# taz.de -- Vox-Doku über DDR-Frauenknast: Das Gesetz von Hoheneck | |
> Der Privatsender Vox sendet die Dokumentation "Unter Verschluss - Die | |
> geheimen Schicksale der DDR-Frauen". Die Tochter einer ehemaligen | |
> Insassin blickt hinter die Kulissen. | |
Bild: Eingesperrt in Hoheneck. | |
Die Kerzen auf den Leipziger Montagsdemonstrationen, die Tänzer auf der | |
Mauer, ein stammelnder Schabowski und immer wieder Genscher, vor Freude | |
niedergebrüllt in Prag. Gibt es denn noch wirklich Neues zu berichten, aus | |
diesem längst verschwundenen Land? | |
Auf diese Frage hat nun ausgerechnet Vox eine ziemlich überraschende | |
Antwort gefunden. Diesen Samstag im ersten Teil der "Großen | |
Samstagsdokumentation" von Spiegel TV laufen 90 Minuten über das | |
DDR-Frauengefängnis Hoheneck, während die anderen "Spiderman", | |
"Musikantenstadel" und "Supertalent" zeigen. | |
Es geht um einen Knast, den es offiziell gar nicht gab, weil | |
Schwerkriminalität per se im realexistierenden Sozialismus nicht vorkam. In | |
dem politische Häftlinge – darunter auch meine Mutter - aus | |
"Erziehungsgründen" gezielt mit Mörderinnen oder auch auch KZ-Aufseherinnen | |
in chronisch überbelegte Zellen gesperrt wurden. In dem Zwangsarbeit für | |
den BRD-Export den Alltag bestimmte, und wo es bis in die 70er Jahre noch | |
Wasserzellen gab – Isolations-Zellen, in denen Frauen im kalten Wasser | |
stehen mussten. | |
Was das für die Machart der Dokumentation bedeutet, ist klar. Die Quote | |
immer fest im Blick, gilt es mit möglichst spektakulär ausgeschlachteten | |
Schicksalen die Spannung über den nächsten Werbeblock zu halten. Wer sich | |
also "Unter Verschluss – Die geheimen Schicksale der DDR-Frauen" ansieht, | |
der sollte nicht zimperlich sein. Und trotzdem sollte man es tun. Denn hier | |
wird tatsächlich etwas gezeigt, das nicht nur im Privatfernsehen – noch | |
dazu um 20.15 Uhr – eine Ausnahme ist. | |
Auch wenn der Auftakt dieser Dokumentation über die Geschmackgrenze hinaus | |
reißerisch ist: Man erfährt Geschichten, die noch lange haften bleiben. Zum | |
Beispiel die der Kindsmörderinnen, die 1990 noch inhaftiert sind, während | |
draußen die DDR gerade aufhört zu existieren. Archiv-Material zeigt grell | |
geschminkte Frauen, die sich nach über zehn Jahren Haft versuchen, zu | |
erinnern: ob der kleine Sohn damals im Suff aus der Hand geglitten ist oder | |
eben doch nicht. Die von der Volkspolizei zurück nach Hause zum prügelnden | |
Ehemann geschickt wurden, immer wieder, weil so etwas in der DDR | |
Privatsache war. | |
Diverse Selbstmordversuche, das haben die meisten miteinander gemeinsam, | |
bis "es dann passiert ist" und sie in Hoheneck weggesperrt werden. Hier | |
nähten sie dann im Dreischicht-System Bettwäsche für Quelle oder | |
Strumpfhosen für Aldi. Therapien gab es nicht für Fälle, die aus der | |
Kriminalstatistik der DDR gelöscht wurden. | |
Eva-Maria Neumann, Manuela Polaszcyk, Angelika Kanitz und Ute Gesche haben | |
während ihrer Haftzeit auf engstem Raum mit solchen "Langstraferinnen" | |
gelebt. Die vier Frauen, die im Vordergrund der Dokumentation stehen, | |
kommen aus anderen Lebensumständen: Sie wurden inhaftiert, weil ihre | |
Fluchtversuche gescheitert waren oder sie Reisefreiheit auf einem Flugblatt | |
gefordert hatten. Kriminelle also, die ja nunmal gegen das in der DDR | |
gültige Gesetz verstoßen haben, wie es eine der Gefängniswärterinnen | |
pragmatisch auf den Punkt bringt. | |
In Hoheneck wurden sie dann auch genau so behandelt und standen doch | |
innerhalb der Zellen-Hierarchie auf der untersten Ebene. Wie schwer es war, | |
sich in dieser völlig fremden Welt zu behaupten weiß ich von meiner Mutter. | |
Sie war Ende der 1970er Jahre ebenfalls aus politischen Gründen für zwei | |
Jahre in Hoheneck inhaftiert. Auch sie hat in einer Zelle mit Mörderinnen | |
und KZ-Aufseherinnen gelebt. Manche waren seit zwanzig oder dreißig Jahren | |
dort – und haben sie zum Teil vor den Wächterinnen beschützt, weil sie | |
meine Mutter mochten, weil die ihnen zugehört hat. | |
Absurderweise waren diese Frauen ausgerechnet vor meiner Mutter gewarnt | |
