Unterricht, ein
wenig vereinfacht, Lernen1.0 sozusagen. Digitale Geräte aber werden das
Lernen von innen heraus völlig verändern. Sie machen soziale Netzwerke
nutzbar. Oder auch das Arbeiten auf verschiedenen Niveaus.
Sorry, das ist uns zu hoch.
Noch mal zurück zum Mathe-Problem. Der Computer macht es auf ganz
natürliche Art individuell gestaltbar. Der Lehrer schreibt die Aufgaben in
zwei oder drei Varianten derselben Grundaufgabe aufs White Board und in den
Chatraum. Die Mathe-Cracks seiner Klasse werden sich die komplexeren
Problemstellungen suchen - und vielleicht mit anderen zusammen das ganze
Thema weitertreiben. Die langsameren Schüler nehmen halt die Basisvariante.
Der Lehrer sieht online, was die Schüler arbeiten. Er kann die richtige
Lösung zurück aufs White Board holen - ohne Schüler an den Ohren vor die
Klasse zu zerren.
Frankreich stellt immerhin weiter Geräte bereit. Wieso geschieht das hier
nicht?
Schwer zu sagen. Deutschland ist ein schlafender Riese auf diesem Gebiet.
Alle Konzernzentralen für mögliche digitale Endgeräte haben angewiesen,
dass man auf diese Riesen aufpassen muss.
Das heißt?
Wenn er erwacht, müssen finanzierbare Geräte in großer Zahl bereit stehen.
Und, erwacht der Riese?
Er träumt immer wieder laut von Laptops für alle. Vor zehn Jahren hat das
die damalige Bildungsministerin Edelgard Bulmahn schon mal gesagt. Und vor
wenigen Wochen hat die amtierende Ministerin Annette Schavan es wiederholt.
Meint sie es ernst?
Ich habe meine Zweifel, ob das bei der Politik eine wirkliche substanzielle
Strategie ist - oder nur ein Werbegag, mit dem man sich in die Presse
beamt. Es gibt Indizien, dass Laptops für alle nicht gewollt sind, weil es
ein paar starre bildungspolitische Haltungen infrage stellen würde.
Welche Haltungen meinen Sie damit?
Erstens würde es auch in Deutschland geradezu eine Provokation für den
herrschenden Frontalstil sein, wenn wir plötzlich jedem Schüler ein Netbook
in die Hand drücken. Frontal und Netbook - das beißt sich. Zweitens würde
die verkrustete Schulstruktur infrage gestellt.
Durch Netbooks? Wie das?
Frau Schavans Bildungsministerium hat eine Studie gefördert. Darin ist en
détail ausgeführt, dass selbst HauptschülerInnen in Netbookklassen
selbstständig grundlegende Medienkenntnisse und Fertigkeiten erwerben, die
sie im Unterricht motivieren.
Das Netbook als Messias! Sie übertreiben …
… nein ich zitiere aus der Studie "Medienhandeln in Hauptschulmilieus" von
2009. Darin steht: Die Tatsache, dass sich die Schüler untereinander
unterstützen, bietet gerade für HauptschülerInnen gute Möglichkeiten, sich
selbst Fähigkeiten zu erarbeiten und das eigene Wissen zu erweitern. Es ist
für sie ein selbstverständlicher Weg, um weiterzukommen. In der
pädagogischen Arbeit sind es daher die Methoden der Gruppenarbeit, die das
Lernen von Peer-to-Peer ermöglichen. Der besondere Wert dieser
Arbeitsformen liegt darin, dass die Heranwachsenden selbst als ExpertInnen
zu Wort kommen, sich also als kompetent erleben. Die Gruppenarbeit bietet
auch die Chance, die Fähigkeiten in der weiteren Sozialwelt einzusetzen
Gut, aber was hat das mit den Schulformen zu tun?
Was da steht, heißt übersetzt, mit dem Computer können die kardinalen
Schwächen der Hauptschule für eine oft vollkommen demotivierte
Schülergruppe überwunden werden. Das gilt auch für Migranten, die ganz fix
die Schulform hinter sich lassen.
Das ist doch toll!
Ja, und ein kleiner Skandal.
Warum?
Diese Studie ist eine Sensation - um die sich aber keiner kümmert. Finden
Sie es nicht komisch, dass man sich offiziell den Kopf zerbricht, wie
Einwandererkinder den Ruf als ewige Bildungsverlierer ablegen könnten? Und
gleichzeitig eine sehr wirksame Methode, nämlich das individuelle Lernen
mit Computern, unter den Teppich gekehrt wird?
Wenn Sie der IT-Berater von Angela Merkel wären … Träumen Sie bitte mal,
wie eine nachhaltige Strategie zur Einführung modernen Lernens aussehen
könnte!
Man müsste mehrere Dinge gleichzeitig tun. Erstens wäre es wichtig, jene
Schulen zu unterstützen, die bereits ein ansprechendes pädagogisches
Konzept haben. Das heißt, wie gehen auf die Inseln des Lernen2.0 und helfen
ihnen weiter: Wir stellen Laptops bereit und alles Technische, was
dazugehört.
Zweitens …
… müsste es eine wirklich attraktive Aus- und Weiterbildungskampagne für
LehrerInnen geben.
Was heißt attraktiv?
Sie muss gut sein, und es muss sich für Lehrer sofort finanziell lohnen.
Wer Qualifikationsmaßnahmen zum IT-Lernen erfolgreich abschließt, bekommt
einen spürbaren Bonus.
Wie viel wäre das?
Ich denke an 250 Euro - und zwar, bitte, monatlich. Als Aufschlag zum
Gehalt. Und wer das nicht macht, der bekommt einen Malus.
Lehrergehälter anheben. Das wird teuer!
Wenn wir nicht in die französische Falle laufen wollen, müssen wir Geld in
die Hand nehmen. Wenn sie monetären und psychologischen Druck machen, dann
müssen die Kollegen, die sich bewegen, dafür auch eine echte Anerkennung
bekommen.
9 Sep 2009
## AUTOREN
Christian Füller
Franziska Seyboldt
## TAGS
Schule
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