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# taz.de -- Panter-Preisverleihung: Moderne Alltagsheldinnen
> Der Rahmen wird immer festlicher und größer: Samstag war Preisvergabe der
> taz Panter Stiftung in Berlin.
Sie ist etwas zu klein für das Rednerpult, nur ihr Kopf ragt hervor. Sie
legt ihr Redemanuskript zurecht und schweigt kurz. Verblüfft sei sie
gewesen, dass sie "als ausgewiesene Panter-Gegnerin" hier überhaupt reden
soll, sagt Bettina Gaus, politische Korrespondentin der taz, am
Samstagabend in der Komischen Oper Berlin. "Ist der Panter nur ein
Ablassbrief für die, die eigentlich zuständig wären", fragt sie. "Der Preis
hat nichts mit dem Zeitaufwand der ausgezeichneten Person zu tun, sondern
damit, in welchen Bereichen der Gesellschaft der Staat versagt", erklärt
Gaus.
Ja - die sechs nominierten [1]["HeldInnen des Alltags"] engagieren sich zum
Großteil in sozialen Gebieten, die eigentlich in der Verantwortung eines
gut funktionierenden Wohlfahrtsstaates liegen. Etwa die Integration von
Migranten. Die Gewinnerin des Jurypreises, Bettina Theresa Ismair, kümmert
sich seit acht Jahren in ihrem bayerischen Heimatort Markt Schwaben um
Asylbewerberfamilien. Sie organisiert Nachmittagsbetreuung für ausländische
Schüler, unterstützt die Familien bei Behördengängen und Rechtsfragen,
initiiert interkulturelle Kochabende.
Schauspieler Rufus Beck setzt sich in seiner Laudatio mit dem Heldenbegriff
auseinander. "Der historische Held führt, er ist allein und wartet nicht,
er handelt aus Reflex, begibt sich in Gefahr und weiß nicht, dass er ein
Held ist", sagt er. Die modernen Alltagshelden - wie die Nominierten -
wollten einfach nur helfen, weil sie Empathie besitzen.
Als Laudator Beck verkündet, dass die siebenköpfige Jury Bettina Theresa
Ismair als Gewinnerin ausgewählt hat, schlägt diese die Hände vor ihr
Gesicht und läuft kopfschüttelnd auf die Bühne. In ihrem bayerischen Dirndl
hat die 46-Jährige deutlich mehr Probleme, die schmale Treppe
hochzusteigen. "Ich dachte, ich sei als Bayerin hier in Berlin chancenlos",
sagt sie sichtlich gerührt. Fremd fühle sie sich nicht mehr. "Überall gibts
Weißbier, sogar das Oktoberfest wird teilweise gefeiert", so Ismair.
Außerdem gebe es noch drei andere Bettinas auf der Bühne, da fühle sie sich
sehr wohl, scherzt Ismair. Ihr bayerischer Charme kommt beim Publikum gut
an.
Bei der Vorstellung der Nominierten bat Ismair zuvor um Spenden für ein
ungarisches Mädchen in ihrem Ort, die wegen einer Sklerose dringend ein
Korsett benötigt, derzeit aber nicht krankenversichert ist. Ein Gast, der
anonym bleiben wollte, meldete sich am Ende der Veranstaltung und erklärte,
dass er die notwendigen 3.000 Euro zahlen wird. Die Bayerin Ismair im
doppelten Glück.
Auch die Berliner Gynäkologin Jessica Groß, für die die meisten LeserInnen
votierten, setzt sich für Migranten ein. Ihr "Medibüro" vermittelt seit 13
Jahren in Berlin Menschen ohne gültige Papiere und damit ohne
Krankenversicherung anonym an Ärzte. Während Rufus Beck die Spannungskurve
bei seiner Laudatio für Ismair bis zum Ende hielt, verkündet die zweite
Laudatorin Bettina Böttinger gleich zu Beginn die Siegerin und lobt Groß
und ihren Werdegang als "vorbildlich und beispielhaft dafür, wie auch ein
Leben ohne Knick möglich ist".
Groß holt fünf MitstreiterInnen des Medibüros auf die Bühne. Ohne Team sei
ihre Arbeit gar nicht möglich. "Es ist eigentlich ein Skandal, dass es uns
überhaupt geben muss", sagt die 43-Jährige. Ein Grundrecht dürfe nicht von
der Spendenbereitschaft und dem Engagement Einzelner abhängig sein, so
Groß.
"Kann man ein Ehrenamt messen, darf man ein Ranking erstellen, wessen
Arbeit mehr wert ist", fragt Bettina Gaus in ihrer Rede weiter. "Verdient
hätten es natürlich alle", sagt Moderatorin Bettina Rust. Eine
ernstgemeinte Plattitüde. Die vier Nominierten, die keinen Zeitungspanter
auf braunem Sockel mit nach Hause nehmen dürfen, sehen es sportlich. In
kurzen Clips werden ihre Projekte vorgestellt, in Gesprächen mit Moderator
Jörg Thadeusz und Bettina Rust erzählen sie von ihrer Arbeit.
Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, hatte in einem Text über den
Panterpreis Brechts warnende Worte "Unglücklich das Land, das Helden nötig
hat!" zitiert. Sie mahnt dennoch in ihrer Rede, dass gerade jetzt
Ehrenämter immer wichtiger werden. "Ohne die Arbeit unserer HeldInnen
würden viele Lebensbereiche unserer Gesellschaft nicht funktionieren", so
Pohl. Die nominierten HeldInnen riskierten nicht ihr Leben, sie setzten
sich aber unaufgefordert für andere ein, manche gingen sogar aus
Überzeugung für ihre Sache ins Gefängnis, wie der letztjährige Preisträger,
der Gentechnikgegner und Feldbefreier Michael Grolm.
Der Panter ist groß geworden. Nicht die Trophäe, sondern der Rahmen der
Veranstaltung. Anfangs noch vor 50 Leuten in einer Synagoge gefeiert,
kommen zum Fünfjährigen 1.100 Gäste im großen Saal der Komischen Oper
zusammen. Schauspielerin und Sängerin Maren Kroymann sorgte mit ihrer Band
für die musikalische Untermalung des festlichen Abends.
Am Ende ihrer Rede zeigt sich dann auch Bettina Gaus versöhnt mit dem
Panter, trotz aller Vorbehalte. "Ich habe meine Ansicht revidiert", sagte
sie. Der Staat dürfe nicht aus der Verantwortung entlassen werden, aber
solange Leerstellen in bestimmten Bereichen bestehen, brauche es das
Engagement Einzelner. Wenn sie, die Ehrenamtlichen, die Helden und
Heldinnen des Alltags, die sozialen Aufgaben nicht übernähmen, wer denn
sonst? Gaus schließt einträchtig: "Wir haben keine Chance, aber wir nutzen
sie! Ich mag dieses Motto."
21 Sep 2009
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## AUTOREN
Paul Wrusch
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Radio
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