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# taz.de -- Marwa-Prozess in Dresden: Ein Deutscher, der nie ankam
> Der russische Spätaussiedler Alex W. war ein Verlierer, sein Opfer Marwa
> El Sherbini eine Gewinnerin. Vor Gericht zeigt er keine Regung. Eine
> Annäherung an eine unbegreifliche Tat.
Bild: Fesseln am Fuß von Alex W.. Geplant haben will W. den Angriff auf Marwa …
Vier Polizisten schleifen den Angeklagten in den Gerichtssaal. Er ist an
Händen und Füßen gefesselt. Die dunkelblaue Kapuze hat er weit ins Gesicht
gezogen, darunter trägt er Sturmhaube und Sonnenbrille. Die Beamten zwingen
ihn auf seinen Stuhl. Alex W. wehrt sich. Er schlägt mit dem Kopf auf den
Tisch, trampelt mit den Füßen. Tiefe Laute stößt er dabei aus. Drei Beamte
halten ihn fest. Seine Verteidiger reden auf ihn ein.
Es ist Dienstag. Alex W. will nicht an seinem Prozess im Dresdener
Landgericht teilnehmen. Der 28-jährige Spätaussiedler ist des Mordes, des
versuchten Mordes und der Körperverletzung angeklagt. Aus Hass auf Muslime
soll er hier im Landgericht während einer Beleidigungsverhandlung gegen ihn
die 31-jährige Ägypterin Marwa El Sherbini und ihren Ehemann Elwy Okaz mit
einem Messer attackiert haben, so steht es in der Anklageschrift. Die
Klinge war 18 Zentimeter lang. "Wie ein Berserker", "wie ein rasendes Tier"
habe er auf die wehrlose Frau eingestochen, sagen traumatisierte Zeugen,
die El Sherbinis Tod nicht verhindern konnten. "Immer wieder, immer wieder,
er hörte gar nicht auf." 16-mal innerhalb von wenigen Minuten.
Ein Stich ging frontal ins Herz, er allein wäre tödlich gewesen. Auch als
El Sherbini schon am Boden lag und W.s Pflichtverteidiger einen Tisch
zwischen sie und den Angreifer rammte, stoppte W. nicht. Er beugte sich
über den Tisch und stach weiter zu. Die Wucht war so groß, dass er ihr ein
Schlüsselbein und zahlreiche Rippen zertrümmerte. Dann ging er wieder auf
den Ehemann los. Von ihm ließ er erst ab, als ein Bundespolizist, der sich
zufällig im Gebäude aufhielt, hineinstürzte und irrtümlich auf Okaz schoss.
El Sherbini starb noch am Tatort, ihr Mann überlebte schwer verletzt. Ihr
dreijähriger Sohn Mustafa sah alles mit an. Als seine Mutter verblutete,
saß er in dem Blut, das sie verlor.
Wehrt Alex W. sich nicht gegen seine Prozessbeteiligung, dann sitzt er da,
hinter seiner Kapuze versteckt, den Kopf gebeugt, das Gesicht hinter den
Händen verborgen. Nicht einmal habe er zu der Bank der Nebenkläger
geschaut, wo auch El Sherbinis Witwer Okaz sitzt, sagt dessen Anwalt Heiko
Lesch. Bis zum siebten Prozesstag sagt W. kein einziges Wort, dann lässt er
von seinem Verteidiger eine Erklärung verlesen, die wenig erklärt. Er sagt
einmal "ja", einmal "korrekt", als es gar nicht anders geht. Alex W. trägt
wenig dazu bei, die unbegreifliche Tat zu erklären.
