Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Am Nagel der Welt - Sofia: Schlechte Zeiten für Träume
> Das Kosmetikstudio in Sofia hat große Schwierigkeiten, zu überleben. Das
> sei den unsicheren Zeiten geschuldet, meint Betreiberin Zdrawka Bonewa.
Bild: Zdrawka Bonewa wartet auf Kundinnen
Zdrawka Bonewa sitzt auf einem weißen Plastikstuhl vor ihrem Friseursalon,
blättert in einer Zeitung und lässt sich von der Nachmittagssonne wärmen.
Auf einem Tischchen stehen ein Becher Kaffee und ein Aschenbecher mit einer
brennenden Zigarette. Der Salon befindet sich in der Jerusalem-Straße 24 im
Stadtteil Mladost 1 der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Mladost 1 ist eine
jener Plattenbausiedlungen aus den 60er-Jahren, deren Einheitsgrau
heutzutage zumindest durch neue Restaurants und ein paar kleine Grünflächen
etwas aufgelockert wird. Das Viertel scheint heute wie ausgestorben, und
bis zum frühen Nachmittag hat sich noch kein Kunde im Salon blicken lassen.
Seit anderthalb Jahren betreibt Zdrawka den kleinen Salon in Mladost 1,
gemeinsam mit ihrer Kollegin Dora Iwanowa, die Kosmetikerin ist. Vorher
arbeiteten beide im Zentrum Sofias, doch dann kündigte der Hausbesitzer den
Mietvertrag. „Ein Umzug macht immer viel kaputt, ich brauche mindestens
noch drei bis vier Jahre, um mich hier wieder zu etablieren“, sagt die
60-Jährige, deren Augen angriffslustig hinter einem futuristisch anmutenden
Brillengestell funkeln. Doch sie hadert nicht. „Friseurin zu sein, das war
und ist mein Traumberuf“, sagt sie. Frisieren, das sei für sie Kunst, die
Liebe dazu komme von innen. „Ich teile jedem Kunden meine professionelle
Meinung mit, aber er muss auch den Wunsch haben, wirklich etwas an sich
verändern zu wollen“, sagt sie.
Zdrawka ist seit 39 Jahren im Geschäft. 1970, und damit zu Zeiten des
Sozialismus, begann sie in einem staatlichen Dienstleistungskombinat zu
arbeiten - in Elin Pelin, einer Kleinstadt, 20 Kilometer entfernt von
Sofia. „Die Bulgarinnen waren früher sehr darauf bedacht, sich zu pflegen,
und der Salon war immer gut besucht. Viele Kundinnen kamen jede Woche und
gingen zuerst zum Friseur und dann zur Kosmetikerin“, erzählt sie. 18
Prozent vom Gesamtumsatz bekamen sie und die anderen Mitarbeiterinnen als
Lohn. Das war nicht üppig, reichte aber zum Leben. Zudem hatte Zdrawka
viele Kundinnen, die in Betrieben arbeiteten und sie, im Austausch gegen
einen Haarschnitt, mit schwer zu beschaffenden Produkten versorgten. Die
Salons waren damals in vier Gruppen eingeteilt: Luxus sowie erste, zweite
und dritte Kategorie. In den Luxussalons wurden ausschließlich westliche
Produkte verwendet.
„Ich habe immer in der ersten Kategorie gearbeitet, und darauf bin ich
stolz“, sagt Zdrawka Bonewa. 1992, drei Jahre nach dem Sturz von Todor
Schiwkow, dem letzten kommunistischen Machthaber Bulgariens, eröffnete sie
in Elin Pelin ihren ersten privaten Salon. Erfahrungen, einen eigenen
Betrieb zu führen, hatte sie keine. „Ich machte mir damals deswegen große
Sorgen. Doch dann gewann ich Stück für Stück mein Selbstbewusstsein zurück,
weil die Kunden zufrieden waren“, sagt sie. Ihr Salon lief gut, doch als in
Elin Pelin ab 1997 zahlreiche Fabriken schlossen und die Arbeitslosigkeit
rapide wuchs, blieben die Kunden aus. 2000 verließ Zdrawka Bonewa Elin
Pelin und mietete ihren ersten Salon in Sofia an.
Derzeit hat sie große Mühe, sich in Mladost 1 über Wasser zu halten. 550
Lewa (225 Euro) fallen monatlich für die Miete an, für einen einfachen
Haarschnitt berechnet sie sieben Lewa (3,50 Euro). Bei einer
50-Stunden-Woche und nach Abzug aller Kosten bleiben für sie maximal
zwischen 500 und 600 Lewa (250 bis 300 Euro) übrig. Doch die schlechte
Geschäftslage schreibt sie nicht nur ihrem erzwungenen Umzug zu. „Wir leben
in unsicheren Zeiten, und da gehen die Menschen weniger zum Friseur und
sparen, wo es nur geht“, sagt sie. „Die jungen Frauen achten weniger auf
sich.“ Auch seien heute Haarpflegeprodukte in jedem Supermarkt erhältlich.
Da frisierten sich viele Frauen aus Kostengründen lieber zu Hause.
