# taz.de -- Berliner "Neues Museum" wieder offen: Nofretete empfängt wieder | |
> Die Museumsinsel ist komplett – Im Neuen Museum, erneuert vom | |
> Star-Architekten David Chipperfield, hat die Nofretete ihren alten Platz | |
> eingenommen. | |
Bild: Wer ist die Schönste im ganzen Land? | |
Das Neue Museum war noch im Bau, als Richard Lepsius, der heute als der | |
geistige Gründer der Ägyptologie in Berlin gilt, 1845 aus Kairo einen Brief | |
nach Berlin schrieb: "Für die ägyptischen Säle wählen Sie gewiss auch eine | |
ägyptische Architektur. Unerlässlich sind dann aber die farbigen | |
Wandgemälde." Und er schlug als Thema der Bilder "eine vollständige | |
Königsreihe, wie sie keine originale Königsliste bietet, eine | |
Zusammenstellung der verschiedenen Götterkreise, wie sie in dieser | |
Systematik in Altägypten nirgendwo belegt sind" vor, wie Dietrich Wildung, | |
bis August 2009 langjähriger Direktor des Ägyptischen Museums, 1990 | |
kritisch in einem Katalog anmerkte, der sich mit der Geschichte der | |
Ägyptologie und der Ägyptenmode in Europa befasste. Abgebildet war dazu der | |
"Ägyptische Tempelhof" nach Lepsius Entwürfen, in dem die originalen | |
Kunstwerke und die ägyptisierende Ausmalung zu einer überwältigenden | |
Inszenierung verschmolzen. | |
"Das Neue Museum selbst ist Beleg der Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts", | |
sagt Friederike Seyfried, seit August neue Direktorin des Ägyptischen | |
Museums und der Papyrussammlung, im Mythologischen Saal, und zeigt auf die | |
blaugoldenen, nun sorgfältig restaurierten Reste der Decken- und | |
Wandbemalung in großer Höhe. Der Fries umlaufender Figuren ist unterhalb | |
der Kniehöhe oft nicht mehr vorhanden. Dass sich die Bemalung dort | |
überhaupt erhalten hat, über die 60 Jahre hinweg, die das schwer von den | |
Bomben des Zweiten Weltkriegs geschädigte Museum als Ruine Wetter und | |
Wildwuchs ausgesetzt war, liegt an den Geschmackswandlungen des 19. | |
Jahrhunderts. Bald habe man die Lepsius-Kulisse doch als zu bunt und | |
kitschig empfunden, erzählt die Direktorin, und schon 1870 eine | |
Zwischendecke eingezogen, die wie eine Zeitkapsel bewahrte, was kurz zuvor | |
noch als Inbegriff historischer Vermittlung galt. | |
Kann es einen besseren Ort als diesen Mythologischen Saal geben, um in das | |
wechselvolle Spiel zwischen Wissenschaft und Mode, Forschung und | |
ästhetischer Wahrnehmung einzuführen? Wohl kaum. Hier wird der Prolog | |
aufgeführt, mit Dokumenten über die Expeditionen der Berliner Forscher nach | |
Ägypten und in den Sudan auf der einen Seite und Zeugnissen von der Lust am | |
ägyptischen Stil auf der anderen. Eine gusseiserne Sphinx als | |
Briefbeschwerer, ein Pyramidenbau, der in den Potsdamer Schlossgärten einen | |
Eiskeller nobilitiert, gingen dem wissenschaftlichen Interesse an Ägypten | |
voraus. Das wurde erst durch die Entzifferung der bilderreichen | |
Hieroglyphenschrift durch den Franzosen Jean-François Champollion in den | |
Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts befeuert. Auf dessen Spuren | |
weiterzuforschen, musste der junge preußische Philologe Lepsius übrigens | |
erst überredet werden, mit dem Versprechen einer Anstellung im entstehenden | |
Neuen Museum. | |
Wenn sich schon die Geschichte nicht vollständig erforschen und in | |
Artefakten repräsentieren lässt, ihr dann wenigstens durch die | |
architektonische Rahmung den Anschein eines Triumphzugs der Geschichte zu | |
geben, war das Programm der Erbauer des Neuen Museums nach einem Entwurf | |
des Hofbaurats Friedrich August Stüler. Dass die Restaurierung und | |
Ergänzung der inzwischen wohl prominentesten Ruine von Berlin durch den | |
englischen Architekten David Chipperfield diese von preußischem Größenwahn | |
und Fortschrittsglauben unterfütterte Fantasie nicht als Fake nachgebaut | |
hat, sondern deren Fragmente in ihrer Historizität ausstellt, liebevoll | |
zwar, aber auch mit allen Beschädigungen der Zeit, wurde schon bei der | |
Übergabe des fertigen Baus im März gefeiert. Sich zu den Brüchen der | |
Geschichte bekennen zu können, gilt als große Tugend der Architektur aus | |
monumentaler Schlichtheit und Artefakten vergangener Dekorationswut. | |
Die Befürchtung aber, dass nun das Gebäude selbst den Sammlungen des | |
Ägyptischen Museums und des Museums für Vor- und Frühgeschichte die Schau | |
stiehlt, erweist sich heute, bei der feierlichen Wiedereröffnung, als | |
unbegründet. Vielmehr passt die Collage historischer Schichten sehr gut zum | |
