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# taz.de -- Zypries über Datenschutz und Netzsperren: "Die Piraten sind mir zu…
> Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) über die digitale
> Bürgerrechtsbewegung, den Konflikt mit Ursula von der Leyen um die
> Sperren im Internet und die Unwählbarkeit der Piratenpartei.
Bild: "Was ich bisher von der Piratenpartei mitbekommen habe, war eher bescheid…
Frau Zypries, warum wählt jemand die Piratenpartei?
Das ist mir schleierhaft. Ich bin wirklich die Letzte, die die Bedeutung
der Informationsfreiheit gering schätzt, aber ich finde es schon sehr
dürftig, wenn sich das Programm einer Partei, die für den Bundestag
kandidiert, im Wesentlichen auf dieses Thema beschränkt.
Antworten auf Zukunftsfragen wie Arbeitsmarkt, Chancengerechtigkeit,
Wirtschafts- und Finanzkrise ? Fehlanzeige! Was ich bisher von der
Piratenpartei mitbekommen habe, war eher bescheiden. Ich war fast ein wenig
enttäuscht von dem Niveau, auf dem da diskutiert wird.
Warum diese harschen Worte?
Viele, mit denen ich diskutiert habe, nehmen die Tatsachen einfach nicht
zur Kenntnis. Und das regt mich wirklich auf. Ich erlebe es zum Beispiel
immer wieder auf Veranstaltungen, dass behauptet wird, bei der
Vorratsdatenspeicherung würden die Inhalte der Telefonate aufgezeichnet.
Das ist schlichtweg falsch. Wer so argumentiert, schafft kein Vertrauen in
eine Partei.
Dass in der Diskussion manchmal falsche Behauptungen aufgestellt werden,
mag sein. Aber nehmen Sie die Befürchtungen ernst?
Ja, selbstverständlich nehme ich die Sorgen der Internetgemeinde sehr
ernst. Ich habe das immer getan und auch öffentlich deutlich gemacht. Ich
befinde mich konstant im Dialog mit Vertretern der Internetgemeinde.
Dennoch haben Sie das Gesetz über die Internetsperren mitgetragen. Fürchten
Sie nicht, dass Sie einen Teil der netzaffinen Wähler damit zu den Piraten
treiben?
Eine Wahlentscheidung sollte sich nicht nur auf eine spezielle Frage
stützen. Aber wenn ich etwas politisch für richtig halte, dann kann ich das
nicht fallen lassen, weil eine bestimmte Gruppe der Internetnutzer droht,
eine andere Partei zu wählen. Das hätte mit konsequenter und geradliniger
Politik nichts zu tun.
Man könnte auch sagen, Sie nehmen den Wählerwillen ernst.
Bei allem Respekt, die Kritiker dieses Gesetzes repräsentieren nicht den
Wählerwillen, es gibt viele Menschen, die anderer Ansicht sind. Und es ist
ja nicht so, dass wir nicht mit den Kritikern der Internetsperren geredet
hätten. Ihre Argumente sind berücksichtigt worden, wir haben die Regelung
eng ausgestaltet, Rechtsschutz eingebaut und das Ganze auf drei Jahre
befristet. Zur Wahrhaftigkeit im politischen Diskurs würde es gehören, das
auch anzuerkennen. Daran fehlt es aber.
Die Kritiker sehen das Gesetz als einen Präzedenzfall. Sie glauben, dass
zum ersten Mal eine Infrastruktur geschaffen wird, mit der unliebsame
Inhalte aus dem Netz gefischt werden sollten. Für sie geht es um alles oder
nichts.
Das ist inhaltlich falsch und zeigt mangelnde Professionalität im
politischen Geschäft. Ich habe immer klar gesagt: Internetsperren dürfen
nicht zu einem allgemeinen Überwachungsinstrument werden. Deshalb hat die
SPD dafür gesorgt, dass es ein eigenständiges Gesetz gibt - außerhalb des
Telemediengesetzes -, das die Sperren strikt auf kinderpornografische
Seiten beschränkt und zeitlich befristet ist.
Vor allem aber haben wir den Grundsatz „Löschen vor Sperren“ durchgesetzt.
Das ist ein Erfolg, da haben sich auch die Internet-Aktivisten Verdienste
erworben. Schade finde ich, wenn deren einzige Reaktion ist: Jetzt reden
wir nicht mehr mit euch, weil ihr das Gesetz trotz allem verabschiedet
habt.
Den Lösch-Vorschlag hatten die Bürgerrechtler vor allem gemacht, um
Alternativen zu den Sperren aufzuzeigen. Das eigentliche Anliegen war, das
Gesetz zu verhindern.
Wenn man in einem demokratischen Meinungsbildungsprozess Einfluss nehmen
will, muss man sich entscheiden: Entweder man verfällt in eine
Blockadehaltung und muss dann hinnehmen, überstimmt zu werden, wenn man
keine Mehrheit für seinen Vorschlag findet. Oder man mischt sich ein,
versucht, die eigenen Positionen so weit es eben geht einzubringen und
steht dann hinterher zum Ergebnis. Und nichts tun gegen
kinderpornografische Inhalte im Netz ist nun wirklich keine Option.
