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# taz.de -- Feindbeobachtung im Wahlkampf: Im Visier des Gegners
> Sie notieren penibel jedes Wort der gegnerischen Kandidaten und filmen
> jeden Auftritt: Die professionellen Feindbeobachter der Parteien. Sie
> suchen nach Schwachstellen der Konkurrenz.
Bild: Eines der "Wahlspionage"-Opfer: Jürgen Rüttgers (r.).
Gerade hat sich im Konrad-Adenauer-Haus eine der Türen geöffnet. Der
Generalsekretär kommt herein, schneller Schritt, er muss selbstbewusst
wirken. Es war kein guter Tag für Ronald Pofalla gestern. Beim TV-Duell
konnte Angela Merkel nicht überzeugen, nicht so ganz zumindest. Jetzt ist
Pofalla hinterm Pult angekommen, hier in der CDU-Zentrale. Die Kameras sind
angeschaltet, das Generalsekretärslächeln ist auch an. Gleich wird er
verkünden, dass Merkel die Siegerin des Duells ist.
Neben ihm steht Matthias Barner, der CDU-Sprecher, blondes, dünnes Haar,
fester Stand. Routiniert scannt er das Publikum der Pressekonferenz, grüßt
die Hauptstadtjournalisten mit einem Blick, einem Nicken. Wer ein Zwinkern
abbekommt, ist besonders wichtig. Barner hat Furchen im Gesicht, es muss
spät geworden sein gestern nach dem Duell. Nun steht er vor den
Journalisten, er kennt sie alle.
Auch den Mann in der letzten Reihe kennt er. Obwohl der nicht zur Presse
gehört und zur CDU auch nicht. Er ist der Gegner. Er beobachtet.
Er fällt nicht auf. Jeans, Jackett, Mitte dreißig - so wie viele der
Journalisten. Aber sie bleiben auf Abstand zu ihm. Wenn man sie mit ihm
sieht, geht ihnen am Ende das enge Verhältnis zu Barner und Pofalla flöten.
Der Beobachter versteht ihre Sorge. "Ich unterhalte mich mit den
Journalisten hier nicht", erklärt er später. "das ist nicht gut für sie."
Am Anfang stand der Beobachter noch etwas verloren am Rand, leicht rechts
versetzt hinter den Kameras. Als Pofalla den Raum betreten hat, ist er nach
vorne geeilt, um besser zuhören zu können. Er setzt sich in die letzte
Stuhlreihe, auf den vierten Sitz von rechts, neben ihm ist der Platz frei.
Er zückt sein Notizblock und lauscht. Eine CDU-Postkarte fällt aus dem
Block auf den Boden. Devotionalien einsammeln gehört zum Job.
Vorn rühmt Pofalla Merkel: "Sie ist die Siegerin des gestrigen Abends." Er
spricht durch die Nase, so wie er es immer tut, aber der Gegnerbeobachter
sagt, je mehr Pofalla näselt, desto schlechter gehe es der CDU. Die Details
interessieren ihn, die kleinen Dinge, die Zwischentöne. Er macht sich eine
Notiz. Keine gute Stimmung bei der CDU.
Ein Blick nach oben, zur Galerie, von der CDU-Mitarbeiter zuhören. Aus dem
Handgelenk grüßt er nach oben. Von dort grüßt jemand zurück, es ist ein
kurzer Moment der Solidarität. Der Mann auf der Galerie macht den gleichen
Job, nur für die andere Seite.
Der Beobachter grüßt den Beobachter, eigentlich ist die Situation absurd.
