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# taz.de -- Beginn der Winterzeit: Aufwachen!
> Die gute Nachricht: An diesem Wochenende können alle eine Stunde länger
> schlafen. Die Winterzeit beginnt. Die schlechte Nachricht: Unserer
> inneren Uhr ist das komplett wurscht
Bild: Ein Großteil der Deutschen kann aufatmen: Eine Stunde weniger schlafmang…
In den Berliner Siemens-Werken geht es rau zu. Riesige Stahlrohre und
Betonquader stapeln sich, Maschinen fräsen präzise Formen in Metallplatten,
Männer in blauer Arbeitskleidung hieven Kupfergestelle ineinander. Es
stinkt nach heißem Stahl und verschmortem Plastik. Hier, im Werk Spandau,
werden Bauteile für die Industrie produziert, U-Boot-Motoren, Turbinen,
Kraftwerkspumpen. Es darf keinen Fehler in den Abläufen geben, jeder
Handgriff ist zeitlich exakt festgelegt.
Genau deshalb wird hier etwas so Sensibles wie die innere Uhr der Menschen
erforscht. Die tickt nämlich nicht nach Dienstplan.
Wenn in der Nacht zum Sonntag die Uhren wieder auf Winterzeit
zurückgestellt werden, kann der Großteil der Deutschen aufatmen: eine
Stunde weniger Schlafmangel! Denn der inneren Uhr ist die Zeit auf der
Küchenuhr egal. Für sie zählt die Zeit, die die Sonne vorgibt. Ein
spezieller Bereich im Gehirn registriert das Sonnenlicht über die Augen, er
signalisiert dem Körper: Jetzt beginnt der Tag, fang an zu arbeiten!
"Selbst wenn wir im Sommer die Uhr um eine Stunde vor und im Winter eine
Stunde zurückstellen: unsere innere Uhr pfeift auf diesen Beschluss. Sie
stellt sich in der Sommerzeit trotzdem nicht um", erklärt Till Roenneberg
das Phänomen.
Der Biologieprofessor von der Ludwig-Maximilians-Universität München
erforscht seit vierzig Jahren die innere Uhr. Roenneberg leitet die Studie
im Berliner Siemens-Werk. Aus der Beobachtung der 320 Schichtarbeiter
gewinnt er viele Erkenntnisse. Denn das, was die Deutschen zweimal im Jahr
bei der Zeitumstellung trifft - die Erschütterung ihrer inneren Uhr - ist
für Schichtarbeiter in vielfachem Ausmaß Routine. Die medizinischen Folgen
sind bekannt: Depressionen, Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Probleme, bis
hin zu Brust- oder Prostatakrebs.
Um mehr über die biologische Zeitmessung zu erfahren, ermitteln der
56-jährige Roenneberg und seine Mitarbeiter zunächst den Chronotyp jedes
einzelnen Schichtarbeiters. Der Chronotyp bezeichnet den individuellen
Tagesrhythmus, unabhängig von Wecker und Dienstplan. Dafür sammeln die
Forscher seit zwei Jahren Daten: über die Schlafgewohnheiten der Arbeiter,
ihre soziale Zufriedenheit, Krankheiten. Sie testen zu verschiedenen
Uhrzeiten ihre kognitiven Fähigkeiten und messen ihre körperliche
Aktivität.Am Schluss kommt raus: Eule oder Lerche. Als Eule gilt, wer die
genetische Veranlagung hat, erst spät müde zu werden. Lerchen dagegen haben
ihre aktivste und leistungsfähigste Zeit am frühen Morgen. Dazwischen gibt
es natürlich etliche Abstufungen.
"Entgegen einem allgegenwärtigen Gesellschaftsbild hat die innere Uhr
nichts mit Disziplin zu tun", erklärt Roenneberg, "sondern mit Genen." Er
kämpft dafür, dass die innere Uhr als echtes biologisches System ernst
genommen wird. "Bei uns herrscht immer noch so eine
Reiß-dich-zusammen-Mentalität, wenn man erwähnt, wie schwer es einem fällt,
morgens früh aufzustehen." Dabei kann der Betroffene meist gar nichts
dafür: selbst wenn eine Eule todmüde ist und um zwanzig Uhr ins Bett geht,
kann sie nicht einfach einschlafen. Ihr körpereigener Rhythmus erlaubt das
nicht. Und wer abends oft zu müde zum Ausgehen ist, kennt den Satz: Jetzt
sei doch nicht so lahm, komm doch mal mit! Für Lerchen die reinste Qual.
Aber der Mensch weiß sich zu helfen. Um Schlafmangel zu vermeiden und
leistungsfähig zu bleiben, verbinden viele unbewusst Chronotyp und Beruf.
Künstler oder Schriftsteller haben meist die Freiheit aufzustehen, wann sie
wollen, dadurch sammeln sich hier die Eulen. Manager hingegen sind eher
Lerchen, hier ist Leistung am Morgen zwingend. Statistisch erreichen
Frühtypen sogar ein besseres Abitur als Spättypen - die Prüfungen sind
morgens. Zu früh für Eulen, um sich zu konzentrieren.
Wie die Abiturienten haben auch Schichtarbeiter nicht die Wahl, wann sie
aufstehen und arbeiten müssen. Ihre Dienstzeiten sind festgelegt: drei
Schichten, wöchentlich wechselnd. Die innere Uhr gerät dabei völlig aus dem
Konzept, eine Folge sind signifikant erhöhte Krankheitsraten, mehr Fehler
und Unfälle in der Produktion. Das kostet. Ziel von Roennebergs Forschung
ist es, ein System zu entwickeln, Schichtarbeit auf die individuellen
Chronotypen abzustimmen.
Doch der Biologe will mit seiner Forschung nicht nur Kosten senken: "Es
geht dabei auch um Kulturwandel", erklärt er, "mir ist es wichtig, ein
Bewusstsein für Chronotypen und die innere Uhr zu wecken." In Deutschland,
hat Roenneberg herausgefunden, gibt es einen leichten Eulenüberhang. Schul-
und Arbeitszeiten sind deshalb generell zu früh angelegt, meint er. "Der
Idealfall wäre natürlich: Schmeißen Sie Ihren Wecker weg, schlafen Sie ein
und wachen Sie auf, wenn es Ihre innere Uhr sagt." Dass das für die meisten
nicht so einfach zu machen ist, weiß Roenneberg natürlich, doch es sollte
mehr Toleranz, mehr Gleitzeit und Flexibilität in der Arbeitswelt geben.
Vielleicht können Eulen so ja Manager werden - und Lerchen Barpianisten.
23 Oct 2009
## AUTOREN
Maria Rossbauer
Maria Rossbauer
## TAGS
wochentaz
Schlaf
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