| # taz.de -- Unicef-Bericht: Die unsichtbaren Kinder | |
| > Gewalt, Ausbeutung, Misshandlung: Die Lage der Kinder auf der Welt ist | |
| > erschreckend. Laut Unicef werden viele Neugeborene erst gar nicht | |
| > registriert und existieren offiziell nicht. | |
| Bild: Schätzungsweise 40 Millionen Kinder pro Jahr werden bei ihrer Geburt nic… | |
| Über 75 Prozent aller Kinder in einer Reihe von arabischen und | |
| westafrikanischen Ländern - Jemen, Sierra Leone, Kamerun, | |
| Zentralafrikanische Republik, Syrien, Togo - werden körperlich misshandelt. | |
| Über 70 Prozent der Frauen in Ägypten, Sudan, Äthiopien, Eritrea und | |
| Somalia sind als Kinder Opfer von Genitalverstümmelung geworden. Fast jede | |
| zweite Frau in Südasien wurde bereits als Minderjährige verheiratet, in den | |
| Sahel-Staaten Niger, Tschad und Mali sind es über 70 Prozent. Jedes dritte | |
| Kind unter 14 Jahren in Afrika südlich der Sahara muss arbeiten, in | |
| Kambodscha fast jedes zweite. Fast jedes zweite behinderte Kind in der | |
| Mongolei wird regelmäßig schwer verprügelt. Über eine Million Kinder sitzen | |
| weltweit in Gefängnissen, die Mehrheit davon ohne Urteil und viele unter | |
| Erwachsenenstrafrecht. Diese und andere niederschmetternden Daten über die | |
| Lage der Kinder auf der Welt enthält ein neuer Bericht des | |
| UN-Kinderhilfswerks Unicef, der am Dienstag veröffentlicht wurde. | |
| Erstellt wurde der neue Report als einer von mehreren | |
| UN-Fortschrittsberichten über die Erfüllung des UN-Millenniumsziels zur | |
| Halbierung der weltweiten Armut bis 2015, wozu unter anderem | |
| Grundschulbildung für alle und die Reduzierung der Kindersterblichkeit um | |
| zwei Drittel gehört. Aber der Bericht geht weit über diese Fragen hinaus. | |
| "Viel zu viele Kinder auf der Welt sind Opfer von Gewalt, Ausbeutung und | |
| Misshandlung", bilanziert Unicef. "Es muss eine konzertierte Aktion geben, | |
| um die Rechte von Kindern zu schützen und ihre Chancen auf Erfüllung ihrer | |
| Potenziale zu erweitern." | |
| Als Hauptgrund, warum dies bisher nicht klappt, nennt Unicef ein bislang | |
| vernachlässigtes, weil eher technisch anmutendes Problem: Sehr viele Kinder | |
| werden bei der Geburt nicht registriert - und existieren offiziell nicht. | |
| "Kinder und Erwachsene, deren Geburten nicht registriert wurden, sind in | |
| den Augen des Staates praktisch unsichtbar", so Unicef. "Das macht sie oft | |
| für den Schutz und die Dienstleistungen unerreichbar, auf die sie Anspruch | |
| haben, wie Gesundheitsversorgung und Bildung. Es kann ihnen auch später die | |
| Bürgerrechte verwehren: Zum Beispiel kommt es vor, dass sie keinen | |
| Reisepass erhalten, heiraten, wählen, ein Konto eröffnen oder Besitz erben | |
| können." Auch Kinderschutzgesetze, die auf eine bestimmte Altersgruppe | |
| zugeschnitten sind, können in der Realität nur durchgesetzt werden, wenn | |
| das Alter von Kindern nachweisbar ist. | |
| Und das ist es oft nicht: Weltweit blieben im Jahr 2007 von insgesamt rund | |
| 140 Millionen Geburten 51 Millionen unregistriert. In den ärmeren | |
| Weltregionen ist das nicht die Ausnahme, sondern die Regel. 64 Prozent | |
| aller Kinder im Alter bis zu fünf Jahren in Afrika südlich der Sahara sowie | |
| in Südasien sind laut Unicef nicht registriert. In Ostasien - ohne China, | |
| für das keine Daten vorliegen, das aber durch seine Familienpolitik | |
| Geburten sehr genau überwacht - sind es lediglich 28 Prozent. Im Nahen | |
| Osten sind es 25 Prozent, in Lateinamerika 11 Prozent. Es gibt sehr große | |
| Unterschiede auch zwischen Ländern mit ähnlichem Entwicklungsstand: | |
| Tansania registriert nur 8 Prozent seiner Neugeborenen, das benachbarte | |
| Ruanda 82 Prozent. | |
| Die "unsichtbaren Kinder" sind recht- und schutzlos, familiärer und anderer | |
| Willkür ausgeliefert. In West- und Zentralafrika sind Kinderschutzgesetze, | |
| wie sie zahlreiche Regierungen in jüngster Zeit auf internationalen Druck | |
| hin verfügt haben, deswegen nur schwer durchsetzbar: Von elf Ländern mit | |
| Gesetzen gegen Genitalverstümmelung haben nur vier - Burkina Faso, Ghana, | |
| Senegal und Sierra Leone - dagegen tatsächlich rechtliche Schritte | |
| unternommen. Auch sexuelle Ausbeutung und Kinderhandel bleiben laut Unicef | |
| in dieser Weltregion weitverbreitet. Die Zahl verstoßener oder verwaister | |
| Kinder im westlichen und zentralen Afrika ist zwischen 2001 und 2007 um | |
| rund ein Sechstel auf 22,7 Millionen gestiegen, im östlichen und südlichen | |
| Afrika um ein Viertel auf 25 Millionen. Hierzu sind neben der Ausbreitung | |
| von Aids auch neue Phänomene wie die Verfolgung angeblicher "Hexenkinder" | |
| mitverantwortlich. Auch solchen Exzessen ist mangels offizieller Existenz | |
| der betroffenen Kinder juristisch nicht beizukommen. In Südasien werden | |
| nach wie vor zahlreiche Mädchen verheiratet, bevor sie die Pubertät | |
| erreichen. | |
| Für den Nahen Osten sowie Lateinamerika betont Unicef die außerordentlich | |
| weite Verbreitung brutaler körperlicher Gewalt gegenüber Kindern; hinzu | |
| kommen in Teilen Lateinamerikas Kinderhandel und die routinemäßige | |
| Inhaftierung Minderjähriger. In diesen Weltregionen funktioniert die | |
| Geburtenregistrierung. Von den schlimmsten Formen der Versklavung und | |
| Verstümmelung können die Kinder dadurch verschont bleiben - von anderen | |
| Formen der Misshandlung nicht. | |
| 7 Oct 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Genitalverstümmelung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| UN gegen Mädchenbeschneidung: „Verletzung der Menschenrechte“ | |
| Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschließt eine umfassende | |
| und weltweite Ächtung der Genitalverstümmelung bei Mädchen. | |
| Kommentar Unicef-Bericht: Systematisch vergessene Kinder | |
| Abermillionen Kinder existieren offiziell gar nicht, weil sie ohne Papiere | |
| aufwachsen. Das Problem ist lösbar. |