Aber andererseits auch typisch für diese Rolle. Denn die Gegnerbeobachter
tun immer ein wenig heimlich, obwohl sie im Grunde mit Informationen
umgehen, die hauptsächlich öffentlich sind. Sie arbeiten in den
Wahlkampfzentren, vom Willy-Brandt-Haus der SPD bis zum
Karl-Liebknecht-Haus der Linkspartei. Sie suchen nach den Fehlern des
Gegners, analysieren seine Auftritte in Zeitungen, im Internet und in
Talkshows. Sie besuchen auch die Parteitage der Konkurrenz, ihre
Pressekonferenzen oder Kundgebungen. Was wichtig ist, wird
herausgeschrieben, weitergegeben, analysiert. Sie schreiben Argumentationen
auf, "Argus" sagen manche dazu: Ein gesprochenes Zitat wird mit eigenen
Fakten entkräftet und ein Gegenargument entwickelt. Sind die Argus gut,
kommen sie dort an, wo die Kameras laufen. Auf den Sprechzetteln der
Politiker für Auftritte in Stadthallen und Fernsehstudios.
Für Veranstaltungen der Konkurrenz akkreditieren sich die Beobachter als
Pressevertreter, es wird als selbstverständlicher Teil des Spiels
hingenommen, ganz offiziell. Nur die Linkspartei bekommt keine Einladungen
von der CDU. Kleine Gemeinheit.
Doch obwohl man sich kennt und alle das System akzeptieren, machen die
Parteien ein Geheimnis aus der Gegnerbeobachtung. Die Bürger sollen Politik
als Kampf um die Inhalte wahrnehmen. Und nicht als Taktieren.
So werden die Beobachter selten mit ihrem eigentlichen Aufgabenbereich auf
der Internetseite der Parteien vorgestellt. Bei der CDU muss ein Name
durchgerutscht sein. In einer Broschüre ist er unter "Strategische Planung
und Kokurrenzbeobachtung" aufgeführt. Dr. Sebastian Putz. "Ihre
Ansprechpartner im Konrad-Adenauer-Haus" steht dort, und "wenn Sie konkrete
Fragen haben, können Sie sich direkt an uns wenden".
Am Telefon wirkt Putz verlegen, er beendet das Gespräch schnell. Dreißig
Minuten später meldet sich die CDU-Presseabteilung und ein Referent fragt,
was man sich dabei denkt, einen Mitarbeiter direkt anzusprechen. Woher man
überhaupt die Telefonnummer habe. "Sie möchten einen Bericht über etwas
machen, worüber keine Partei redet", sagt er. "Ab jetzt bitte alles über
die Pressestelle."
Wenn Beobachter erzählen, dann meist anonym. Sie beschreiben ihre Tätigkeit
als Wettbewerb, erzählen von ihrem Ehrgeiz, schnell und präzise zu sein und
nichts zu übersehen. Eine Arbeit im Kosmos der Parteien, die wochenlang auf
das eine Datum hintreibt: 27. September, der Wahltag.
"Man muss schnell gucken, wie man reagieren kann", sagt eine. "Es ist ein
Spiel", sagt ein anderer. Sehen die Parteien ihre Gegnerbeobachtung als
eine Art Geheimdienst? "Der Begriff geht eigentlich ein bisschen zu weit."
Man beobachte, was bei den anderen geschieht. Was gesagt wird. Was auffällt
beim politischen Gegner. "99 Prozent unserer Arbeit ist doch schon
öffentlich." Der Stoff, mit dem die Gegnerbeobachter arbeiten, ist das
Gesagte der anderen Parteien. Dort suchen sie die Lücke, in die ihr
Kandidat stoßen kann. Abends verfolgen sie es, wenn die Großen bei Maybrit
Illner sitzen oder bei Frank Plasberg stehen. "Wenn ich einen Satz höre,
der von mir kommt, dann ist das mein Erfolg", sagt einer.
Im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale der FDP, hat Helmut Metzner sein
Büro. Metzner trägt eine kauzige gelbe Fliege und wieselt durchs Zimmer. Er
leitet die Abteilung Strategie und Kampagnen bei der FDP, und in der Welt
der Nachrichtendienste wäre er vermutlich ein kleiner Agentenführer.
Metzner spricht über "Geschärfte Argumentation", "Umfeldbeobachtung" und
über "FB", das steht für "Feind- oder Freundbeobachtung".
