# taz.de -- Beate Klarsfeld über Demjanjuk: „Die deutsche Justiz hat Angst“ | |
> Beate Klarsfeld über den Demjanjuk-Prozess, Verantwortung, die | |
> Kiesinger-Ohrfeige und ihre glückliche Familie. | |
Bild: Beate Klarsfeld: „Die Verbrecher dürfen bis zum letzten Augenblick ihr… | |
taz: Frau Klarsfeld, seit gestern steht der mutmaßliche NS-Verbrecher Iwan | |
Demjanjuk vor Gericht in München. Sie sind mit Ihrem Ehemann von Paris | |
angereist, um die ersten Tage zu verfolgen. Was halten Sie von diesem | |
Prozess? | |
Beate Klarsfeld: Es wird wohl der letzte Prozess gegen einen NS-Verbrecher | |
sein und der wird schwierig. Denn es gibt keine lebenden Augenzeugen mehr, | |
die Verhandlungen müssen wegen Demjanjuks Gesundheitszustand vielleicht | |
unterbrochen werden. Und man darf nicht vergessen, dass er kein | |
Exzesstäter, sondern ein Wächter war. Ihm einen einzelnen Mord nachweisen | |
zu können, ist nahezu unmöglich. Aber durch diesen Prozess werden die | |
Leiden der Juden noch mal öffentlich, die Opfer bekommen ein Gesicht. Ob | |
Demjanjuk ins Gefängnis kommt oder wie hoch die Strafe sein wird, ist dabei | |
fast schon nebensächlich. Wenn er freigelassen wird, dann ist das eine | |
Blamage für die deutsche Justiz. | |
In Deutschland gibt es die Diskussion, ob ein 89-Jähriger wie Demjanjuk | |
noch vor Gericht gehört. Eine Debatte, die Sie nachvollziehen können? | |
Nein, natürlich muss ihm der Prozess gemacht werden. Es ist wichtig für die | |
Geschichte und für die Jugend zu wissen, dass diese Männer auch im hohen | |
Alter noch belangt werden können – und es ist die Schuld der Deutschen, | |
dass sie so lange gewartet haben, bis sie nur noch Rentner, die bettlägerig | |
und senil sind, vor Gericht zerren konnten. Die Verbrecher dürfen bis zum | |
letzten Augenblick ihres Lebens nicht ruhig schlafen können, sie müssen | |
jeden Tag Angst haben. Simon Wiesenthal nannte das mal „Last Chance“. Man | |
vergisst die Verbrechen dieser Menschen nicht. | |
Sie haben bereits 1992 gegen Demjanjuk eine Strafanzeige in Frankreich | |
gestellt, wegen der Transporte, die von Frankreich nach Sobibor gingen. In | |
Deutschland sind Sie nun als Nebenklägerin nicht zugelassen worden. Warum? | |
Wir haben mit unserer Organisation Fils et Filles des Déportés Juifs de | |
France einen Antrag für eine Nebenklage gestellt, und zwar für den | |
Transport Nummer 53, der mit 1.008 Personen, darunter auch Kinder, von | |
Paris nach Sobibor fuhr und dort während der Dienstzeit Demjanjuks, am 5. | |
März 1943 ankam. Für diesen Transport haben wir auch Augenzeugenberichte | |
von zwei Überlebenden, die sich während der Revolte retten konnten und nach | |
dem Krieg aussagten. Wir sind in Deutschland aber nur auf Widerstand | |
gestoßen, die deutsche Justiz hat Angst. | |
Mit welcher Begründung wurde der Antrag abgelehnt? | |
Letzten Donnerstag erreichte uns die endgültige Absage vom bayerischem | |
Justizministerium. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass das | |
Verfahren nicht durch Klärung zusätzlicher Fragen verzögert werden sollte. | |
Der Prozess stelle für das Gericht und alle Beteiligten ohnehin schon eine | |
große Herausforderung dar. Deswegen habe man habe sich auf die Transporte | |
aus den Niederlanden konzentriert, heißt es aus dem Justizministerium. | |
Dabei hätte es noch mal deutlich gemacht, dass Juden aus ganz Europa in | |
Sobibor ankamen, dennoch werden die aus Frankreich deportierten Juden in | |
München nicht vertreten sein. Dabei haben natürlich auch die französischen | |
Juden ein Anrecht darauf, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. | |
Für die deutsche Justiz wird das Verfahren eine Premiere: Zum ersten Mal | |
wird ein ausländischer Scherge aus dem letzten Glied der Befehlskette | |
belangt, weil er mithalf, die Mordmaschinerie am Laufen zu halten. Warum | |
erst so spät? | |
Die Deutschen hatten ja seit Kriegsende die NS-Verbrecher vor der eigenen | |
Tür, die tausendmal verantwortlicher waren als Demjanjuk. Der war ein | |
russischer Kriegsgefangener, welcher von den Deutschen übernommen wurde. | |
Die großen Nazis saßen ja in allen Posten und haben die Politik | |
mitgestaltet. Kurt Kiesinger mit seiner NS-Vergangenheit hatte die | |
Deutschen rehabilitiert. Mit ihm als Bundeskanzler musste sich der kleine | |