Wer sich ihr nähern will, muss Aussagen von Gutachtern, den Beteiligten im
Beleidigungsprozess, von Freunden und Bekannten wie Puzzleteile
zusammenfügen. Die Zeugen beschreiben Alex W. als einen, der unbedingt
Deutscher sein will, in der deutschen Gesellschaft aber nicht angekommen
ist. Der isoliert ist und arbeitslos. Der eine Freundin sucht und keinen
Kontakt zu Mädchen findet. Der leicht aufbraust, stur, bockig und
uneinsichtig ist. Der Menschen nach Rassen ordnet, Muslimen das Lebensrecht
in Deutschland abspricht und an der NPD Gefallen findet. "Er hasste sich
selbst", sagt Sergej G., sein einziger Freund. "Und diesen Hass hat er wohl
auf Muslime projiziert."
Alex W. ist 1980 in der russischen Millionenstadt Perm am Ural geboren,
nach der Schule hat er eine Ausbildung zum Stuckateur und Maler absolviert.
Seine Eltern - die Mutter Architektin, der Vater Computerfachmann -
trennten sich. Der Vater blieb in Perm, Alex W. zog mit Mutter und
Schwester zunächst nach Kasachstan, 2003 kamen sie nach Dresden. W. lebte
im Übergangswohnheim, wo er "immer Probleme machte", wie der Heimleiter
sagt. Nach einem Jahr musste er raus. W. absolvierte einen
Integrationskurs, Anfang 2006 dann einen vom Arbeitsamt geförderten
Lehrgang zum Lagerarbeiter. Genutzt hat es nichts. W. lebte von Hartz IV,
ab und an verdiente er etwas dazu.
Der damalige Schulleiter sagt vor Gericht, W. habe sich in der Klasse
isoliert und die Dozenten mit ständigen Nachfragen genervt. Unbedingt
wollte er perfektes Deutsch sprechen. Schon hier im Lehrgang fällt W. durch
rassistische Parolen auf. Sprüche wie "Deutschland gehört den Deutschen"
und "Ausländer haben hier nichts zu suchen" hätten mehrere Lehrkräfte
gehört, sagt der Schulleiter. Stets habe W. betont, dass er Deutscher sei.
"Mir kam es so vor, als wolle er seine Herkunft verleugnen." Deutschland,
das sei für W. rundum positiv gewesen, "Einwände ließ er nicht zu". Kamen
sie doch, reagierte er aggressiv. Von der "reinen Leistung her" aber sei W.
ein guter Schüler gewesen.
Während des Lehrgangs war es auch, dass W. beim Streit einen älteren
Mitschüler mit einem Messer bedrohte. Andere Spätaussiedler forderten ihn
auf, das Messer wegzustecken, erinnert sich Ruslan Z., einer von ihnen.
"Danach wollte keiner mehr etwas mit ihm zu tun haben."
Seine rassistischen Ansichten habe er "fast im Plauderton" vorgetragen,
sagt die Staatsanwältin aus dem Beleidigungsverfahren, und er habe diese
"hemmungslos wiederholt". Äußerungen wie: "Seit dem 11. September haben
solche Monster kein Recht, hier zu leben." Oder: "Die deutsche Rasse soll
sich nicht mit anderen mischen." W.s Abneigung habe sich besonders gegen
Muslime gerichtet, sagt Johann K., ein Bekannter. Die würden den Deutschen
die Arbeitsplätze wegnehmen und russische Frauen ansprechen. Wenn K. und
seine Freunde Döner essen gingen, wartete W. vor der Tür. "Er war
eigentlich ganz ruhig", sagt der 21-Jährige. "Er hat nur gesagt, dass er
Muslime hasst. Wenn er eine Mehrschusswaffe hätte, würde er sie umbringen."
Auch in einem Brief an das Amtsgericht hat W. ausführlich seine
islamfeindlichen Einstellungen dargelegt. Der Islam sei eine "gefährliche
Religion", schreibt W., alle Muslime seien "Islamisten". Niemand könne von
ihm erwarten, dass er "Feinde in der Nähe" dulde. Das Kopftuch sei ein
Zeichen "von totaler religiöser Unterwerfung vor dem Satangott".