Metzner gibt sich offen. Er zückt einen der Aktenordner, die seine
Abteilung über die anderen Parteien angelegt hat. Vermerke über Reden,
Analysen von Auftritten. Er beschreibt, um was es geht, wird aber nie
konkret. Aus der Hand gibt er den Ordner nicht. "Ich will Sie nicht
langweilen", sagt Metzner, "alles nur chronistisch aufgelistet, Sie wissen
ja". Dann ist der Ordner wieder weg.
Er führt in ein anderes Zimmer. Er zeigt auf ein etwa zwei Meter hohes
Schaubild, an dem Kärtchen befestigt sind. "Unser Konfliktraster", erklärt
er. Auf der Längs- und Querachse sind die Parteien angebracht. Dazwischen
steht zum Beispiel, dass die FDP beim Thema Homoehe Stress mit der Union
bekommen kann, beim Thema Kündigungsschutz mit fast allen anderen Parteien
und beim Thema Handelskammern sogar innerhalb der eigenen Reihen.
Es gibt tausend mögliche Kombinationen, und wenn man sich anschaut, wie
detailverliebt das Schaubild - Metzner sagt: "die synoptische
Gegenüberstellung" - dort zusammengestellt wurde, dann gewinnt man einen
Eindruck davon, wie sich die Abteilung Strategie und Kampagnen monatelang
mit verschiedenen Konfliktkärtchen beschäftigen kann, bevor alles Guido
Westerwelle als knackiges Zitat vorgeschlagen wird.
Wenn es doch langweilig wird, hängt in dem nur 20 Quadratmeter großen Raum
noch eine Deutschlandkarte, auf der die eigenen Auftritte im Wahlkampf
farbig markiert sind. Die restlichen Wände sind mit Werbemotiven der FDP
behängt. Wer aus diesem Raum wieder heraustritt, verlässt eine blau-gelbe
Strategiewelt und trifft außerhalb des Thomas-Dehler-Hauses auf die
Berliner Reinhardtstraße, nach und nach werden die FDP-Plakate an den
Laternenpfählen weniger, und um die Ecke sieht man schon den Bahnhof
Friedrichstraße, von wo die Eisenbahnen Menschen in den Wedding oder nach
Zossen bringen - in die Realität.
"Die Wahlkämpfe werden immer schneller", sagt Michael Spreng am Telefon.
Spreng ist 61, ein Riese mit tiefer Stimme, er war 2002 Wahlkampfberater
von CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Jetzt analysiert er den Wahlkampf
in einem Blog. Aus der Zeit mit Stoiber kennt Spreng auch das System der
Gegnerbeobachtung. "Kaum steht im Internet eine Schlagzeile, ist sie
mehrfach kommentiert", sagt er, "durch die Beobachtung all dieser Vorgänge
versuchen die Parteien, die Deutungshoheit über die Nachrichten zu
behalten". Das ist nicht die einzige Entwicklung, die Spreng registriert
hat. "Ein Wahlkampf ist normalerweise eine Mischung aus Reaktion und
Aktion", sagt er, "nur in diesem Jahr fällt die Aktion weg."
Wie aber verhalten sich die Beobachter, wenn der Gegner keine
Angriffsflächen bieten will? Markus Gonschorrek reagiert mit Fleiß. Direkt
nach dem Politikstudium hat er vor drei Jahren angefangen, für die Union zu
arbeiten, jetzt ist er der Gegnerbeobachter der CDU in Schleswig-Holstein,
wo am 27. September auch der Landtag gewählt wird.
Gonschorrek wartet auf dem Kieler Rathausplatz, er trägt ein blaues
Lacoste-Hemd. Heute ist ein besonderer Tag für ihn: Um 18 Uhr wird nicht
nur der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner auftreten, auch Frank-Walter
Steinmeier kommt.
Der CDU-Mann hat sich akribisch vorbereitet. Bereits zwei Stunden vor der
Rede hat er den Rathausplatz auskundschaftet, um "mal zu schauen, wie es da
so aussieht". Er hat einen Laptop mit mobilem Internetzugang dabei sowie
eine Tasche mit Kameraequipment und Stativ. Eine Kollegin begleitet ihn, um
zu filmen. Gonschorrek sucht nach der entscheidenden Aufnahme, nach einem
verfänglichen Zitat.
