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# taz.de -- Kolumne Klatsch: Klingelingeling – die Mafia
> Die modernen Verbrecherorganisationen heißen heute Jamba oder Debitel.
> Bei Anruf: Abbuchung.
Mein Respekt gilt heute an dieser Stelle den Herren Provenzano, Raccuglia,
Di Stefano und all den anderen "Ehrenmännern" vom Geschäftszweig der
sizilianischen Cosa Nostra. Das sind noch anständige Kerle. Ich ziehe den
Hut. Wenn ein Ladenbesitzer in Palermo sein Schutzgeld nicht bezahlt,
schicken die Bosse zum Eintreiben der "Schuld" noch jemanden persönlich
vorbei. Auch das Einschlagen der Schaufenster oder das Abfackeln des Autos
ist bei der Mafia bis heute echte Handarbeit. Davon können sich die
Kollegen in Deutschland noch eine Menge abschneiden.
Nördlich der Alpen hat sich die Mafia so schön klingende Namen wie Jamba
oder debitel gegeben. Jamba handelt mit Klingeltönen fürs Handy, ist also
eine auf Kindesmissbrauch spezialisierte Organisation. Sie zieht Kindern
und Jugendlichen beziehungsweise deren Eltern das Geld aus der Tasche,
selbstverständlich völlig legal. Eine Verbrecherorganisation mit
Handelsregistereintrag und "allgemeinen Geschäftsbedingungen", mit Vorstand
und Chefsekretärin. Die Herren der Mafia in Deutschland müssen sich nicht
in abgelegenen Bauernhöfen verstecken.
So ein Klingelton-Abonnement für das Handy kostet in der Woche sechs Euro.
Macht im Monat 24 Euro. Keine Ahnung, welche Klingeltöne man dafür erhält,
aber bei diesem Preis würde ich mindestens Beethovens Neunte erwarten. Ich
kenne die Preise deshalb so genau, weil sie jeden Monat auf meiner
debitel-Telefonrechnung auftauchen, seit mein 11-jähriger Sohn in einem
unbewachten Augenblick meine Sim-Karte in sein Handy einlegte. Dabei
scheint er absichtlich oder aus Versehen fünfmal die 3 gewählt zu haben.
Das genügt und man ist "Abonnent".
Selbstverständlich bezahle ich das nicht. Schließlich ist ein 11-jähriger
Junge nicht geschäftsfähig. Es kommen in letzter Zeit zwar immer häufiger
Droh- und Mahnbriefe der Telefongesellschaft, und das Handy wurde in der
Zwischenzeit von diesen Halunken gesperrt. Aber das macht mir nichts.
Niemals werde ich Geld für ein Klingelton-Abonnement bezahlen! Das käme
schließlich dem Straftatbestand der "Unterstützung einer kriminellen
Vereinigung" (§ 129 Abs. 1 StGB) gleich.
Im Jahr 2007 lag, laut einem Bericht der EU-Kommission, der europaweite
Umsatz mit Klingeltönen bei 691 Millionen Euro. Da muss es selbst auf
Sizilien geklingelt haben. Offenbar ist mit dem Taschengeld von Kindern
mehr Gewinn zu machen als mit Schutzgelderpressung oder illegaler
Müllentsorgung.
Zwar hat die EU einige der Firmen abgemahnt und ein bisschen Bußgeld
verteilt, darunter auch an Jamba. Aber das stört die nicht weiter bei so
satten Einnahmen und der bequemen Einzugsermächtigung. Nach außen geben sie
sich nett und harmlos. So hat die Sprecherin von Jamba in einem Interview
erklärt: "Wenn ein Kind ein Produkt bei uns ohne Zustimmung der Eltern
bestellt, dann erstatten wir die Kosten zurück." Wer sich aber darauf
beruft, bekommt eine ganz andere Antwort: "Sofern Sie vortragen, die
Bestellungen seien durch eine minderjährige Person durchgeführt worden,
müssen wir dies zunächst höchst vorsorglich mit Nichtwissen bestreiten."
Ob ich mit meiner Zahlungsverweigerung bei einem Gericht durchkomme, ist
noch nicht sicher. Ein Rechtsanwalt legte die Stirn in Falten, als ich ihm
mein Leid klagte. Egal. Ich bezahle nicht! Niemals! Eher gehe ich ins
Gefängnis. Dort sitze ich dann und werde versuchen, mein Weltbild wieder in
Ordnung zu bringen: Die Mafia ist draußen und ich bin hinter Gittern.
PS: Gerade war der Postbote da. Er brachte wieder einen Brief von Jamba.
Vorsichtig öffnete ich ihn. Uff! Ich muss doch nicht ins Gefängnis. Sie
haben mir tatsächlich die Abo-Kosten zurückerstattet und sehen damit "die
Angelegenheit als erledigt" an. Bestellungen von Minderjährigen, so
schreibt ein Herr Customer Service, würden sie "kulant behandeln". Und
weiter. "Diese Einstellung gehört selbstverständlich zur
Kundenphilosophie." Vielleicht sind die doch keine Verbrecher.
2 Dec 2009
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
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