# taz.de -- Chinas Imagekampagne: Hinausgehen und harmonisieren | |
> China, der Ehrengast der diesjährigen Buchmesse, ist unzufrieden mit dem | |
> Bild des Landes in den westlichen Medien. Eine staatliche Kampagne soll | |
> helfen. Ein langer Weg. | |
Fünf junge Chinesinnen im rot glänzenden Qipao, dem traditionellen | |
chinesischen Kleid mit Stehkragen und hohem Schlitz am Bein, schauen | |
lächelnd aus der der Neuen Hauptstadt-Zeitung. Unter dem Titel „Der Welt | |
China vorstellen“ berichtet das Blatt am Samstag über die Frankfurter | |
Buchmesse, wo die fünf Schönen vor weißen Regalen und Porträts chinesischer | |
Schriftsteller posieren. Der Auftritt Chinas als Ehrengast der Messe, so | |
der Tenor eines Kommentars auf der nächsten Seite, ist ein Schritt zur | |
Verständigung zwischen China und dem Westen – der Beginn eines langen | |
Weges, der „gerade erst begonnen hat.“ | |
In der chinesischsprachigen Ausgabe der Zeitung Global Times ist die | |
Erleichterung zu spüren, dass die „Olympischen Spiele der Verlagsbranche“ | |
bislang glimpflich verliefen. Viele Leute, die „darauf gehofft hatten, dass | |
es Ärger geben würde, sahen sich enttäuscht“. Dabei hätten „einige deut… | |
Medien und Politiker“ sich sehr viel Mühe gegeben, unter dem Vorwand von | |
„Demokratie und Freiheit“ auf China herumzuhacken und dafür sogar „mehre… | |
chinesische Dissidenten aus dem Exil herangeschafft“. | |
Die hübschen Hostessen, ein von Künstler Li Jiwei geschaffener Messestand, | |
viel Geld für die Übersetzung chinesischer Bücher und hunderte | |
Veranstaltungen um die Buchmesse herum – keine Frage: Chinas Behörden geben | |
sich derzeit viel Mühe, der Welt ein schönes und modernes Bild von ihrem | |
Land zu präsentieren. | |
Dabei ist Frankfurt Teil einer größeren Kampagne, die in China als | |
„Zouchuqu“ – „Hinausgehen“ – bezeichnet wird. Man kann es auch auf | |
Neuamerikanisch „soft power“ nennen. Mit der „sanften Macht“ der | |
chinesischen Kultur will die KP dem negativen Image ihres Landes im Ausland | |
entgegenwirken. Dabei helfen die neuen Konfuzius-Institute, die – nach dem | |
Vorbild der deutschen Goethe-Institute – in rund 80 Ländern unter anderem | |
die chinesische Sprache unterrichten und Interessierten beibringen, | |
Kalligrafie zu pinseln oder wie man Schweinefleisch süß-sauer zubereitet. | |
Milliarden Euro geben Pekings Politiker dafür aus, dass die Welt sie besser | |
versteht und stärker respektiert und die Angst vor China als neuer | |
wirtschaftlicher und militärischer Macht verliert. | |
Die Global Times, ein Ableger des KP-Organs Volkszeitung, gibt es jetzt | |
auch auf Englisch, das Theoriemagazin Qiu Shi („Wahrheit suchen“) | |
ebenfalls. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua will nach dem Vorbild | |
des arabischen Senders al-Dschasira eine TV-Station gründen, die den | |
chinesischen Standpunkt über den Globus verbreitet. Auch das | |
Zentralfernsehen CCTV sendet nun fürs Ausland. Den Anfang macht seit | |
September der zentralasiatische Nachbar Kirgistan, eine ehemalige | |
Sowjetrepublik. Dort sind die Programme in russischer Sprache zu empfangen. | |
Warum der ganze Aufwand? Chinas Funktionäre sind von der Idee besessen, | |
dass es vor allem die „westliche Medien“ sind, die für den schlechten Ruf | |
Chinas in der Welt sorgten. Spätestens seit den Unruhen in Tibet 2008 | |
zürnen chinesische Politiker über die vermeintlich einseitigen und | |
böswilligen Berichte deutscher, amerikanischer oder französischer Medien. | |
Deren Journalisten, so der Vorwurf, konzentrierten sich nur auf die | |
Schattenseiten Chinas und versäumten es, über die vielen Fortschritte der | |
vergangenen Jahrzehnte zu informieren, über den wachsenden Wohlstand zum | |
Beispiel, die größeren privaten Freiheiten. | |
Der jüngste Konflikt bei der Deutschen Welle um eine chinesische | |
Redakteurin gilt als letzter Beweis, wie China-freundliche Redaktionen aus | |
politischen Gründen unter Druck gesetzt werden. Die Qiu Shi formuliert es | |
so: „Eine kleine Zahl von westlichen Medien hat es vermocht, die | |
internationale Nachrichten- und Informationsordnung zu beherrschen. Sie | |
verhüllen die Wahrheit, verbreiten Vorurteile und schaffen durch ihre | |
Anstrengungen einen Eisernen Vorhang und tiefen Graben nach dem anderen, um | |
auf diese Weise gemeinsames Handeln, Dialog und das gegenseitig Verständnis | |
zwischen den Völkern zu behindern.“ | |
Als Zeugen für diese Sicht werden gern ausländische Sinologen, Diplomaten | |
