# taz.de -- Verfolgung: Einmal Zigeuner, immer Zigeuner | |
> Mit den gleichen Argumenten, mit denen die Nazis sie ins KZ brachten, | |
> wurden Sinti und Roma nach dem Krieg verfolgt. Sie galten als | |
> "arbeitsscheu" und "kriminell". Erst in den 80ern schwenkte die Politik | |
> um. | |
Bild: 1961 fand sich am Rand der Gemeinde Wennigsen ein Halteplatz für Sinti. | |
"Zigeunerjunge, Zigeunerjunge,/ wo bist Du, wo sind Eure Wege?", | |
schmachtete Schlagerheroine Alexandra 1967. Dabei hingen Sinti-und | |
Roma-Exemplare über jedem zweiten deutschen Sofa. In Öl. Vollbusig die | |
Hüften wiegend oder mit keckem Bärtchen unter dem Piratentuch: des | |
deutschen Spießers Abziehbild lockender Sinnlichkeit und romantischen | |
Brigantentums. Das, was sich damals immer noch "Zigeuner" schimpfte, war | |
von den Nazis bis auf Restbestände dezimiert worden. 1945 hatte ihr | |
Leidensweg aber längst kein Ende. Ausgegrenzt von der Bevölkerung, | |
schikaniert und gedemütigt von Polizei und Ordnungsämtern, mussten Sinti | |
und Roma in rattenverseuchten Ghettos am Stadtrand vegetieren. Wenn man sie | |
nicht gleich in ehemalige Nazilager verfrachtete, zum Beispiel in die | |
Osnabrücker Papenhütte. | |
"Fremd im eigenen Land" lautet denn auch völlig zu Recht der Titel einer | |
Ausstellung im Historischen Museum Hannover, die das Schicksal der "Sinti | |
und Roma in Niedersachsen nach dem Holocaust" beschreibt. Wer den 25 | |
Stationen umfassende Parcours begeht, lernt eine Menge über steindumme | |
Klischees, unausrottbare Vorurteile und menschliche Niedertracht. Vor allem | |
lernt er, dass Versuche, die ungeliebten "Zigeuner" loszuwerden, | |
hierzulande eine lange Tradition haben - und mancherorts peinliche Urstände | |
feiern. | |
Wie in Celle. Dort leben 320 der rund 60.000 Sinti, die ihr Geld mit | |
Schrott verdienen. Bis Juni 2009 hatten sie ihre Betriebsausgaben schätzen | |
dürfen. Die fiskalische Ausnahmeregel wurde 1946 eingeführt, um ihnen nach | |
der Verfolgung die Gründung kleiner Existenzen zu ermöglichen. Viele Sinti, | |
bei denen der Beruf des Altmetallhändlers eine lange Tradition hat, konnten | |
damals nicht schreiben. Nun wollte das lokale Finanzamt plötzlich | |
Quittungen sehen, rückwirkend bis ins Jahr 2000. Wohl wissend, dass dabei | |
ruinöse Steuernachforderungen fällig waren. Dem plumpen Versuch, die | |
"Zigeuner" loszuwerden, trat der Verband Deutscher Sinti mit einer Demo | |
entgegen - mit Erfolg. | |
Aus Niedersachsen stammt auch der älteste Beleg für das Auftreten der Sinti | |
im Deutschen Reich - die Mehrzahl der Roma flüchtete erst während des | |
Balkankrieges nach Westeuropa. Im 15. Jahrhundert hießen die ursprünglich | |
aus Indien stammenden Volksgruppen noch "Tartaren". Unter diesem Namen | |
führt sie eine Hildesheimer Weinamtsrechnung vom 20. September 1407 und | |
berichtet, der Stadtrat habe Getränke gereicht. Ein Indiz dafür, dass man | |
die Tartaren für ehrbare Leute hielt. | |
Die Gastfreundschaft sollte nicht lange währen: 90 Jahre später verbannte | |
ein Reichstagsbeschluss das fahrende Volk unter Androhung drakonischer | |
Strafen aus deutschen Gauen. Der offizielle Grund: Spionage für das | |
muselmanische Reich. Ein, wie Kurator Wolf-Dieter Michler schreibt, | |
"seltsamer Vorwurf gegen eine Bevölkerungsgruppe, die vor den auf dem | |
Balkan vorrückenden Türken geflohen war". | |
Die Sintiphobie kultivierte der deutsche Michel, bis die | |
Nationalsozialisten an die Macht kamen. Aus Niedersachsen wurden ab 1940 | |
etwa 1.000 Sinti und Roma deportiert. Nur jeder zehnte kam mit dem Leben | |