Nazi keine Selbstvorwürfe mehr machen. | |
Sie haben bei Ihrer Suche oftmals feststellen müssen, wie simpel es war, | |
jemanden aufzuspüren, auch wenn Staatsanwälte das Gegenteil behaupteten. | |
Kurt Lischka etwa haben Sie im Kölner Telefonbuch gefunden. War die | |
deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind? | |
Es kümmerte keinen, und es gab im Volk keine Sympathien für diese Prozesse. | |
In der Politik wollte niemand an dieses Thema ran – vor allem nicht die CDU | |
und die FDP. Gerne wurde auch die Ausrede benutzt, man könne ja kaum noch | |
etwas beweisen. | |
Sie werden oft als „Nazi-Jägerin“ bezeichnet. Wie sehen Sie sich selbst? | |
Ein Jäger benutzt Waffen, das haben wir niemals gemacht. Wir haben Nazis | |
zwar gejagt, aber diese Jagd bestand im Aufdecken und Bekanntmachen, damit | |
die Täter von der Justiz zur Verantwortung gezogen werden. | |
Die Zeit nannte Sie einst „Racheengel wider die deutsche | |
Geschichtsgleichgültigkeit“. | |
Es ging mir nie um Rache. Ich bin Deutsche und Nichtjüdin, damit habe ich | |
eine moralische Verpflichtung. Ich hatte einfach immer das Gefühl, | |
Gerechtigkeit schaffen zu müssen. Etwas zu tun für diejenigen, die ihre | |
Eltern und Kinder verloren haben. Ich wollte nicht, dass die NS-Mörder als | |
Bürgermeister oder Politiker unbehelligt weiter in Deutschland leben. Man | |
kann nicht immer nur sagen: Ich bedaure oder ich fühle mich schuldig. Man | |
muss auch handeln. Sophie Scholl war immer ein Vorbild für mich. | |
Sühne, Vergeltung, Bestrafung – sind dies die Leitbegriffe des Ehepaars | |
Klarsfeld? | |
Es geht um Bestrafung. | |
Die Täter sterben aus. Wie hält man die Erinnerung wach? | |
Es gibt zahlreiche Museen und Gedenkstätten, die vor allem für die Jugend | |
immer wichtiger werden. Auch unser Verein beschäftigt sich mit der | |
Erinnerung an die Opfer. Weil aber auch die Überlebenden bald aussterben | |
werden, ist es wichtig, Dokumentationen zusammenzustellen. Die Erinnerung | |
an den Holocaust ist nie erledigt. | |
Sie haben 2008 in einem Interview gesagt „Ich bin stolz, Deutsche zu sein“. | |
Warum? | |
Auf jeden Fall. Was kann man mehr tun, als den Ruf seines Volkes zu | |
verbessern? | |
Die Namen Beate und Serge Klarsfeld stehen in Frankreich in jedem Lexikon. | |
Sie sind schon in vielen Ländern für Ihre Arbeit ausgezeichnet worden – nur | |
nicht in Ihrer Heimat. Zuletzt hat Gregor Gysi angekündigt, dass die Linke | |
Sie für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen will. | |
Bisher kam nichts, nichts, nichts. Sie kennen doch das Sprichwort von dem | |
Propheten im eigenen Lande. In Deutschland wird mir immer noch die Ohrfeige | |
vorgehalten, die ich Kiesinger verpasst habe. Viele haben mir das nicht | |
verziehen, ich galt als Nestbeschmutzerin. Die Ohrfeige war eine | |
symbolische Aktion: Die Kinder der Nazis geben den Nazivätern eine | |
Ohrfeige. Ich warte immer noch auf eine Geste Deutschlands und hoffe, dass | |
man mich nicht vergisst – denn ich habe viel für Deutschland getan. | |
Sind Sie zufrieden mit Ihrem Lebenswerk? | |
Sehr sogar. 1960 ging ich aus Berlin fort, ohne Abitur oder sonst was | |
Besonderes. Man kommt nach Paris, wird Au-pair-Mädchen und trifft einen | |
jungen Mann, dessen Vater deportiert wurde. Und dann haben wir zusammen all | |
das aufgebaut. Ich bin immer noch mit demselben Mann glücklich verheiratet. | |
Wir haben zwei Kinder großgezogen, unser Sohn Arno engagiert sich besonders | |
für Israel, wir sind von unseren Hunden und Katzen umgeben. Ich bin | |
kürzlich Großmutter geworden und bald kommt unser nächstes Enkelkind. Wir | |
sind eine sehr glückliche Familie. | |
Zuletzt eine Frage, Frau Klarsfeld, die man Ihnen einfach stellen muss: Als | |
Sie Bundeskanzler Kurt Kiesinger 1968 öffentlich geohrfeigt haben, warum | |
haben Sie ihn eigentlich auf sein Auge geschlagen? | |
Ich wollte seine Wange treffen, musste aber schnell handeln. Dass ich dann | |
sein Auge getroffen habe, war nicht geplant. Er hatte dann ein braunes | |
Auge, das passte ja dann irgendwie. | |
30 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
Cigdem Akyol | |
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Beate Klarsfeld | |
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