War es ein Fehler, das Gesetz mit den Internetsperren zu machen?
Nein. Das Gesetz ist notwendig geworden, weil die Kollegin von der Leyen
angefangen hat, Verträge mit den Providern über diese Sperren zu schließen.
Ich habe gleich zu Beginn der Debatte deutlich gemacht, dass eine solche
Vertragslösung nicht mit unserer Verfassung vereinbar ist.
Zugangssperren sind ein Eingriff in Grundrechte und bedürfen deshalb von
Verfassungs wegen eines Gesetzes. Um so wenig Rechte wie möglich zu
beschränken, hat die SPD im Gesetzgebungsverfahren den Grundsatz „Löschen
vor Sperren“ durchgesetzt. Das Problem an der Debatte war, dass sie kaum
sachlich zu führen war.
Wieso?
Weil jede noch so zutreffende Kritik an der eingeschlagenen Vertragslösung
vom politischen Gegner sofort darauf verkürzt wurde, dass man ja ganz
offenbar nicht gegen Kinderpornografie im Internet kämpfen wolle. Welch ein
Unfug. Und auf der anderen Seite stehen dann diejenigen, die sagen: Das ist
aber Zensur. Da kriegt man keine sachliche Ebene hin.
Sie haben bei dem Gesetz also mitgemacht, weil die Union Sie in die Enge
getrieben hat?
Nein, ich musste vielmehr zur Kenntnis nehmen, dass die Provider bereit
waren, diese Verträge abzuschließen. Und um in dieser Situation
Rechtssicherheit für die Betroffenen zu schaffen, ging kein Weg an der
gesetzlichen Regelung vorbei. Wir betreten damit juristisches und
technisches Neuland, deshalb die Befristung, um nach drei Jahren zu
überprüfen, ob sie hält, was wir uns davon versprochen haben.
Gesetzt den Fall, Sie wären nach der Wahl Justizministerin einer Regierung
ohne CDU. Was würden Sie an dem Gesetz wieder ändern?
Zunächst einmal nichts, denn die SPD hat ja die Befristung durchgesetzt, um
die Regelung evaluieren zu können. Ich gehe ohnehin davon aus, dass wir in
der nächsten Legislaturperiode eine grundsätzliche Debatte um die Freiheit
im Internet führen müssen. Wir müssen die Freiheit aller im Netz
gewährleisten, nicht nur derjenigen, die technisch besonders versiert sind.
Da schwingt wieder die Vorstellung vieler Politiker vom Internet als
rechtsfreiem Raum mit, in dem sich nur die Starken und die Outlaws
durchsetzen. Dabei gelten die Gesetze doch auch für das Netz. Warum sagen
Sie so etwas?
Weil alle wissen, dass die Globalität und die Geschwindigkeit im Netz
Rechtsdurchsetzung faktisch sehr schwer macht. Haben Sie mal versucht,
jemanden, der im Internet strafbare Inhalte über Sie verbreitet, daran zu
hindern?
Dann gibt es also Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des bisherigen
Rechts. Das ist doch kein Argument für neue Gesetze, oder?
Doch, das kann ein Argument für Gesetze sein, mit denen man bestehenden
Rechten zur besseren Durchsetzung verhilft. Schauen Sie mal ins
Urheberrecht, da haben wir das gemacht und es funktioniert. Wir sind uns
doch sicher über eines einig: Wenn wir Rechte haben, sie aber nicht
durchsetzen können, haben wir ein Problem.
Wie lässt sich das Ihrer Meinung nach ändern? Mit einer neuen Behörde?
Zu allererst brauchen wir mal eine nüchterne Bestandsaufnahme. Das Problem
ist doch, dass die Mechanismen, die wir in der realen Welt zur Durchsetzung
der rechtlichen Regeln haben, nicht ohne weiteres in die Welt des Internets
übertragbar sind, denn: Das Netz ist anonym, das Recht ist personalisiert.
Das Netz ist global, das Recht gilt regional. Das Netz ist schnell, Recht
braucht Zeit. Bis ich einen gerichtlichen Beschluss gegen jemanden im
Ausland erwirkt habe, der ihn verpflichtet, bestimmte Sachen aus dem Netz
zu nehmen, hat er die schon fünf Mal auf einen anderen Server verschoben.
Und da muss man sich schon überlegen, wie man mit diesem Befund umgeht.
Haben Sie eine Idee?