und Geschäftsleute zitiert, die eine sensiblere Berichterstattung fordern, | |
wie etwa der Duisburger China-Forscher Thomas Heberer: Zu „einseitig“ seien | |
die Berichte der deutschen Presse, sagte er auf der Buchmesse. Solche | |
Klagen verkennen die Natur der Presse, die nur Ausschnitte der Entwicklung | |
eines Landes abbilden kann. Neu sind diese Vorwürfe keineswegs, ebenso | |
wenig wie die Versuche chinesischer Behörden, der Welt durch staatlich | |
gelenkte Programme „ausgewogenere“ Berichte vorzusetzen. | |
Bereits in den Siebzigerjahren gab es solche Debatten. Damals diskutierte | |
man in der UNO und anderen internationalen Gremien heftig über die | |
dominierende Rolle westlicher Massenmedien. Wortführer waren allerdings | |
nicht die Chinesen, sondern die Ostblockstaaten und Länder wie Ägypten und | |
Indien. Ihr Vorwurf: Die großen Nachrichtenagenturen und Sender wie AP, | |
Reuters, AFP oder die BBC dienten nur den Interessen der kapitalistischen | |
Industrieländer. Sie wollten allen anderen Weltregionen ihre Kultur und | |
ihre Werte überstülpen, das Denken der Menschen in der Dritten Welt | |
rekolonisieren. | |
Die Generalversammlung der Unesco, Kulturorganisation der Vereinten | |
Nationen, erklärte 1978 schließlich, die Massenmedien der Welt sollten | |
künftig nicht nur „frei“, sondern auch „ausgewogener“ und „umfassend… | |
berichten. Das Konzept ging nicht auf: Gerade in den autoritär regierten | |
Ländern blieben die amerikanischen und europäischen Medien populär, solange | |
die eigenen Zeitungen und Radioprogramme voller Regierungserklärungen, | |
unglaubwürdig und langweilig waren. | |
In den Achtzigerjahren machte der damalige Premierminister von Singapur, | |
Lee Kuan Yew, von sich reden, als er die straffe Medienzensur und die | |
scharfe Verfolgung von Kritikern in seinem südostasiatischen Stadtstaat | |
selbstbewusst verteidigte: Ostasien sei kulturell eben anders als „der | |
Westen“, erklärte er. Hier herrschten konfuzianische Sitten, die Menschen | |
erwarteten von ihren Führern, ordentlich gelenkt zu werden. | |
Der wirtschaftliche Aufschwung der Tigerstaaten sei nur möglich, weil man | |
sich auf alte asiatische Traditionen besonnen habe, anstatt „westliche“ | |
Rezepte wie Demokratie und Freiheit zu übernehmen, so Lee. Von universellen | |
Grundrechten wie freie Meinungsäußerung, wie sie in den UNO-Konventionen | |
festgelegt sind, wollte er nichts wissen. Es nützte nichts, dass sich | |
Konfuzius-Gelehrte in Ost und West darüber stritten, ob der Singapurer | |
Politiker den zweitausend Jahre alten Philosophen nur als kulturelles | |
Feigenblatt für sein autoritäres Regime nutzte. | |
Inzwischen hat Lee einen Meisterschüler bekommen – den chinesischen Staats- | |
und Parteichef Hu Jintao. Er beschwört den konfuzianischen Begriff der | |
„Harmonie“. Dabei sieht er sich und seine Partei als oberste Instanz, die | |
entscheidet, was Harmonie ist, wer sie schaffen kann, und was mit jenen | |
passiert, die sie angeblich stören. Journalisten, deren Berichte zensiert | |
wurden, sprechen mittlerweile ironisch davon, sie seien „harmonisiert“ | |
worden. | |
Und nun wollen die chinesischen Staatsmedien wie die Propheten in die Welt | |
hinausziehen und das Wort vom guten und wahren China verkünden. Sie können | |
sich die vielen Milliarden Euro sparen. Denn solange sie zu Hause die | |
Nachrichten „harmonisieren“, solange das Fernsehen nicht in der Lage ist, | |
seinen Zuschauern, wie im Februar, den Brand in seiner eigenen neuen | |
Zentrale zu zeigen, solange die KP-Propagandisten das letzte Wort haben und | |
nicht die Journalisten, wird ihnen niemand glauben. | |
Der chinesische Journalist Wang Xiaoshan, der jetzt für die taz und die | |
Buchmesse über die Ereignisse in Frankfurt berichtete, schrieb: „Die | |
Chinesen brauchen nicht Sympathie oder Mitgefühl, was sie wirklich | |
brauchen, ist Hilfe zur Reflexion.“ | |
Das sehen die Funktionäre anders: China sei nicht wie andere Staaten. Es | |
sei eine jahrtausendealte Zivilisation. China wurde stets gedemütigt. Die | |
Welt muss China deshalb nach anderen Maßstäben beurteilen. | |
Als Vaclav Havel jüngst über Russland befragt wurde, erklärte er: In jedem | |
Land müssten die „humanen Prinzipien“ gelten. Wenn eines eine Sonderrolle | |
für sich in Anspruch nehmen, sei dies „der Weg zur Hölle“. | |
19 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
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