Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Werte made in China: Kultur kein Exportschlager
> Die Frankfurter Buchmesse soll dem chinesischen Regime eigentlich zum
> Export chinesischer Werte dienen. Das Problem: Es gibt nicht wirklich was
> zu exportieren.
Bild: Der gute Vater: Wandbild Deng Xiaopings in Shenzhen, China.
Neuerdings schenken Chinas Offizielle dem Export chinesischer Werte große
Aufmerksamkeit. Und selbst Staatschef Hu Jintao ist mit dabei. Im
vergangenen Jahr rief er seine Untergebenen dazu auf, „Chinas Soft Power zu
stärken“. Die Frankfurter Buchmesse mit China als Ehrengast soll für dieses
Ansinnen beste Gelegenheit bieten.
Und in der Tat: Chinas wachender Einfluss auf der Welt ist nicht zu
übersehen. Nicht zuletzt auf Chinas Betreiben hat die Gruppe der 20
führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) das einstige Machtmonopol
der G8 abgelöst. Inzwischen ist gar von einem chinesisch-amerikanischen
G2-Gipfel die Rede, als eigentlich weltpolitisches Machtzentrum. Das neue
Selbstbewusstsein der Chinesen auf der weltpolitischen Bühne speist sich
vor allem aus ihrer rasanten wirtschaftlichen Entwicklung. Der Einfluss des
chinesischen Wertesystems hingegen kann mit der wirtschaftlichen Stärke
aber noch nicht mithalten.
Die Chinesen untereinander haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von so
genannter „soft power“. Beamte der Zentralregierung glauben, dabei gehe es
um nichts anderes, als China in gutem Lichte darzustellen, insbesondere
gegenüber Ausländern.
Intellektuelle verbinden mit diesem Begriff aber mehr. Ihnen geht es um
chinesische Werte und Moralvorstellungen, die es wert sind, auch ins
Ausland exportiert zu werden. Sie wollen an die Morallehre des Konfuzius
anknüpfen, die der berühmte Philosoph vor 2.500 Jahren begründet hatte, um
die kulturelle Eigenständigkeit Chinas zu wahren – dann aber Vorbild für
Gesellschaften weit über Chinas damalige Grenzen hinaus wurde. Einige von
ihnen träumen gar von einem neuen chinesischen Wertesystem, um sich den
Forderungen nach westlichen Werten wie „Freiheit“ und „Demokratie“
argumentativ besser zu widersetzen. Sie argumentieren, westliche Werte
könnten China nicht nur spalten und ins Chaos stürzen. Die Chinesen würden
dadurch auch ihre kulturellen Besonderheiten einbüßen.
Das Problem dabei ist: Die chinesischen Werte gibt es gar nicht. Allenfalls
gibt es verschiedene Wertvorstellungen, über die in China in
Intellektuellenkreisen eine heftige Debatte ausgebrochen ist.
Die Liberalen
Eine Strömung verbindet mit der aktuell geführten Wertedebatte die Hoffnung
auf mehr Freiheit, Demokratie und alles, was aus dem Westen kommt. Im
Grunde handelt es sich um all jene Konzepte des westlichen
Wissenschaftsverständnisses, freien Denkens und der Demokratie, die viele
chinesische Intellektuelle bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts
versuchten zu importieren und sie auf Chinas Verhältnisse zu adaptieren.
Tatsächlich fußten auch die Vorstellungen der Kommunistischen Partei (KP)
einst auf diese so genannten „westlichen“ Werten.
Das Problem: Die derzeitigen Machthaber verdammen das „westliche
Wertesystem“ und warnen vor einer „völligen Verwestlichung Chinas“. Das …
einen sehr nationalistischen Beigeschmack. Sie machen sich stark für ein
neues chinesisches Identitätsgefühl. Bedenkt man jedoch, dass der von der
KP eingeführte Marxismus ebenfalls aus Europa stammt, so erscheint mir
diese Position eher lächerlich.
