| # taz.de -- Shaun Tan über Bilder ohne Worte: "Ich denke nicht an die Leser" | |
| > Der australische Illustrator Shaun Tan zeichnet Bilderbücher für Kinder | |
| > und Erwachsene. Seine Geschichten enthalten oft keine Worte – trotzdem | |
| > war Tan gleich mit zwei Büchern für den Jugendliteraturpreis nominiert. | |
| Bild: Tansches Fabelwesen aus "Fundsache". | |
| Shaun Tan: Oh, was ist denn mit Ihrem Buch passiert? | |
| taz: Das wurde von unseren Hasen angeknabbert. | |
| Mein Papagei hat es auch auf Bücher abgesehen. Wahrscheinlich ist Tieren | |
| das Material genau recht. Da können sie sich gut drin festbeißen. | |
| Tiere mit skurrilen Eigenschaften spielen in Ihren Büchern eine Rolle. | |
| Ich glaube, die Tiere repräsentieren für uns so etwas wie pure Emotion, | |
| ohne die Komplikation, die durch Gedanken entstehen können. Wenn sie | |
| hungrig sind, füttern wir sie. Und wir lieben sie bedingungslos. | |
| Für wen machen Sie ihre Bücher? | |
| Wenn ich ein Buch mache, ist das eher eine egoistische Angelegenheit. Ich | |
| denke nicht an die Leser. Ob "Ein neues Land" ein Kinderbuch oder eins für | |
| Erwachsene ist, ist nicht vorrangig wichtig. Ich habe mich mit dem Thema | |
| Migration beschäftigt. Hätte ich eine Ausstellung dazu in einer Galerie | |
| gemacht, würde es genauso aussehen. | |
| Warum lassen Sie sich von Kinderbuchverlagen herausgeben? | |
| Kinderbuchverlage wissen am besten, wie man ein illustriertes Buch | |
| herausgibt. "Die Fundsache" zum Beispiel, die jetzt auch in Deutschland | |
| erschienen ist, wurde in Australien im konventionellen Bilderbuchformat | |
| herausgebracht. Auch dort wurde ich immer nach dem Alter meiner anvisierten | |
| Leser gefragt. Das hat mich irgendwann genervt. Ich wollte mit "Ein neues | |
| Land" beweisen, dass es auch Bilderbücher für Erwachsene geben kann. Meine | |
| Bücher haben, glaube ich, viel mehr mit dem Individuum zu tun als mit einer | |
| bestimmten Altersgruppe. | |
| Wie reagieren Kinder und Jugendliche auf Ihre Bücher? | |
| Mich überrascht immer wieder, dass sie ihnen gut gefallen - auch jungen | |
| Kindern, die sieben Jahre alt sind. Ich frage mich immer, was ich mit | |
| sieben gedacht habe. Wahrscheinlich hätte ich meine Bücher gar nicht | |
| gemocht. Aber das hängt immer vom Kind ab. Ich versuche eine Regel | |
| einzuhalten. Der Leser braucht vorher nichts darüber zu wissen. Er muss die | |
| Geschichte Australiens nicht kennen. Ich setze auch keinen bestimmten | |
| Bildungsgrad voraus. | |
| Wie erklären Sie sich, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene ihre Bücher | |
| mögen? | |
| Es fühlen sich viele Menschen angesprochen. "Die Fundsache" ist die | |
| Geschichte eines Jungen, der ein verirrtes, tierartiges Wesen findet und | |
| sich darum kümmert. Obwohl die Bilder komplex und detailliert sind, können | |
| Fünfjährige sie lesen. Denn an der Oberfläche ist es ganz einfach. Für mich | |
| ist das immer ein Test, ob die Bilder auch ohne Worte funktionieren. | |
| Haben Sie "Ein neues Land" für Leute gemacht, die nicht lesen können? | |
| Nein, dass es gerade für Migranten, die wenig Englisch sprechen, von | |
| Interesse sein könnte, hatte ich gar nicht bedacht. Was mich sehr berührt | |
| hat, war, dass Kinder von Einwanderern ihren Eltern "Ein neues Land" | |
| schenkten. | |
| Und wie kamen Sie auf die Idee, ohne Worte zu erzählen, nur in Bildern? | |
| "Ein neues Land" gründet auf den Erfahrungen, die mein chinesischstämmiger | |