worden. Sie war wegen eines Flugblattes und dem Besitz einiger in der DDR | |
verbotener Bücher in Hoheneck gelandet, weshalb man bis in die Zellen | |
hinein Angst vor ihren "politischen Parolen" hatte. | |
Dass in diesem Frauenknast ganz eigene, mitunter wohl ziemlich harte, | |
Gesetze galten konnte ich mir gerade noch vorstellen. Wie man gerade in | |
einer solchen Situation einen neuen, ja milderen Blickwinkel auf diese | |
"Langstrafer" entwickeln kann, das war mir bisher immer ein Rätsel. Für | |
mich waren all diese mörderischen Frauen einfach nur das Gegenteil meiner | |
Mutter, die schliesslich nicht einmal jemanden verletzt hatte. Meine Mutter | |
sagt aber, dass Hoheneck ihre Einstellung zum Menschen an sich ganz | |
grundsätzlich verändert hat. | |
Das sagen auch die vier Frauen in der Doku – und teilen ihr Leben heute in | |
ein "vor" und ein "nach Hoheneck" ein. Sie alle haben dort offenbar einen | |
anderen Blick gelernt, sogar auf die, die sie bewacht und oft gedemütigt | |
haben – auf die Aufseherinnen. Die Aufseherinnen waren Frauen, die zum Teil | |
aus Kinderheimen geholt und eigens für diese Aufgabe ideologisiert und | |
verbogen wurden. Manchmal wurden sie auch direkt aus Familien rekrutiert, | |
von denen schon jemand in Hoheneck arbeitete – dann waren gleich zwei | |
Generationen in der alten Festung als Wärterinnen beschäftigt. | |
Dass in "Unter Verschluss" drei dieser "Erzieherinnen", wie sie in Hoheneck | |
genannt werden mussten, zu Wort kommen, dass sie überhaupt etwas sagen und | |
wie sie es dann tun, gehört zum Spannendsten des Films. | |
Denn man hört bis heute wenig von denen, die in der DDR einfach nur | |
Befehlsempfänger waren – und noch seltener etwas Reflektiertes. Die meisten | |
reklamieren vollständige Neutralität für sich und das, was sie damals zu | |
tun gezwungen waren. Und die obersten Hierarchen – siehe die | |
allgegenwärtigen Dokus zum Mauerfall – spielen sowieso heute eher die Rolle | |
des sachverständigen Zeitzeugen. Hier jedoch reden drei dieser | |
Befehlsempfänger offen über ihr Verständnis von der eigenen Verantwortung. | |
Und finden dafür ganz unterschiedliche, ziemlich interessante Erklärungen. | |
Eine sagt, dass sie natürlich damals ihre Befehle nicht hinterfragt habe. | |
Schliesslich sei man Teil einer militärischen Einheit gewesen. Man musste | |
die Inhaftierten natürlich manchmal fixieren, da unten im Keller, in den | |
Isolationszellen des verschärften Arrestes. Zu ihrem eigenen Schutz, weil | |
die "so ein Theater" gemacht hätten. Aber man war dann auch froh, sagt eine | |
Andere, dass sie noch lebten, wenn man zur Kontrolle kam. Worte, die gerade | |
durch ihre noch heute zum Teil so selbstbewusste, sorglose Haltung sehr | |
viel erzählen. | |
Und dann spricht eine Dritte, aufgenommen 1990, die noch ihre Uniform | |
trägt, mit Schulterklappen. Der man jetzt alles zutraut. Nur nicht die | |
nachdenkliche Offenheit, mit der sie zu bedenken gibt, dass all diese | |
Kindsmörderinnen von einem Staat alleingelassen wurden, der | |
gesellschaftliche Mißstände verdecken wollte. "Niemand wird als Mörder | |
geboren" sagt die Frau. Und dass Hoheneck in der DDR genau deshalb | |
offiziell nicht existieren durfte. In solchen Momenten wird klar, warum der | |
Frauenknast damals eine Black Box war, in diesem Land mit seinem bis heute | |
noch gepriesenen Sozialsystem. | |
Nicht ganz so klar ist, warum solch ein Thema bei den Sendern, die de facto | |
einen Bildungsauftrag haben, bisher kaum oder gar nicht vorkam. Nun wurde | |
es auf diese Weise von einem Privatsender entdeckt und ja, der hat es auf | |
streckenweise ärgerlich unterfordernde Weise aufbereitet. Deshalb müssen | |
hier alle Fluchtgeschichten natürlich nochmal nachgestellt und die ohnehin | |
zum Teil erschütternden Berichte mit dramatisierender Musik zugekleistert | |
werden. Das ist nicht schön, aber es lohnt sich eben doch. | |
13 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Dörte Franke | |
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DDR | |
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