# taz.de -- Enttäuschung in El Salvador: Linker Präsident mit rechter Politik | |
> Der linke Präsident Funes setzt auf ein umstrittenes Staudammprojekt | |
> seines rechten Vorgängers. Bisher halten sich die alten Guerilla-Freunde | |
> zurück - wie lange noch? | |
Bild: Doch kein Politikwechsel mit Mauricio Funes? Anhänger feiern mit seinem … | |
Drei Tage lang stehen die Bauern schon im Schatten einiger Bäume vor dem | |
verschlossenen Eisentor. Hinten, am Ende des Parks, können sie die | |
neoklassizistische Säulenfassade des gut hundert Jahre alten Gebäudes | |
erkennen, des Präsidentenpalasts von El Salvador. Dort residiert seit 1. | |
Juni Mauricio Funes, der erste linksgerichtete Präsident El Salvadors. | |
Die Bevölkerung des Landes wählte den ehemaligen Guerillero der Nationalen | |
Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) am 15. März ins höchste Staatsamt. | |
Die Bauern, die vor dem Palast demonstrieren, wollen mit ihrem Präsidenten | |
reden. Sie haben Pappschilder mitgebracht, auf denen gefordert wird: Der | |
Bau des Staudamms El Chaparral muss eingestellt werden. Das Projekt des 220 | |
Millionen Dollar teuren Wasserkraftwerks hatte die rechte | |
Vorgängerregierung angeschoben. Sollte es tatsächlich gebaut werden, | |
versänke ein halbes Dutzend Dörfer im Osten des zentralamerikanischen | |
Landes in einem Stausee - und mit ihnen die Felder der Bauern. | |
Die Demonstration vor dem Präsidentenpalast fand Mitte Juli statt. Aber | |
Funes empfing die Bauern nicht. Er schickte nur zwei seiner Angestellten | |
vor das Tor, die sich die Anliegen der Bauern anhören sollten. Tage später | |
trat der Präsident vor die Presse und sagte, der umstrittene Staudamm werde | |
gebaut. | |
Dort, wo er entstehen soll, war während des Bürgerkriegs (1980 bis 1992) | |
eine der am meisten umkämpften Konfliktzonen. Zahlreiche Landwirte, die vor | |
dem Präsidentenpalast protestierten, hatten damals in der Guerilla | |
gekämpft. Dass sie bei der Vorgängerregierung der Rechtsaußenpartei | |
National-republikanische Allianz (Arena) für ihr Anliegen kein Gehör | |
fanden, war klar. Aber da nun der amtierende Präsident ebenfalls auf den | |
Staudammbau setzt, irritiert die Anwohner. | |
Im November vergangenen Jahres wurde trotz vieler Proteste mit den | |
Bauarbeiten begonnen. 2012 soll das Projekt fertiggestellt werden. "Es | |
schmerzt uns, dass uns Mauricio nicht einmal fünf Minuten zugestanden hat", | |
sagt einer der Demonstranten. "Als er im Wahlkampf zu uns in die Dörfer | |
kam, sind die Leute vor Morgengrauen aufgestanden und haben Stunden auf ihn | |
gewartet." | |
Präsident Funes wird inzwischen von seiner eigentlichen Basis, den | |
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, erstaunlich scharf angegriffen. Die | |
erste Linksregierung des Landes sei alles andere als revolutionär, | |
kritisieren sie. Man könne kaum einen Unterschied zu früher feststellen. | |
"Riesige Staudämme sind Teil einer energiepolitischen Vision von | |
vorgestern", sagt etwa Angel Ibarra, der Vorsitzende der Umweltorganisation | |
Ökologische Einheit El Salvadors. Aber der Damm von El Chaparral sei eben | |
"von dem Herrn Salume erfunden worden". Salume heißt mit Vornamen Nicolás | |
und ist seit fünf Jahren Präsident der staatlichen Wasserkraftwerke CEL. | |