| Vater machte, als er aus Malaysia nach Australien kam. Wenn ich ihn danach | |
| fragte, bekam ich meistens eine sehr einfache kurze Antwort. Deshalb gab es | |
| in der ersten Version immer kurze Sätze unter ausführlichen Bildern. Aber | |
| immer, wenn ich den Bildern Wörter beifügte, sah es falsch aus. | |
| Was war das Problem? | |
| Der Text störte den Fluss der Bilder. Es ist wie bei den meisten Comics. Es | |
| kann schnell passieren, dass man den Worten zu viel Aufmerksamkeit schenkt | |
| und sich die Bilder nicht genau genug anschaut. | |
| Und dann haben Sie den Text einfach weggelassen? | |
| Ja. Plötzlich machte alles Sinn, und die Form, nach der ich die ganze Zeit | |
| gesucht hatte, wurde offensichtlich. Dann fragt man sich: Warum ist mir das | |
| nicht früher eingefallen? Und warum hat bisher noch keiner dieses Buch | |
| geschrieben? An dem Punkt fing ich an, mir ein bisschen Sorgen zu machen. | |
| Sie haben vier Jahre an dem Buch gearbeitet. Warum hat das so lange | |
| gedauert? | |
| Während ich ein Buch illustriere, verdiene ich daran nichts. Ich muss immer | |
| andere Jobs machen, um meine Miete bezahlen zu können. Man legt also die | |
| Arbeit immer wieder nieder - um sie dann wieder aufzunehmen. Im ersten Jahr | |
| habe ich viele Fehler gemacht. Zu Beginn habe ich viele Skizzen gemacht, | |
| mit denen ich später nichts anfangen konnte. Ich habe erst nach einem Jahr | |
| verstanden, wie das Buch auszusehen hat. Aber ich wollte es auch nicht | |
| aufgeben. Ich dachte, das ist so eine gute Idee, irgendjemand muss das | |
| machen. | |
| Wo haben Sie das Illustrieren gelernt, an der Uni? | |
| Nein, all mein Können hatte ich auch schon mit 17. Ich war auf einer sehr | |
| guten Highschool mit einem erweiterten Kunstprogramm. Jeden Samstag hat man | |
| den halben Tag mit einem praktizierenden Künstler zusammengearbeitet. Drei | |
| Monate mit je einem Künstler, so dass man mit vier verschiedenen Künstlern | |
| im Jahr gearbeitet hat. | |
| Gibt es Künstler, die Sie ganz besonders beeinflusst haben? | |
| Diese Frage macht mir immer Probleme, weil es einfach tausende von | |
| Einflüssen gibt. Edward Gorey, Daniel Clowes (Ghost World), natürlich Maus | |
| von Art Spiegelman und Chris Ware. Für "The Arrival" habe ich mich von | |
| früher Fotografie inspirieren lassen, aus der Zeit, in der Fotos noch | |
| aussahen wie Gemälde. Aber auch japanische Holzschnitte, italienische | |
| Freskos. Ich bin mir bewusst, dass ich mich immer in Traditionen bewege. Du | |
| kannst keine Stadt malen, ohne mit all den Künstlern in Verbindung zu | |
| treten, die schon mal eine Stadt gemalt haben, Edward Hopper zum Beispiel. | |
| Wie sind Sie dazu gekommen, Kinderbücher zu illustrieren? | |
| Ich habe im Studium viele Science-Fiction-Magazine illustriert. Nach der | |
| Universität war ich dann praktisch arbeitslos, da ich dort auch nicht | |
| unbedingt einen Beruf erlernt habe, und so dachte ich mir, dass ich als | |
| Kinderbuchillustrator vielleicht Arbeit finden würde. Ich zeigte meine | |
| Arbeiten bestimmten Verlagen, andere Schriftsteller empfohlen mich, und so | |
| bekam ich Arbeit von Kinderbuchverlagen. Ich illustrierte auch | |
| Fantasyromane für Erwachsene, Leute mit Schwertern, Burgen, Drachen und so | |
| weiter. So konnte ich die Miete bezahlen. | |
| Den Jugendliteraturpreis haben Sie für "Geschichten aus der Vorstadt des | |
| Universums" bekommen - das erste Buch, in dem sie längere Texte geschrieben | |