Das aber noch viel tiefer sitzende Problem der Vertreter dieser Strömung:
Die neu entstandene Mittelschicht und die Machthaber der Partei haben im
Grunde ein gleiches Interesse an der Aufrechterhaltung des Status Quo. Sie
verdienen gut daran, wollen ihr derzeitiges Leben weiterführen und teilen
die Furcht vor all zu großen Veränderungen.
Die Traditionalisten
Bei der zweiten Strömung handelt es sich um das antike Wertesystem des
Konfuzianismus. Er ist der ganze Stolz der Chinesen. Doch diese 2.000 Jahre
alten Ideen wirken in der modernen Gesellschaft Chinas verstaubt. Ich
bezweifele, dass die heutigen Chinesen überhaupt noch viel von diesen
traditionellen Werten bewahrt haben. Der eiserne Stalinismus zu Zeiten Mao
Zedongs dürfte die traditionelle Ordnung der zwischenmenschlichen
Beziehungen und der konfuzianischen Kultur weitestgehend ausgelöscht haben.
Zudem waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die chinesischen Intellektuellen
schon einmal gegen den Konfuzianismus zu Felde gezogen. Sie sahen in dieser
sehr autoritätsgläubigen Gesellschaftsordnung gar den Hauptgrund für den
Verfall Chinas. Wenn sich nun wieder verstärkt auf den alten Lehrmeister
bezogen wird, wird das von vielen Chinesen als Rückschritt empfunden.
Die Realkommunisten
Bei der dritten Strömung handelt es sich um die Anhänger des Wertesystems
der KP. Der nach 1949 von Mao Zedong postulierte Klassenkampf des
„kommunistischen Ideals“ und der „ständigen Revolution“ konnte die Leu…
einst begeistert mitreißen. Doch inzwischen wissen die meisten Chinesen:
Umwälzung bedeutet auch Chaos. Die wirren Jahre der Kulturrevolution
zwischen 1966 bis 1976 brachten viel Leid, Elend und Tod. Leidenschaft ist
eben nicht für die Ewigkeit bestimmt. Für den einzelnen ist es schlimmer,
kein Reis in der Schüssel zu haben, als keine Ideale.
Auch wenn die Führungsriege offiziell nach wie vor vom Kommunismus spricht
– seit Deng Xiaoping weiß sie: Auf absehbare Zeit ist er nicht zu
verwirklichen – wahrscheinlich sogar nie. Sie haben die ideologische
Messlatte in den vergangenen 30 Jahren deutlich tiefer gelegt, sprechen von
einer „niedrigen Version des Theoriesystems“ und bezeichnen das ganze als
„Sozialismus mit chinesischem Antlitz“. Zwar sind die Klassenkampfideologen
von der Mao-Ära längst abgetreten. Ein neues Wertesystem ist aber nicht an
ihre Stelle getreten. „An Steinen voran tastend den Fluss überqueren“, war
für Deng Xiaoping in der 1980er und 1990er Jahren der Leitspruch. Die
gesamte Aufmerksamkeit galt der wirtschaftlichen Entwicklung: Ein neues
Auto, Aktien, der Erwerb einer Eigentumswohnung – all das steht seitdem im
Lebensmittelpunkt eines durchschnittlichen Chinesen. Geld lautet die neue
Religion.
Der nun amtierende Vorsitzende Hu Jintao hat mit der „Harmonischen
Gesellschaft“ die Frage nach einer neuen Wertegemeinschaft immerhin wieder
auf die Tagesordnung gestellt. Auf dieser „Harmonischen Gesellschaft“ ruht
nun bei vielen die Hoffnung, die gesellschaftlichen Gegensätze abzubauen.
Denn die Schere zwischen Arm und Reich ist in den vergangenen Jahren in der
Tat enorm auseinander geklafft und empört immer mehr Bürger. Ob er damit
Erfolg hat, bleibt abzuwarten. International hofft China auf einen
„friedlichen Aufstieg“ in einer „harmonischen Welt“ und möchte bei all…
globalen Fragen als gleichwertiger Verhandlungspartner respektiert werden.