Ein solches Kopftuch trägt Marwa El Sherbini, als sie an einem Sommerabend
im Jahr 2008 auf einem Spielplatz zum ersten Mal auf Alex W. trifft. W.
sitzt rauchend auf einer Schaukel, auf der zweiten neben ihm sitzt seine
Nichte. Auch W.s Mutter ist dabei. El Sherbini bittet W. freundlich, die
Schaukel für ihren Sohn zu räumen. W. wurde "sofort aggressiv", sagen
Zeugen vor Gericht. Sie habe kein Recht, auf dem Spielplatz zu sein, blafft
W. El Sherbini an, und auch nirgendwo sonst in Deutschland. Er beschimpft
sie als "Islamistin" und "Terroristin". Ihr Sohn, sagt W., "wird uns alle
in ein paar Jahren in die Luft sprengen". Beruhigen lässt er sich weder von
seiner Mutter noch von anderen Eltern deutscher und russischer Herkunft,
die sich einmischen. Doch El Sherbini weicht nicht zurück. Dies sei ein
öffentlicher Spielplatz für alle Kinder, entgegnet sie in fließendem
Deutsch. Schließlich ruft ein Mann die Polizei, El Sherbini zeigt W. an. Er
wird zur einer Geldstrafe verurteilt und geht in Berufung. Am 1. Juli wird
verhandelt.
Die Ägypterin spricht weit besser Deutsch als W., das betonen mehrere
Zeugen. Marwa El Sherbini verkörpert vieles, was Alex W. nicht ist. Sie ist
eine kluge, gebildete, selbstbewusste Frau, die aus einer wohlhabenden
Familie in Alexandria stammt. Sie ist erfolgreiche Handballspielerin und
studierte Pharmazeutin. Gemeinsam mit ihrem Mann Elwy Okaz kam sie 2005
nach Dresden, Mustafa ist hier geboren. Okaz promoviert am
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik. Er ist auf dem
Sprung in die wissenschaftliche Elite, sie erwartet ihr zweites Kind.
Marwa El Sherbini ist eine Gewinnerin, Alex W. ein Verlierer.
Hat er sich deshalb auf sie gestürzt? Vielleicht war sie auch einfach nur
zur falschen Zeit am falschen Ort, wie es Oliver Wallasch nennt, der El
Sherbinis Bruder als Nebenkläger vertritt.
In seiner Einlassung zum Ende der Beweisaufnahme will Alex W. ein anderes
Bild vermitteln. In der Erklärung, die sein Anwalt verliest, gesteht er die
Tat, auch zu seiner "ausländerfeindlichen Gesinnung" bekennt er sich. Sein
Motiv aber sei Enttäuschung über die deutsche Justiz gepaart mit Angst vor
einer Gefängnisstrafe. Auch geplant haben will W. den Angriff nicht. Das
Messer trage er immer bei sich. Nach seiner Festnahme habe er "bedauert,
dass es geschehen sei, dass ich mein Leben versaut habe und nicht selbst
bei der Aktion erschossen wurde", lässt W. verlesen. Den Namen Marwa El
Sherbini erwähnt er nicht, auch ein Zeichen von Reue oder eine
Entschuldigung an die Hinterbliebenen gibt es nicht.
Den psychiatrischen Sachverständigen Stephan Sutarski, der am Donnerstag
sein Gutachten unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorstellte, hat W. damit
nicht beeindruckt. Der Angeklagte sei voll schuldfähig, so Sutarskis
Schlussfolgerung. Auch eine Handlung im Affekt durch eine
Bewusstseinsstörung schloss er aus. Damit droht W. eine lebenslange
Freiheitsstrafe. Das Gericht will das Urteil am Mittwoch verkünden. Am
Donnerstag wird Alex W. 29 Jahre alt.
6 Nov 2009
## AUTOREN
Sabine am Orde
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