Er ist der einzige Funktionär der Arena-Regierung, den Funes übernommen | |
hat. Und er propagiert seit Jahren den Bau sündhaft teurer Mammutprojekte. | |
Warum durfte er seinen Job in der neuen Regierung weitermachen? | |
Salvadorianer haben dafür nur eine Erklärung: Der Vater von Salume, ein | |
hochpotenter Unternehmer, sah einen Regierungswechsel kommen und hatte den | |
Wahlkampf von Funes mit drei Millionen Dollar unterstützt. | |
Funes plädiert derweil für den Weiterbau des Staudamms. Sein Argument ist, | |
dass mögliche zusätzliche Kosten anfallen könnten, falls das Projekt | |
gestoppt würde. Der Staat könnte von der beauftragten italienischen | |
Baufirma mit einer Millionenklage überzogen werden. Ibarra hält hingegen | |
die Kosten des Projekts ohnehin für weit übertrieben. Von der Regierung | |
verlangt Ibarra, sie solle nicht auf überkommene Mammutprojekte setzen, | |
sondern Strategien zum Energiesparen entwickeln und in dem tropischen Land | |
auf Energie aus Sonnenkraft und Erdwärme setzen. | |
Funes war noch keine vier Monate im Amt, da erlebte das Land eine weitere | |
Welle sozialer Proteste. Kleinbauern blockierten die wichtigsten | |
Verbindungsstraßen des Landes und forderten eine bessere Verteilung der | |
staatlichen Landwirtschaftshilfen. Funes vertröstete sie mit dem | |
Versprechen, bei der nächsten Aussaat würden auch sie berücksichtigt. "Die | |
Regierung sollte endlich klar sagen, auf wessen Seite sie steht und für wen | |
sie regiert", fordert Dagoberto Gutiérrez, ein ehemaliger Comandante der | |
Guerilla, der Ende der 90er-Jahre aus der FMLN ausgetreten ist und die | |
Organisation Revolutionäre Tendenz gegründet hat. | |
Bislang hat sich das Murren der organisierten Basis noch nicht in den | |
Meinungsumfragen niedergeschlagen. Nach 100 Tagen im Amt bekam Funes von 70 | |
Prozent der Salvadorianer ein positives Zeugnis ausgestellt. Er hat | |
Sozialprogramme angekündigt, von denen freilich noch nichts zu sehen ist: | |
Er will 27.000 neue Wohnungen bauen, Alten, die in extremer Armut leben, | |
eine Mindestrente bezahlen, und vor dem nächsten Schuljahr Uniformen, | |
Bleistifte und Hefte verteilen lassen. Für soziale Bewegungen und | |
Gewerkschaften sind diese Programme allerdings nicht mehr als ein Tropfen | |
auf einen heißen Stein. | |
Ricardo Ribera, Historiker an der Zentralamerikanischen Universität von San | |
Salvador, sieht den Druck der linken Basis mit gemischten Gefühlen. Die | |
sozialen Bewegungen könnten schnell in die Rolle geraten, die | |
Gewerkschaften Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Chile | |
unter der noch jungen sozialistischen Regierung von Salvador Allende | |
spielten. Wenn die Linke die Regierung zu sehr unter Druck setze, könne | |
dies die Rechte ausnutzen und das Land destabilisieren. Allende wurde nach | |
knapp drei Jahren gestürzt. Ein ähnliches Szenario müsse unter allen | |
Umständen vermieden werden. "Das einzig Wichtige ist, dass sich die | |
Richtung der Politik ändert", sagt Ribera. "Aber man darf diesen | |
Richtungswechsel nicht überstürzen." Zudem müsse Funes in einem schwierigen | |
Umfeld regieren: "Zum ersten Mal ist die Linke an der Macht, und das | |
erwischt sie mitten in einer internationalen Wirtschaftskrise." El | |