so oft fragmentarischen Charakter der archäologischen Fundstücke und die | |
teilweise dramatischen Raumstimmungen unterstützen die Inszenierung der | |
Werke. | |
Da ist zum Beispiel der Niobidensaal mit reich ornamentiertem Mosaikboden, | |
skulpturenumrahmten Portalen und dunkelroten Wänden, der nun mit speziellen | |
Lesevitrinen zu einer fast intimen "Bibliothek der Antike" geworden ist. | |
Über den Audioguide kann man sich dort Quellentexte in Übersetzungen | |
vorlesen lassen, die man zugleich, auf Leder, Scherben oder Papyrus | |
geschrieben, vor Augen hat. Da ist die sogenannte Armana-Plattform im | |
Ägyptischen Hof, auf die das Licht von weit oben durch eine Kunst- und | |
Tageslichtdecke beinahe greifbar herabfällt auf die zart skulptierten Köpfe | |
jener Königsfamilie, die mit dem Glauben an die Kraft des Lichts einen | |
neuen und mächtigen Monotheismus begründete, von Echnaton und Nofretete. | |
Und da ist schließlich der nördliche Kuppelsaal, in dem Nofretete fast | |
allein Hof halten darf. So viel Ehre ward ihr zu Beginn ihrer musealen | |
Karriere, als sie 1925 das erste Mal mit der Armana-Sammlung ins Neue | |
Museum kam, nicht zuteil. | |
Lässt sich rational erklären, warum gerade sie zum prominentesten Objekt | |
der Sammlung wurde? Warum sie für viele zu der Chiffre ägyptischer Kunst | |
schlechthin wurde, obwohl sie doch nur für eine schmale Epoche von 20, | |
freilich sehr reich dokumentierten Jahren innerhalb von 3.000 Jahren | |
ägyptischer Kunst steht? Ihre Schönheit, vermutet Friederike Seyfried, muss | |
dem Schönheitsideal der Zwanzigerjahre entsprochen haben. Dazu die | |
Geschichte von ihrer machtvollen Stellung, gleichberechtigt neben Echnaton, | |
nicht nur im Staat, sondern auch im religiösen Kult. | |
Ein Lieblingsstück von Friederike Seyfried ist eine unvollendete Nofretete, | |
auf der noch die eingezeichneten Markierungen des Bildhauers auf Stirn und | |
Wangen für eine Perfektionierung ihrer Gesichtsmodellierung zu sehen sind. | |
Weil sich an diesem Objekt auch die Arbeit des Bildhauers vermitteln lässt, | |
Handwerk und Beobachtung, ist es geeignet, von der Bewunderung des Schönen | |
zum Verstehen seiner Entstehung zu gelangen. Tatsächlich ist die | |
Präsentation, deren Konzept sozusagen den Abschluss von Dietrich Wildungs | |
Lebenswerk bildet, vor allem darauf bedacht, über vergleichendes Sehen die | |
Unterschiede sehen zu lernen. Dafür wechseln chronologische mit | |
thematischen Ordnungen, die Vermittlung von Geschichte mit Vermittlung von | |
Ästhetik. | |
Aus Tempeln und aus Gräbern stammen viele der ägyptischen Kunstwerke, auch | |
gerade dann, wenn sie den Alltag illustrieren. Wie das Modell eines | |
Ruderbootes oder von der Arbeit in einem Kornspeicher, das als Grabbeigabe | |
dem Verstorbenen garantieren sollte, auch im Jenseits genug Korn zu haben. | |
Vieles davon drängt sich jetzt in Kellergewölben des Neuen Museums. | |
Auf dieser untersten Ebene sind einige spektakuläre Flächen der Begegnung | |
der verschiedenen archäologischen Sammlungen vorbehalten, einem neuen | |
Konzept der Staatlichen Museen. Der monumentale Torso eines Zeus trifft in | |
dem vier Geschosse tiefen Griechischen Hof auf kumanische Ahnenstatuen aus | |
Südrussland, Pharaos Jagd in der Wüste entfaltet sich als Relief | |
dazwischen, weiter oben fantasiert ein Fries des 19. Jahrhunderts, wie die | |
Menschen, die der Ausbruch des Vesuvs aus Pompeji vertrieben hat, im Neuen | |
Museum in Berlin Rettung finden. | |
Die Träume von göttlicher Ordnung und musealer Ordnung hallen hier wider, | |
sind nicht zur Deckung zu bringen, die einen wie die anderen zum Mythos | |
geworden. Ein verwirrender und darum auch sympathischer Raum, der nicht | |
Erklärbarkeit behauptet, wohl aber der Lust an der Deutung und am | |
Widerspruch Raum lässt. Nicht gerade bescheiden, aber Größe immer mit | |
Untergang zusammendenkend. | |
"Die Einheit der Deutschen findet zuerst im Museum statt", befand | |
Peter-Klaus Schuster, damals Generaldirektor der Staatlichen Museen zu | |
Berlin, schon 1999 bei der Wiederöffnung der Alten Nationalgalerie. Dass | |
mit dem Neuen Museum erstmals seit 1939 alle fünf Häuser der Museumsinsel | |
(Altes Museum, Neues Museum, Pergamonmuseum, Bodemuseum, Alte | |
Nationalgalerie) wieder geöffnet sind, genau 20 Jahre nach dem Mauerfall, | |
kann deshalb nur als identitätsstiftend für die Berliner Republik gefeiert | |
werden. | |
15 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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