# taz.de -- SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler: "Es muss einen Neuanfang geben" | |
> Nach der Wahlpleite der SPD fordert der ehemalige Sozialexperte der | |
> Partei, Rudolf Dreßler, die Re-Sozialdemokratisierung seiner Partei. | |
Bild: Nur noch ein Schatten seiner selbst? Franz Müntefering vor SPD-Logo. | |
taz: Herr Dreßler, bedeutet das Wahlergebnis von 23 Prozent das Ende der | |
Volkspartei SPD? | |
Rudolf Dreßler: Das kann man sagen. Aber Vorsicht: Wenn die Parteispitze | |
glaubt, dass nun das Ende der Fahnenstange erreicht ist, dann irrt sie. | |
Sonst wird aus der SPD ganz schnell Westerwelles "Projekt 18" - allerdings | |
in umgekehrter Richtung. | |
Wie konnte es zu diesem Desaster kommen? | |
Die SPD hat sich diese Katastrophe in jeder Beziehung selbst anzulasten. Es | |
gibt keine externen Einflüsse. Die SPD ist nicht an der CDU, nicht an der | |
FDP und auch nicht an Angela Merkel gescheitert. Nichts wurde analysiert. | |
Keiner hat sich Gedanken über Fehler der Vergangenheit gemacht. | |
Muss man die eigene Reformagenda 2010 endgültig begraben? | |
Die Agenda war eine neoliberale Gesetzgebung, die völlig an der Identität | |
der SPD vorbeiging. FDP und Union haben Beifall geklatscht, und in der SPD | |
hat sich keiner darüber gewundert. Seit 1998 hat die SPD 400.000 Mitglieder | |
verloren, 6 Ministerpräsidenten, tausende von Mandate und 11 Millionen | |
Wähler. Diese Verluste liegen zum großen Teil an der Agenda 2010. | |
Warum verschließt sich die SPD der einzigen realen Machtoption: einem | |
Bündnis mit der Linkspartei? | |
Das ist ja fast eine Glaubensfrage in der SPD. Ohne Not wird gesagt: Wir | |
reden nicht mit der Linkspartei - die existiert nicht für uns. Damit hat | |
sich die SPD in die Fänge der Union geworfen. Ein kapitaler Fehler! Wie man | |
auf die Idee kommen kann, die FDP als natürlichen Koalitionspartner zu | |
sehen und die Linke nicht, ist völlig unverständlich. Als ob die FDP eher | |
ihre wirtschaftspolitische Position ändern würde als die Linke ihre | |
außenpolitische. Das kann ich polit-strategisch gar nicht mehr | |
kommentieren. Ich müsste beleidigend werden. | |
Hat man in der SPD ein Problem, sich mit der neuen Mittelmäßigkeit | |
abzufinden? | |
Ja, vollkommen. Jeder, der analysiert, müsste Fehler eingestehen. Diesmal | |
wird sich die Debatte nicht aufhalten lassen. Die Leute haben die Schnauze | |
restlos voll. | |
Fehlt es bei der SPD an Zukunftsideen? | |
Vielleicht. Eins ist klar: Die SPD muss re-sozialdemokratisiert werden. Und | |
das können nicht die Leute machen, die die Identität der SPD auf dem | |
Gewissen haben. Es muss auch einen personellen Neuanfang geben. | |
Das ist eine direkte Kritik an Steinmeier. | |
Wie will man denn mit 23 Prozent der Stimmen den Anspruch erheben, ein | |
starker Oppositionsführer zu werden? Das ist mir völlig unklar. | |
Warum gab es keinen Widerstand dagegen? | |
Die Parteispitze wollte die Debatte von vornherein abwürgen. Aber das ist | |
nicht das Ende der Diskussion. Denn Steinmeier ist der Vater der Agenda | |
2010. Der Vater des Eklats der SPD. Einer wie er kann weder die SPD mit | |
ihrer Identität versöhnen noch kraftvoll aus der Krise herausführen. | |
29 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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