| haben. | |
| Ja, aber ich habe schon früher längere Texte geschrieben. Sie waren alle | |
| schlecht und wurden nicht veröffentlicht. Vielleicht fühle ich heute | |
| dasselbe wie früher. Nur kann ich es jetzt so ausdrücken, dass sich mehr | |
| Übereinstimmungen zu dem ergeben, was andere Leuten empfinden. Wenn Leute | |
| ein Gedicht schreiben, ist das gut für sie, aber für keinen anderen, das | |
| ist das Problem. Wenn man das Gefühl behält, aber eine bessere Form findet, | |
| dann kann daraus große Literatur werden. Auch Illustration ist ein sehr | |
| gutes Medium, um Ideen auszudrücken. Weil es sehr still und durchdacht ist. | |
| Was hat Sie auf die Geschichte von "Eric" gebracht? | |
| Es gab dieses schräge Wesen mit einem kleinen Koffer in meinem Skizzenbuch, | |
| unter das ich einfach Eric geschrieben hatte. Dann kam eines Tages Besuch | |
| zu uns aus Finnland, ein Freund meiner finnischen Frau. Wir organisierten | |
| alle möglichen Ausflüge, um ihm Australien zu zeigen, aber er sagte sehr | |
| wenig. Wir waren unsicher, ob er sich freute oder nicht. | |
| Wie haben Sie herausbekommen, ob es ihn gefreut hat? | |
| Irgendwann in Helsinki. Seine Freundin war dabei und er erzählte aufgeregt | |
| von seinem Australien-Besuch. Er war begeistert von seinen Erinnerungen, | |
| viel mehr als in dem Moment, da er es erlebte. So geht es mir auch. Ich bin | |
| begeisterter von den Dingen, nachdem sie passiert sind. Das ist typisch | |
| männlich, glaube ich: Sehr viel zu fühlen, aber es nicht auszudrücken. Das | |
| bringt Probleme. In der Geschichte über Eric steckt das alles drin. | |
| Neben skurrilen Tierwesen sind Wolken häufig ein Motiv in ihren | |
| Bilderbüchern. Wieso? | |
| Wolken sind die größten Objekte, die man sehen kann. Sie haben etwas | |
| Magisches, wenn sie über den Himmel gleiten. Sie sind wie eine Idee, die | |
| sich gerade bildet. In "Die Fundsache" ist nichts Natürliches mehr erhalten | |
| - aber die Wolken sind immer noch da. Die einzige organische Form in der | |
| Landschaft. In einer künstlichen Welt bilden sie diesen einzigartigen | |
| Moment der Freiheit. | |
| Sie verwenden in "Ein neues Land" Bilder, die zugleich bekannt und doch | |
| fremd wirken. Ist da viel Australien drin? | |
| Für mich ist dieses neue Land eher eine alte Welt. Dort lebt eine | |
| Mythologie und eine alte Vergangenheit, das verbinde ich eher mit Europa. | |
| Ebenso wie die Menschen, die darin ihre Geschichte erzählen, eher aus | |
| europäischen Ländern kommen. | |
| Was ist australisch an dem Buch? | |
| Die seltsamen Tiere. In Australien gibt es einfach so sonderbare Tiere. | |
| Schnabeltiere, Kängurus, Koalas, Wombats, Tasmanische Teufel oder | |
| irgendwelche seltsamen Reptilien. Aber das Ökosystem in Australien ist sehr | |
| zerbrechlich. Viele Tiere sind vom Aussterben bedroht. | |
| Was hat es mit diese sonderbaren Tieren auf sich? | |
| Ich finde die Vorstellung reizvoll, dass da schon ein Geschöpf im Haus | |
| wohnt, als eine Art Wächter, zu dem man einfach dazuzieht. "Ein neues Land" | |
| ist eine utopische Stadt, die die Natur nicht ausschließt. Die Kreaturen, | |
| die schon vorher da waren, bleiben erhalten. Alles lebt miteinander, muss | |
| sich nicht gegenseitig verdrängen oder ausrotten. | |
| 21 Oct 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Wildeisen | |
| ## TAGS | |
| Kinderbuch | |
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