# taz.de -- Antisemitische Klischees bei Fassbinder: "Der reiche Jude" | |
> Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod", soll - | |
> trotz Protesten - morgen in Mülheim an der Ruhr seine deutsche | |
> Uraufführung erfahren. | |
Bild: Zählen, Raffen - antisemitische Klischees gibt es zuhauf. | |
Morgen Abend soll in Mülheim an der Ruhr ein Theaterstück seine deutsche | |
Uraufführung erleben, das in der alten Bundesrepublik Skandal machte wie | |
kein zweites: Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod". | |
Der letzte Versuch einer deutschen Bühne, es zu inszenieren, liegt elf | |
Jahre zurück. Nachdem Gespräche mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde | |
Berlins nicht zu einer einvernehmlichen Lösung geführt hatten, ließ Bernd | |
Wilms, damals Intendant des Maxim-Gorki-Theater, von dem Vorhaben ab. | |
Ob es elf Jahre später in Mülheim anders sein wird, ob die Zeit der | |
abgesagten Premieren, geschassten Kulturfunktionäre, Strafanzeigen, | |
besetzten Bühnen und erbitterten Diskussionen zu Ende geht, ist am Tag vor | |
der Premiere nicht zu sagen. Wohl aber einiges zu den Hintergründen und zu | |
den Debatten, die "Der Müll, die Stadt und der Tod" auslöste. | |
Fassbinder schreibt das Stück 1975, inspiriert von Gerhard Zwerenz Roman | |
"Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond". Eine der Figuren ist ein | |
namenloser Frankfurter Immobilienspekulant, genannt "Der reiche Jude". 1976 | |
wird "Der Müll, die Stadt und der Tod" bei Suhrkamp veröffentlicht. | |
Am 19. März schreibt Joachim Fest in der FAZ, das Stück sei antisemitisch; | |
er sieht "nur noch billige, von ordinären Klischees inspirierte Hetze. Der | |
,reiche' Jude wird als Blutsauger, Spekulant, Betrüger, Mörder und zudem | |
als geil und rachsüchtig dargestellt." Andere Autoren schalten sich ein, | |
Gerhard Zwerenz verteidigt Fassbinder in der Zeit, indem er so naiv wie | |
kategorisch behauptet, linker Antisemitismus sei unmöglich. Der Suhrkamp | |
Verlag zieht den Band zurück, Fassbinder wehrt sich gegen die Vorwürfe in | |
einem öffentlichen Brief. "Es gibt in der Tat unter der Vielzahl der | |
Figuren in diesem Text auch einen Juden. Und das ist sicher nicht zufällig, | |
gewiss. Dieser Jude ist reich, ist Häusermakler, trägt dazu bei, die Städte | |
zu Ungunsten der Menschen zu verändern; er führt aber letztlich doch nur | |
Dinge aus, die von anderen zwar konzipiert wurden, aber deren | |
Verwirklichung man konsequent einem überlässt, der durch Tabuisierung | |
unangreifbar scheint." | |
So weit das Vorspiel. Die Akteure sind in der Mehrheit nichtjüdische | |
Deutsche, Kulturschaffende und Publizisten, die Angelegenheit hat mithin | |
etwas von einem deutschen Selbstgespräch. Der eigentliche Skandal findet | |
1985 statt, drei Jahre nach Fassbinders Tod. An den Frankfurter | |
Kammerspielen wagt sich der neue Intendant an die Uraufführung, Günther | |
Rühle, vormals Leiter des FAZ-Feuilletons. | |
Schon im Vorfeld gibt es viele Proteste, vorangetrieben unter anderem von | |
der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, von einigen Stadtverordneten, von der | |
Frankfurter FDP. Am Abend der Premiere finden sich vor dem Theater etwa | |
1.000 Demonstranten ein, im Theater besetzen gut zwei Dutzend jüdische | |
Frankfurter, unter ihnen Ignatz Bubis, die Bühne mit dem Banner | |
"Subventionierter Antisemitismus" und verhindern die Aufführung. Zwischen | |
den Fronten bewegt sich behände Daniel Cohn-Bendit. Er sagt, er verstehe | |
gut, dass die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sich von "Der Müll, die | |
Stadt und der Tod" verletzt fühlten. Aber: "Das ist ein Stück | |
demokratischer Kultur, damit muss man lernen umzugehen." Und: "Das Stück | |
ist nicht antisemitisch." | |
Zum entgegengesetzten Urteil kommt, wer die drastische Figurenrede als | |
Autorenrede missversteht, ebenso, wer durch das Auftreten einer Figur, die | |
dem antisemitischen Stereotyp par excellence entspricht, den Antisemitismus | |
bereits bewiesen sieht. Zu Cohn-Bendits Fazit kommt, wer in dem Umstand, | |
dass einer mit einem Stereotyp arbeitet, nicht unbedingt die Bekräftigung | |
dieses Stereotyps erkennt. Unter dieser Prämisse versucht "Der Müll, die | |
Stadt und der Tod" darzulegen, wie das Stereotyp in die Welt kommt und | |
welche Funktion es erfüllt. | |
Wenn in dem Stück die Stadtverwaltung die Figur des reichen Juden benutzt, | |
damit sie, wie Fassbinder schreibt, "die Dreckarbeit" erledigt, dann lässt | |
sich die Empörung über die politischen Folgen der Dreckarbeit stets | |
ummünzen in antisemitisches Ressentiment - was freilich eine zweischneidige | |
Sache ist: So wie sich eine Kritik am Kapitalismus in antisemitisches | |
Ressentiment umwandeln lässt, so kann sich umgekehrt das antisemitische | |
Ressentiment in der Kritik des Kapitalismus etwas suchen, womit es sich | |
scheinbar rationalisiert. An diesem Punkt erst wird das aus der Zeit | |
gefallene Stück wieder aktuell: Wer etwa Michael Moores neuen Film | |
"Capitalism: A Love Story" sieht, reibt sich verdutzt die Augen, wie | |
abfällig darin die Namen der jüdischen Banker genannt werden und wie | |
bereitwillig die Unterscheidung zwischen gutem, produktivem und bösem, | |
spekulativem Kapital getroffen wird. | |
Im Hintergrund steht für Fassbinder aber noch etwas anderes. Er beklagt | |
eine merkwürdige Koexistenz. Auf der einen Seite gibt es in der | |
Bundesrepublik des Jahres 1975 keine nennenswerte Auseinandersetzung mit | |
den Verbrechen der Nazis, keine wirkliche Empathie für die Opfer, keine | |
Diskussion der Frage, wohin denn der mörderische Antisemitismus, der noch | |
vor 30 Jahren in den Köpfen der Deutschen steckte, sich verflüchtigt hat. | |
Auf der anderen Seite wird eine Normalität im Verhältnis von nichtjüdischen | |
und jüdischen Deutschen suggeriert. Diesen Widerspruch hat Fassbinder immer | |
wieder hervorzuarbeiten versucht. | |
Man kann dagegen immer noch vorbringen: Das ist ein Gespräch, das ein | |
nichtjüdischer deutscher Künstler mit sich selbst führt; eine künstlerische | |
Konstruktion, die die Positionen der jüdischen Deutschen nicht zur Kenntnis | |
nimmt. Zugleich nimmt das Stück den Charakter einer paradoxen Intervention | |
an: Der Protest gegen die Aufführung schafft zum ersten Mal in der | |
Geschichte der Bundesrepublik eine Situation, in der jüdische Deutsche die | |
Sprecherposition für sich reklamieren, indem sie laut, gemeinsam und | |
öffentlich auftreten. | |
29 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Rainer Werner Fassbinder | |
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