Die Integrierer
Die vierte Werteanschauung wird vom Cantoner Professor Gan Yang von der
Sun-Yatsen-Universität in Guangzhou vertreten. Er plädiert dafür, alle
Vorteile des Konfuzianismus, der maoistischen Revolution und der
Wirtschaftspolitik seit Deng Xiaoping zu kombinieren, um daraus eine neue
Gesellschaftsordnung zu erschaffen.
Tatsächlich hatte Deng Xiaoping lange vor Gan Yang eine ähnliche
Vorstellung und dies im Grunde in seinen Wertekanon aufgegriffen. Mit Maos
Leitlinien hat er nie wirklich gebrochen, zugleich ist unter seiner
Herrschaft auch die Forschung der traditionellen Kultur wieder zu neuem
Leben erwacht. Und auch viele Sozialtheorien europäischer und
amerikanischer Wissenschaftler wurden mit Deng wieder in China übersetzt
und verbreitet.
Die Realität
Chinas Besonderheit: All diese Strömungen verfügen zwar über ihre eigenen
Kirchgänger. Es gibt aber keine dominierende Hauptströmung. Der Marxismus,
für dessen Konsolidierung die Regierung eintritt und dafür auch mit großem
finanziellem Aufwand die Propagandamaschine angeworfen wird, ist vom Leben
der einfachen Menschen weit entfernt. Für sie sind Marx Schriften nicht
mehr als Plattitüden.
Nur noch wenige Leute und nicht einmal mehr Staatsbedienstete folgen diesen
Theorien. In der intellektuellen Auseinandersetzung gibt es zwischen den
vielen Konfuzianern, buddhistischen Propheten, liberalen und linken
Intellektuellen keine gemeinsame Diskursebene. Nicht einmal die
„kommunikative Rationalität“ des deutschen Philosophen Jürgen Habermas ist
vorhanden. Stattdessen stoßen nationalistische Strömungen auf Gehör. Doch
für den nun beschworenen Werteexport sind sie ungeeignet. Im Gegenteil: Das
Ausland zeigt sich momentan höchst besorgt um einen neuen Nationalismus,
der China in eine ungewisse Zukunft treiben könnte.
Für das heutige China ist eine grundsätzliche Wertedebatte sehr viel
wichtiger als die Debatte darum, was davon exportiert werden kann. Noch
kämpft in China jede Strömung für sich selbst. Da ist die offizielle
Strategie des „Werteexports“ problematisch. Obwohl Hu Jintao auf
internationalen Konferenzen nach wie vor von seiner Vision einer
„Harmonischen Welt“ spricht, habe ich den Eindruck: Er weiß selbst, dass er
damit nicht allzu viele Leute anspricht. Zugleich verbieten die noch
wenigen, aber durchaus einflussreichen Hardliner innerhalb der Partei, den
orthodoxen Marxismus ganz über Bord zu werfen. Und so hat die gegenwärtige
Spitze den für sie sicheren Weg gewählt: Die glorreichen traditionellen
Werte und das Bild einer prosperierenden Wirtschaft gleichzeitig
anzupreisen.
Ob die Führung damit auch in Zukunft durchkommen wird, wage ich zu
bezweifeln. Denn Chinas Wirtschaftsboom stößt bei weitem nicht mehr bei
allen nur auf Zustimmung – allein die täglich dramatisch zunehmende
Umweltverschmutzung lässt immer mehr Menschen am ungehemmten Wachstum
zweifeln. Mich eingeschlossen.
Aus dem Chinesischen von Jost Wübbek.
ZHOU WENHAN, geb. 1978, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt
für Chinas bekannteste Wochenzeitung Southern Weekend (Nanfang Zhoumo)
sowie für Kunst- und Reisemagazine. Bis 2008 war er als Kulturjournalist
bei der Neuen Pekinger Zeitung tätig.
18 Oct 2009
## AUTOREN
Zhou Wenhan
## TAGS
China
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filmvorlieben von Chinas Staatschef: House of Xi Jinping
Chinas Staats- und Parteichef outet sich als Kenner US-amerikanischer
Populärkultur. Er widerspricht damit der politischen Linie seines Landes.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.