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# taz.de -- Kriegsverbrecher-Prozess in Den Haag: Karadzic will mehr Zeit
> Wegen andauernden Boykotts des Angeklagten wurde das Verfahren gegen
> Radovan Karadzic kurzfristig ausgesetzt. Karadzic sagt, er müsse noch die
> Dokumente lesen.
Bild: Der frühere Serbenführer Radovan Karadzic will sich selbst verteidigen.
Die Entscheidung, in welcher Form der Kriegsverbrecherprozesses gegen
Radovan Karadzic fortgesetzt wird, fällt Ende der Woche. Mit dieser
Ankündigung beendete der vorsitzende Richter O-Gon Kwon am Dienstag die
Sondersitzung des Exjugoslawien-Tribunals der Vereinten Nationen in Den
Haag.
Zuvor hatte er Anklage und Karadzic zu verschiedenen Optionen befragt. Dazu
zählte die Auferlegung eines Pflichtverteidigers, das vorübergehende
Einsetzen eines Stand-by-Anwalts, der nur im Notfall einspringt, um den
Fortgang des Verfahrens ohne Zeitverlust zu gewährleisten, oder ein
Aufschub gemäß der Forderung des Angeklagten.
Begleitet von erheblichem Interesse der Medien, erschien der ehemalige
Anführer der bosnischen Serben gestern erstmals seit Beginn des
Hauptverfahrens vor dem Exjugoslawien-Tribunal in Den Haag. Anlass war eine
Sitzung, in der sich Gerichtskammer, Anklage und Karadzic über die
Fortsetzung des Prozesses verständigen wollten.
Der Angeklagte, dem unter anderem Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit im bosnischen Bürgerkrieg vorgeworfen werden,
demonstrierte dabei zunächst seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. "Ich
wollte diesen Prozess nie boykottieren", so Karadzic. Sein bisheriges
Fernbleiben habe nichts damit zu tun, dass er das Tribunal nicht
respektiere.
Dennoch bestand der 64-jährige Angeklagte weiterhin auf seinem Standpunkt,
für eine ausreichende Vorbereitung seiner Verteidigung mehr Zeit zu
brauchen. "Ich wäre ein Krimineller, wenn ich ohne die angemessene
Vorarbeit in diesen Prozess einstiege", erklärte er. Mit einem solchen
Verfahren sei zudem niemandem gedient.
Er werde den Gerichtshof vorab informieren, sobald er die Lektüre der
nötigen Dokumente hinter sich gebracht habe. Im Vorfeld der Sitzung hatte
Karadzic über sein bisheriges Beraterteam vermeldet, einen
Pflichtverteidiger "um keinen Preis" akzeptieren zu wollen.
Die Anklage, vertreten durch die deutsche Staatsanwältin Hildegard
Uertz-Retzlaff, erörterte ihrerseits, dass ein Pflichtverteidiger selbst
dann "mehrere Monate" zur Einarbeitung brauche, wenn er mit dem Fall
vertraut wäre. Im Fall eines Stand-by-Verteidigers könne das Verfahren
dagegen ohne große Verzögerung weitergeführt werden.
Zudem bot sie Karadzic an, wenn er sein eigentlich für Montag vorgesehenes
Eröffnungsstatement in den nächsten Tagen abgebe, könne er dieses später
ergänzen. Die Anklage zeigte sich damit weiterhin um ein zügiges
Prozesstempo bemüht, deutete aber erstmals gleichzeitig einen Kompromiss
an.
Am Gericht herrschte schon Stunden vor dem Beginn der Sitzung eine
angespannte Atmosphäre. Der angekündigte Auftritt Karadzic überschattete
den Inhalt des Verfahrens sowie die Tatsache, dass dieses schon unmittelbar
nach Beginn in einer Sackgasse steckt.
Am Vortag war der Angeklagte zum dritten Mal in Folge einer Sitzung
ferngeblieben. Ankläger Alan Tieger hatte seine Eröffnungsstatements
fortgesetzt, die er in der turbulenten Vorwoche nicht hatte abschließen
können. Dabei ging es zunächst um die 44-monatige Belagerung Sarajevos von
1992 bis 1996. Tieger sprach von einem "klaren Beweis, dass der Angeklagte
vom Artillerie- und Scharfschützenbeschuss seiner Einheiten wusste".
Ein weiterer Punkt war die Geiselnahme von UN- Beobachtern im Sommer 1995.
Anhand abgehörter Gespräche zitierte der Ankläger Karadzic mit den Worten
"Wir müssen die Situation aufheizen", womit er eine Eskalation des
Konflikts herbeiführen wollte.
Schließlich ging Tieger ausführlich auf das Massaker von Srebrenica im Juli
1995 ein, bei dem die bosnisch-serbischen Truppen mehr als 7.000
muslimische Männer, die in der Enklave Zuflucht gesucht hatten, ermordeten.
Karadzic belastete er mit einer Reihe von ihm unterzeichneter Direktiven.
Diese geben vor, "dem Feind die größt möglichen Verluste zuzufügen", damit
die muslimische Bevölkerung die Region aufgebe. An anderer Stelle, so die
Dokumente, forderte Karadzic, in Srebrenica eine "unerträgliche Situation
ohne Hoffnung auf Überleben und Leben" zu schaffen.
4 Nov 2009
## AUTOREN
Tobias Müller
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