Salvadors Wirtschaft wird in diesem Jahr voraussichtlich um 1 Prozent | |
schrumpfen. Dazu kommt eine Krise der Auslandsüberweisungen. Die Summe des | |
Geldes, die Auslandssalvadorianer in die Heimat überwiesen haben, ist in | |
den vergangenen Jahren stetig gestiegen. In diesem Jahr wird sie | |
voraussichtlich um rund 10 Prozent oder 350 Millionen Dollar sinken. | |
Zur Finanzierung von Sozialprogrammen braucht das Land eine Steuerreform, | |
doch Funes und sein Wirtschaftsteam nehmen dieses Wort nicht gern in den | |
Mund. Statt rentable Firmen und die Reichen des Landes in die Pflicht zu | |
nehmen, denken sie über höhere Steuern auf Alkohol und Neuwagen nach. Ein | |
vor kurzem eingerichteter runder Tisch zu wirtschaftlichen und sozialen | |
Themen soll konkrete Vorschläge erarbeiten. Die Unternehmer sitzen dort mit | |
am Tisch. Ein ähnliches Gremium war schon im Friedensvertrag von 1992 | |
vereinbart worden, hatte aber nie zu irgendwelchen Ergebnissen geführt. | |
Zweifel an der politischen Ausrichtung ihres Kandidaten hatten Teile der | |
militanten Basis der Exguerilla schon während des Wahlkampfs geäußert. Aber | |
Funes, ein populärer vormaliger Fernsehjournalist, eröffnete die | |
Perspektive, endlich einmal nach vier verlorenen Präsidentschaftswahlen zu | |
gewinnen. Nach einem Wahlsieg, so hofften die Kader damals, könne der | |
Präsident dann in die Parteilinie eingebunden werden. Doch Funes hat sich | |
bislang gesträubt. | |
Er sucht nicht die Nähe von Venezuela, Nicaragua und Kuba, den | |
traditionellen Alliierten der FMLN. Seine Regierung hat zwar diplomatische | |
Beziehungen zu Kuba aufgenommen. Ansonsten aber orientiert sie sich am | |
sozialdemokratischen Kurs von Brasiliens Präsident Luiz Inácio "Lula" da | |
Silva, mit dem Funes persönlich befreundet ist. Nur ist Brasilien eben ein | |
Schwellenland und El Salvador noch weit davon entfernt. Mit den USA will | |
Funes Konflikte vermeiden. "Der antiimperialistische Diskurs, den die FMLN | |
lange gepflegt hat, macht keinen Sinn, wenn ein Drittel unserer Bevölkerung | |
in den USA lebt", sagt er. | |
Noch halten sich die alten Guerilla-Comandantes im FMLN-Präsidium mit | |
öffentlicher Kritik an ihrem Präsidenten zurück. Man müsse dem Mann mehr | |
Zeit geben. Die Bauern im Osten des Landes sind da direkter. "Es ist eine | |
Schande, dass eine Partei, die einmal eine Partei des Volkes war, sich nun | |
gegen dieses Volk wendet", sagt Manuel de Jesús Romero, der die Proteste | |
gegen den Bau des Staudamms El Chaparral mitorganisiert. "Wenn heute wieder | |
Wahlen wären, würden sich viele überlegen, ob sie noch einmal für die FMLN | |
stimmen sollen." | |
7 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Cecibel Romero | |
Cecibel Romero | |
## TAGS | |
Protest | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umstrittenes Staudamm-Projekt in Chile: Ein Dorf kämpft um sein Zuhause | |
Im chilenischen San Fabián will eine italienische Firma den Bau eines | |
Staudamms durchdrücken – auch gegen den Willen der BewohnerInnen. | |
UN kritisiert El Salvador: Weg mit dem Abtreibungsverbot! | |
El Salvadors Frauenpolitik in der Kritik: Die Regierung soll Frauen und | |
Ärzte nicht mehr wegen Schwangerschaftsabbruchs juristisch verfolgen, | |
fordert der UN-Menschenrechtsrat. |