davon. | |
Es waren "zerbrochen Menschen und Seelen", sagt Douglas Laubinger, der fast | |
die ganze Familie in Auschwitz verlor. Laubinger ist ein berühmter | |
Handpuppenspieler, Chef des niedersächsischen Sintiverbandes und auf einem | |
von acht Bildschirmen zu sehen. Sie zeigen Filminterviews, die Schüler mit | |
drei Roma- und Sinti-Generationen geführt haben. Manuel Trollmann erzählt | |
vom Schicksal seines Großonkels Johan "Rukeli" Trollmann, eines begnadeten | |
Boxers und Stilisten, den die Faschisten erst um seinen Titel betrogen, | |
dann im KZ Neuengamme erschlugen. Man erfährt von Angelika Weiss, Spross | |
der berühmten Jazzmusikerdynastie Weiss, dass sie die Horrorgeschichte | |
ihres Vaters über die Deutschen nicht glauben wollte, bis man ihr "Zicke, | |
zacke, Zigeunerkacke" hinterherrief. "Duckt euch, seid still, bloß nicht | |
auffallen - anders zu sein, ein anderes Aussehen zu haben und eine eigene | |
Sprache, das ist gefährlich." Das, erinnert sich Douglas Laubinger, | |
brachten ihm seine Eltern noch in den 1950er Jahren bei. | |
Obwohl die Sinti und Roma von den Alliierten offiziell als "Verfolgte des | |
Naziregimes" anerkannt wurden, waren sie im Land der Täter wieder "die | |
Asozialen", denen man Schule, Ausbildung und Arbeit, kurz, ein würdiges | |
Dasein verweigerte. Wie die Ausstellung beweist, mit den gleichen | |
Argumenten, die sie in die KZs gebracht hatten. 1953 wütete ein führender | |
niedersächsischer Polizeifunktionär öffentlich und ungestraft über die | |
"Blasphemie, dass der Staat diese erwiesenermaßen Arbeitsscheuen noch mit | |
Arbeitslosenunterstützung fördert", während das LKA ihre "verbrecherische | |
Veranlagung beklagte" und Merkblätter "zur Bekämpfung des Zigeunerwesens" | |
drucken ließ. | |
Die Munition lieferten "Wissenschaftler" wie Dr. Hermann Arnold, einst | |
Rassenhygieniker im Reichsgesundheitsamt, die munter weiter publizierten | |
und als Gutachter reüssierten. Arnold war noch bis 1976 Mitglied des | |
Sachverständigenrates für Zigeunerfragen beim Bundesministerium für Jugend, | |
Familie und Gesundheit. All das führte in der Praxis dazu, dass der Staat | |
Sinti und Roma, die wie ihre Vorfahren als ambulante Händler reisen | |
wollten, als "Landfahrer" kriminalisierte und sich lange gegen angemessene | |
Entschädigungen wehrte. | |
Das änderte sich erst, als kirchliche Gruppen und die vielgeschmähten 68er | |
ein gesellschaftliches Klima schufen, in dem es Sinti und Roma möglich war, | |
das Stigma sozialer Ausgrenzung zu durchbrechen. 1980 traten 13 Sinti auf | |
dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau in unbefristeten Hungerstreik. Sie | |
protestierten gegen die Weiterverwendung von NS-"Zigeunerakten" durch die | |
"Landfahrerzentrale" des Bayerischen LKAs und gegen die alltägliche | |
Diskriminierung in der BRD. Die Aktion erregte internationales Aufsehen. | |
Doch erst ein Jahr später erzeugte der Göttinger Welt-Roma-Kongress so viel | |
öffentlichen Druck, dass die Bundesregierung nicht mehr umhin konnte, den | |
Genozid an Sinti und Roma anzuerkennen und für zügige Wiedergutmachung zu | |
sorgen. In anderen Teilen Europas, etwa im Kosovo, werden sie immer noch | |
verfolgt. Abschiebepredigern wie Niedersachsens Innenminister Uwe | |
Schünemann (CDU) sei daher ein Besuch der Ausstellung empfohlen. | |
18 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Quasthoff | |
## TAGS | |
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma | |
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