Vor zwei Wochen gelang es den Jungsozialisten in Nordrhein-Westfalen, den
CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers bei einer solchen Aussage
aufzunehmen. Im Unterschied zu den Arbeitern im Ruhrgebiet kämen "die
Rumänen eben nicht morgens um sieben zur ersten Schicht", sagte Rüttgers.
Die Jusos gaben das Material weiter, ein kleiner Film mit der Rede landete
auf Youtube, nur Stunden später war die Schlagzeile geboren.
Rüttgers beschimpft Rumänen.
Mittlerweile ist in Nordrhein-Westfalen eine Diskussion über den
"Videobeweis" entbrannt. Nun hat die CDU nachgerüstet. Ein professionelles
Videoteam kümmert sich um SPD-Landeschefin Hannelore Kraft. Dabei findet
die Wahl in Nordrhein-Westfalen erst im Mai statt.
Filmen, filmen, filmen
In Kiel lauert Markus Gonschorrek mit dem Laptop vor der Bühne und schickt
Kurznachrichten über einen SMS-Verteiler, während seine Kollegin filmt und
filmt. Gerade macht sich Ralf Stegner über Ministerpräsident Peter Harry
Carstensen lustig. Gonschorrek tippt: "Stegner wirft PHC Feigheit und
Schwäche vor. Um standfest zu sein, reiche es nicht, Nordfriese zu sein."
Um 18.55 Uhr setzt er die erste Steinmeier-Nachricht ab. "Steinmeier hält
sich im Wesentlichen ans Manuskript." Neben ihm läuft die Kamera vor sich
hin. Fast zwei Stunden Material werden es am Ende sein. "Tja, ernüchternd",
sagt Gonschorrek, "oft ist nichts dabei."
Es ist das Schicksal der Gegnerbeobachter, in einem Wahlkampf, der nie so
richtig stattgefunden hat und in dem sich keiner aus der Reserve getraut
hat.
In Rathenow hat Angela Merkel 19 Tage vor der Wahl einen Auftritt gehabt.
Sie hat sich wieder nicht angreifbar gemacht, auch niemanden angegriffen,
stattdessen lange darüber gesprochen, wie man Kartoffeln kocht. Quick
response ist das Motto der Gegnerbeobachter in den letzten Wochen. Die
schnelle Reaktion. Schnell reagieren, wenn der andere einen Fehler macht.
Doch was soll man antworten, wenn der Gegner über Kartoffeln redet? Egal,
alles wird gefilmt. Vielleicht passiert noch etwas. Noch ein Fehler, wie
bei Rüttgers.
"Die Kandidaten wollen sich nicht auf negative Nachrichten einlassen", sagt
Michael Spreng am Telefon. "Wenn etwas passiert, dann ist es richtig
wichtig", sagt Markus Gonschorrek in Kiel. "Wir wollen wissen, was über die
FDP gesprochen wird", sagt Helmut Metzner in seiner Parteizentrale.
"Eigentlich", sagt der Gegnerbeobachter in Berlin, "sind doch in der
Politik alle Gegnerbeobachter."
So ist das in diesem Wahlkampf. Was sollen sie bloß machen, die
Gegnerbeobachter? Wenn Merkel, Steinmeier und die anderen auch nichts
anderes tun als sie. Wenn sich alle nur beobachten und nichts von sich aus
tun. Dann gibt es wenig zu beobachten, dann können sie nur noch warten, so
wie die Kanzlerin und der Herausforderer. Bis es ein Ende hat. Bis zum 27.
September, dem Wahltag.
18 Sep 2009
## AUTOREN
Gordon Repinski
## TAGS
CDU/CSU
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Nachruf auf Michael Spreng: Der Bescheidwisser
Der Journalist und Politikberater Michael Spreng ist tot. Er war ein
messerscharfer Analytiker der Politik und ihres Personals.
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