Wir brauchen Lösungen, wenn legitime Interessen kollidieren, beispielsweise
wenn es um die Nutzung von Ideen und die Rechte der Kreativen an ihrem
geistigen Eigentum geht. Wir müssen die Schwächeren schützen, allen voran
die Kinder, aber auch die Verbraucher, die im Netz Opfer unlauterer
Geschäftspraktiken werden. Und wir müssen mit Hilfe des Rechts
sicherstellen, dass alle Menschen in Deutschland von den Vorteilen des
Netzes profitieren können. International brauchen wir einen
„Gutes-Internet-Kodex“. Die Staaten dieser Welt sollten sich zusammensetzen
und überlegen: Wie können wir dieses Internet einigermaßen sauber halten?
Sollen die Justizminister der Länder über diesen Kodex beraten?
Das müssen nicht zwingend die Justizminister sein. Schließlich kann man das
alles nicht nur rechtlich verordnen. Wir brauchen eine gesellschaftliche
Debatte in den einzelnen Staaten über dieses Thema. In Europa könnte man
eine solche Diskussion im Europarat anstoßen.
Und am Ende stünde eine Art Welthandelsorganisation für das Internet?
Nein, ich stelle mir das eher als transnationales Werk von Verträgen vor,
eine Art Kyoto-Protokoll für das Internet. Das wäre eine
Selbstverpflichtung der Staaten und Provider, bestimmte Standards im
Internet einzuhalten.
Selbstverpflichtungen funktionieren allerdings selten. Warum sollte das
hier anders sein?
Das stimmt ja nicht. Selbstverpflichtungen sind besser als ihr Ruf! Man
muss aber auch sehen, dass es schlechterdings kaum möglich sein wird,
weltweit zu einem einheitlichen Recht zu kommen. Selbstverpflichtungen
können eine gesellschaftliche Debatte über ein Thema auslösen. Und die
brauchen wir, nicht nur in Deutschland.
In Schweden haben die Piraten bei der Europawahl sieben Prozent bekommen.
Wäre das auch in Deutschland möglich?
Das starke Wahlergebnis der Piratenpartei in Schweden erklärt sich für mich
vor allem aus dem Umstand, dass die Schweden, die hierzulande immer als
sehr liberal gelten, eine extrem restriktive Innenpolitik machen. Ich gehe
nicht davon aus, dass die Piraten bei der Bundestagswahl in die Nähe der
Fünf-Prozent-Hürde kommen.
Die Umwelt- und Alternativbewegung und die aus ihr entstehenden Grünen
wurden am Anfang auch nicht ernst genommen. Plötzlich saßen sie in den
Parlamenten. Könnte das nicht wieder passieren?
Es reicht nicht, wenn sich die Programmatik einer Partei darin erschöpft,
einem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen nach dem Motto: wir sind jung, wir
kennen das Netz und ihr Alten versteht davon nichts. Was die Piratenpartei
zudem von den Grünen in ihren Anfängen unterscheidet: Ihr fehlen die
Galionsfiguren mit politischem Profil, wie beispielsweise Otto Schily oder
Joschka Fischer.
Sie haben selbst gesagt, dass über die Zukunft des Netzes gesellschaftlich
diskutiert werden muss. Wenn das Thema so relevant ist, spricht das doch
für eine gewisse Dauerhaftigkeit einer solchen Partei, oder?
Nein, das spricht für die Dauerhaftigkeit des Themas, aber nicht der
Partei. Die Piratenpartei greift das eigentliche Thema ja gar nicht auf.
Wenn ich sie ernst nehmen soll, müsste sie mehr zustande bringen als nur zu
sagen: Die Vorratsdatenspeicherung ist schlecht. Die Piraten wollen nicht
mehr als den Status Quo im Netz zu erhalten. Das ist Besitzstandswahrung.
Das ist konservativ und viel zu rückwärtsgewandt. Damit kann man keinen
Blumentopf gewinnen.
Über was müssten die Piraten denn Ihrer Meinung nach diskutieren?
Das müssen sie schon selbst wissen, ein Teil dessen, den ich für
diskussionswürdig halte, habe ich ja beschrieben. Die technische
Entwicklung geht mit Rasanz voran, wer weiß, ob wir nicht in fünf Jahren
eine neue Generation des Internets haben. Vielleicht hat dann jeder Mensch
eine individuelle IP-Adresse, die so unverwechselbar ist wie seine
Telefonnummer? Was hieße das denn für die Anonymität des Netzes? Aber von
solchen Entwicklungen wissen viele Piraten offenbar gar nichts - jedenfalls
diskutieren sie nicht darüber.
Was heißt das?
Nun, wenn sich das Internet so entwickelte, hätten wir zum Beispiel viele
Probleme bei der Verfolgung von Straftaten im Internet nicht mehr, weil die
IP-Adresse wie ein Fingerabdruck zum Aufspüren von Kriminellen genutzt
werden könnte. Wahrscheinlich gefällt das den Piraten nicht. Aber man muss
sich doch trotzdem der Diskussion und den Problemen stellen und dabei
Konzepte für die Zukunft entwickeln.
10 Sep 2009
## AUTOREN
Daniel Schulz
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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