„Außerdem ist die Konkurrenz groß“, sagt Zdrawka. Besonders ärgert sie,
dass reiche Leute Salons kauften und dort Friseurinnen anstellten, die nur
eine einmonatige Ausbildung absolviert hätten. „Die haben keine gute
Qualifikation und wollen nur schnelles Geld machen. Das wird auf Dauer
nicht funktionieren.“
Zdrawkas Kollegin Dora Iwanowa tritt aus dem Salon auf die Straße, in der
Hand eine große Pralinenschachtel. Es ist das Geschenk einer Stammkundin,
die gerade Geburtstag hatte und seit kurzem weiß, dass sie schwanger ist.
Derlei Präsente sind aber heutzutage eher die Ausnahme. „Früher brachten
mir meine Kundinnen von ihren Reisen kleine Souvenirs mit und unterhielten
sich lange mit mir. Auch ein gutes Trinkgeld fiel fast immer ab“, sagt
Zdrawka. Jetzt seien die Klienten viel verschlossener, äußerten knapp ihre
Wünsche und legten selten etwas drauf.
Eine alte Frau mit schütteren halblangen Haaren und bekleidet mit einer
Kittelschürze und Schlappen betritt den Salon. „Einmal schneiden“, sagt sie
und macht gleich klar, dass sie an längeren Gesprächen nicht interessiert
ist. Auch Dora Iwanowa, die meistens nach Terminabsprache arbeitet, eine
Hornbrille trägt und ganz in Schwarz gekleidet ist, bekommt jetzt etwas zu
tun. Irena ist wieder da, eine 44-jährige hochgewachsene schlanke Frau mit
kurzen schwarzen Haaren. Sie ist seit 14 Jahren Stammkundin bei Dora und
kommt einmal pro Monat in den Salon, um sich unerwünschte Härchen entfernen
zu lassen. Die über einstündige Ganzkörperprozedur kostet 34 Lewa (17
Euro). Irena kann sich das leisten, sie arbeitet in einer Papierfabrik, wo
sie für bulgarische Verhältnisse gut verdient.
Dora bittet ihre Kundin in einen kleinen Raum, der nur für die
Haarentfernung benutzt wird. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben. An der
einen Wand steht eine Liege, gegenüber in einer Ecke ein kleiner
Schwarz-Weiß-Fernseher. Es läuft eine der zahlreichen türkischen
Seifenopern, die sich in Bulgarien wachsender Beliebtheit erfreuen. „Ich
will demnächst ans Meer fahren, da muss ich gut aussehen“, sagt Irena, die
sich ob der fremden Beobachterin etwas unbehaglich fühlt. Derweil schmilzt
Dora in einem kleinen Topf einen braunen Wachsblock zu einer etwas
penetrant riechenden Masse. Mit einem Spatel bestreicht sie damit Irenas
Beine, drückt kurz und zieht das Wachs schnell ab. Dieses wird dann von
neuem erhitzt. Nein, schmerzhaft sei das nicht, sagt Irena, aber auch wenn
schon … „Die Haarentfernung reinigt auch die Haut und ist gleichzeitig eine
Massage“, erläutert Dora. Massagen sind das Spezialgebiet der 57-Jährigen
und machen einen Großteil ihrer trotz allem mageren monatlichen Einkünfte
von 300 bis 400 Lewa (150 bis 200 Euro) aus. Für 12 Lewa (sechs Euro)
bietet sie eine Massage von Gesicht, Dekolleté und Nacken an. Zwecks
Öffnung der Poren wird das Gesicht zunächst mit heißem Wasserdampf und dann
mit einer speziellen Massagecreme behandelt. Zum Schluss trägt Dora eine
Maske aus Kamillenblüten auf - „meine eigene Rezeptur“ - und deckt das
Gesicht vorsichtig mit einem feuchten Tuch ab. Zwanzig Minuten hat die
Kundin dann Zeit, sich zu entspannen. Nach der Behandlung fühlen sich die
Haut ganz weich und der Nacken angenehm locker an.
Geld will Dora für ihre Arbeit an der Journalistin nicht nehmen. „Das ist
ein Geschenk“, sagt sie, lässt sich dann aber doch überreden. Trotz der
schwierigen Wirtschaftslage haben sie und Zdrawka noch Zukunftspläne. „Wir
würden gerne noch eine Spezialistin für Maniküre und Pediküre in unseren
Salon holen. Den Platz dafür hätten wir“, sagt Dora. So jemand sei aber
heute schwer zu finden, denn junge Frauen wollten alle ein festes Gehalt.
„Bei uns müssen sie ihre Ausstattung aber selbst mitbringen und sich an den
Unkosten beteiligen. In der Regel erzielt man da im ersten Jahr fast keinen
Gewinn.“
Dora hat noch einen großen Wunsch, den sie sich erfüllen will. In dem für
seine Mineralwasserquellen bekannten Ort Gorna Banja hat ihr Mann ein
Grundstück geerbt. „Ich träume davon, dass wir uns dort ein kleines Haus
bauen“, sagt sie. Und Zdrawka? „Ich kann nicht sagen, dass ich heute besser
lebe als früher. Aber dennoch, ich würde so gerne einen Salon eröffnen, der
nur mir gehört und den meine Kinder dann weiterführen können“, sagt sie.
„Doch heute, wo ich und so viele andere nur von Tag zu Tag leben, kann man
das wohl vergessen.“
31 Oct 2009
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Reiseland Bulgarien
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.