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# taz.de -- Community Organizing: In Schöneweide schmeißen die Bürger den La…
> Auf einem alten Industriegebiet in Schöneweide eröffnet am 1. Oktober der
> Campus der HTW. Dafür hat eine Bürgerplattform den Politikern lange auf
> die Füße getreten.
Bild: Dank Community Organizing können Schüler*innen in Treptow-Köpenick per…
Seit neun Jahren engagiert sich Ines Schilling für ihren Kiez Schöneweide.
"Leider ist der Name so negativ besetzt", Anwohner würden sich gar nicht
trauen zu sagen, dass sie hier wohnen. Das soll sich ändern, sagt die
Leiterin des Generationenclubs KES (Kinder, Eltern, Senioren). Schilling
ist Mitglied der Bürgerplattform "[1][Organizing Schöneweide] - Menschen
verändern ihren Kiez". Sie sagt: "Ich möchte meinen Urenkeln mal sagen
können: Hier ist es schön!"
Der bisher größte Erfolg der Bürgerplattform ist die Ansiedlung der
Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). 2006 bevölkerten die ersten
1.000 Studierenden das Gelände an der Wilhelminenhofstraße. Ab Oktober
kommen weitere 5.000, dazu rund 200 Professoren und damit neues Leben nach
Oberschöneweide, dem alten Industriekiez.
Bis dahin war es ein langer Weg. Mit Leo Penta, Professor an der
Katholischen Hochschule für Sozialwesen, kam die Idee des "Community
Organizing" 1999 aus den USA nach Schöneweide. Im New Yorker Stadtteil
Brooklyn hatte Penta als "Community Organizer" gearbeitet. 2006 rief er das
Deutsche Institut für Community Organizing (Dico) ins Leben, das die
Bürgerplattform "Organizing Schöneweide" seitdem wissenschaftlich
begleitet.
Die Idee des Community Organizing wurde in den 1920er Jahren in den
Armenvierteln von Chicago entwickelt: "Organizer" sollen die Bewohner
ermutigen und mit Rat und Tat bestärken, ihre Interessen durchzusetzen. Im
Unterschied zum Quartiersmanagement organisieren sich also die Bürger
letztlich selbst, setzen Themen, sind unabhängig von staatlicher Zuwendung.
Hartnäckig klopfen sie immer wieder an die Türen von Politik und
Wirtschaft. Seit 2002 haben sie mit Gunther Jancke, einem ehemaligen
Penta-Studenten, ihren eigenen "Organizer", der ihnen hilft, sich selbst zu
helfen.
Inzwischen engagieren sich mehr als 20 Gruppen, darunter Kirchengemeinden,
Gartensiedlungen, Schulen, Kindergärten, Heimatvereine und Geschäftsleute,
in der Plattform, erzählt Jancke. Sie wollen wissen, was mit ihrem Kiez und
seinem 90 Hektar leerstehenden Industriebauten passiert, und zwar auf lange
Sicht. Es gehe auch darum, "dass die Kirche mal mit den Kleingärtnern redet
und umgekehrt", sagt Jancke. Beziehungen sind der Klebstoff, der alles
zusammenhält und die Plattform für das permanente Nachhaken stark macht.
Vier Jahre lang hat "Organizing Schöneweide" in direkten Gesprächen mit dem
Regierenden Bürgermeister, Senatoren, Staatssekretären und Abgeordneten für
die Ansiedlung der HTW gekämpft. Mit direkten Aktionen, wie der Verleihung
der "Schnatternden Enten" an den Senat oder einer Tram-Fahrt durch
Schöneweide mit dem damaligen SPD-Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe,
wollten sie Druck ausüben.
Jetzt laufen auf dem Gelände des ehemaligen Kabelwerks Oberspree die
letzten Vorbereitungen. Vom 1. bis 4. Oktober wird HTW-Campus-Eröffnung
gefeiert. 120 Millionen Euro sind in den Bau und die Sanierung des 40.000
Quadratmeter großen Geländes geflossen. Die Bücher stehen schon griffbereit
in der Bibliothek. Am Spreeufer liegt die Mensa, mit Terrasse und Blick
aufs Wasser. Studierende können sich künftig sogar in einem Fitnessroom
austoben.
"Wir setzen auf enge wirtschaftliche Kooperation mit den Unternehmen vor
Ort", sagt Hans-Herwig Atzorn, Vizepräsident der HTW. Gemeint sind der
Chiphersteller Silicon Sensor, die BAE-Batterienfabrik und das Technologie-
und Gründerzentrum Spreeknie. In Letzterem sitzt mit einer
Softwareentwicklungsfirma die erste Ausgründung der Hochschule vor Ort.
Ein Professor habe Schöneweide schon zu seinem Wohnort gemacht, so Atzorn.
Allerdings würden etwa die Modestudenten, die abends länger blieben, nur zu
zweit zum S-Bahnhof Schönweide fahren, weil sie Angst vor rechtsextremen
Übergriffen hätten, erzählt er. Schöneweide ist eben noch kein Stadtteil,
in dem man unbeschwert abends rumläuft.
"Allein mit der HTW ist es nicht getan", so Ines Schilling über die
Entwicklung ihres Stadtteils. "Studenten machen noch lange keine Cafés,
Unternehmen müssen angesiedelt werden", sagt sie. Im Mai 2007 riefen die
Mitglieder der Bürgerplattform daher die "Schöneweide AG" ins Leben. Das
Ziel: Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen im Kiez und Schaffung von 440
Arbeitsplätzen. Letzteres nicht ohne Grund: Auf der Versammlung der
Aktionsgemeinschaft waren 440 Menschen anwesend. Auch Wirtschaftssenator
Harald Wolf (Linke), den Liegenschaftssfonds Berlin und die
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung haben sie zu Aktionären gemacht. "Die
stehen jetzt in der Verantwortung", sagt Schilling und pocht mit dem Finger
auf den Tisch.
Die Schöneweider wollen es eben ganz konkret wissen. Als politische Lobby
für den Stadtteil haben sie sich im Mai dieses Jahres mit der
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Vertretern aus Kultur und Verwaltung zur
Standortkonferenz getroffen. Das Ergebnis ist die Einrichtung eines
Regionalmanagments ab 2010. Ein "Kümmerer für Schöneweide" soll dann über
drei Jahre hinweg professionelle Ansiedlungspolitik betreiben. 50.000 Euro
Anschubfinanzierung pro Jahr hätten örtliche Unternehmen bereits
zugesichert, das sichert zusätzliche 200.000 Euro aus dem Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
Schilling zog 1988 nach Schöneweide. "Damals", sagt sie, "musste ich das
Gesicht meines Kindes nach jedem Spaziergang in der Wilhelminenhofstraße
abwaschen", so viel Dreck lag in der Luft. Mit dem Wegbruch der Industrie
nach der Wende starben auch die Geschäfte ab, keiner fühlte sich mehr wohl
im Stadtteil. "Ich möchte das Menschen hier leben und Arbeit haben", sagt
Schilling. "Wer Arbeit hat, ist auch sozial unabhängig."
"Organizing Schöneweide" ist eine von drei "Community
Organizing"-Plattformen in Deutschland. 2008 gründete sich die
Bürgerplattform Wedding/Moabit. Die dritte ist in Hamburg. Auch Barack
Obama hat drei Jahre als Organizer in Chicago gearbeitet - und mit dem
Konzept eine Präsidentenwahl gewonnen.
30 Sep 2009
## LINKS
[1] http://www.organizing-berlin.de/
## AUTOREN
Alexandra Gdanietz
## TAGS
Selbsthilfe
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