# taz.de -- Otto Graf Lambsdorff ist tot: Der Held des Neoliberalismus | |
> Mit den Flick-Parteispenden hinterzog er für die FDP Steuern. Viele Jahre | |
> später organisierte er die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Am | |
> Samstag ist der Bismarck-Bewunderer Lambsdorff gestorben. | |
Bild: Hat die FDP stark geprägt: Otto Graf Lambsdorff an seinem 80. Geburtstag… | |
BERLIN taz |1980 hatte die rotgelbe Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt | |
deutlich über das Angebot der Union gewonnen. "Strauß? Nein danke!" einte | |
als Parole nicht nur Sozialdemokraten und Liberale, das Motto zog auch | |
Zehntausende von CDU-Wählern von ihrer Stammpartei weg. Schmidt und | |
Genscher - das wäre auch bis 1984 das politische Paar, das der | |
Bundesrepublik eine schwarze Regierung erspart hätte. | |
Der Mann, der mit diesem Frieden brach, war Otto Graf Lambsdorff, seit 1977 | |
Bundeswirtschaftsminister, der kein Hehl daraus machte, dass er mit der | |
wirtschafts- und sozialpolitischen Linie fast aller Parteien nicht | |
einverstanden war. In einem später als "Scheidungspapier" bekannt | |
gewordenen Schriftstück forderte er 1982, mit den Strukturen des | |
Verteilungsstaates zu brechen, Sozialpolitik nur noch auf das Notwendigste | |
zu beschränken - und Steuern zu senken. | |
Lambsdorff trug mit dieser Expertise erheblich dazu bei, dass die FDP mit | |
dem Koalitionspartner brach und sich dem neuen Partner zuwandete - der neue | |
Boss war Helmut Kohl. Ende 1982 traten die Liberalen aus der | |
Bundesregierung zurück - und Schmidt, in seiner Partei selbst nicht mehr | |
als ein Repräsentant alter, industrieller Zeiten, wurde als Kanzler | |
abgewählt. Lambsdorff ist seither der Held all jener, die später des | |
Neoliberalismus geziehen wurden. Ihn nannte der Politikwissenschaftler | |
Franz Walter nicht umsonst einen "Feldherrn des Wirtschaftsbürgertums". | |
Lambsdorff, Jurist, tätig für eine Fülle von Konzernen und | |
Mittelstandsfirmen, auch in ihren Aufrichtsräten, war immer gegen Steuern | |
überhaupt - Sozialpolitik war für ihn allenfalls dann eine gerechte, wenn | |
sie kaum über die Organisation von Almosenzahlungen hinausging. Noch | |
neulich warnte der längst siechende Politiker die schwarzgelben Neuregenten | |
vor einem "Schuldenrausch". | |
Trotzdem blieben seine Konzepte für eine liberale Wirtschafts- und | |
Finanzpolitik extrem havarieanfällig. Lambsdorff und die Seinen versprachen | |
zwar, in der Kohlregierung für ihre Ziele nicht nur einzutreten, sondern | |
nötigenfalls auch die Koalition zu verlassen, falls die Union nicht | |
mitziehe, doch ging diese Versprechung niemals in Erfüllung. Die Union | |
unter Helmut Kohl hatte keinen Sinn für die neoliberale Wende. Sie war | |
damit beschäftigt zu verkraften, dass das selbstgesteckte einer | |
"geistig-moralischen Wende" nicht gelang. Die CDU/CSU vermochte die | |
Bundesrepublik weder in eine Republik wie in den Fünfzigerjahren | |
zurückzukneten, noch schaffte es die FDP, in ihrem Sinne wirksamen Protest | |
gegen die Erhöhung der Staatsschulden zu entfalten. Im Gegenteil war es die | |
CDU und ihr Arbeitsminister Norbert Blüm, die eine weitere Säule im | |
Sozialsystem installierten, die Pflegeversicherung - die aber war das | |
Gegenteil von dem, was die Liberalen wollten. "Die Zeiten leichteren Lebens | |
sind vorbei" ist ein von Lambsdorff überlieferter Satz, und die Drohung, | |
die hinter ihm steckte, das Gürtel-enger-schnallen, mochte für einige | |
BürgerInnen bedrohlich gewesen sein, auf die Kerne bundesdeutscher | |
Sozialpolitik hatte Lambsdorffs Credo freilich gar keinen Einfluss. | |
In Wahrheit hatte Lambsdorff, in der Flick-Affäre verdächtig, als Politiker | |
bestechlich gewesen zu sein, immer nur kleines Karo realisieren können. Er, | |
der einer Kriegsverwundung wegen auf einen Gehstock angewiesen blieb, war | |
die Personifizierung des scharfmacherischen Retters vor den Sümpfen des, so | |
sagte er, entmündigenden Sozialstaats. Seine Invektiven gegen diesen, der | |
seinen Bürgern alles abnähme, ihnen das Selbstversorgen abgewöhnte, | |
zerstoben zu Unwichtigem, als herauskam, dass er und wie ja überhaupt die | |
FDP stets nur die eigene Kundschaft zu begünstigen wusste, eine | |
Klientelpartei, keine im Geiste echter Liberalität. Lambsdorff ist der | |
Einzige gewesen, der im Zuge der Flick-Affäre verurteilt wurde, wegen | |
Steuerhinterziehung, mit einer Geldstrafe in Höhe von knapp 200.000 Mark. | |
Auffällig war, dass Lambsdorff im Untersuchungsausschuss des Bundestags | |
selbst in jeder Hinsicht Haltung bewahrte - den reuigen Sünder gab er | |
nicht, bis zum Schluss sah es sich nicht im Unrecht. | |
1988 wurde Lambsdorff, der im persönlichen Umgang stets freundlich und | |
zugewandt war, zum FDP-Vorsitzenden gewählt, aber während seiner fünf Jahre | |
in diesem Amt entpuppte er sich als wortmächtige, stets am lautesten das | |
Liberale fordernde, dennoch immer lahme Ente: Alles, was er auf Podien, in | |
Lobbys oder in Interviews krass verhieß, erwies sich als unbedeutendes | |
Politlüftchen. Weder ging die Union auf die Forderungen der FDP ein noch | |
hatte diese ernsthaft das Rückgrat, das Bündnis mit der Union zu kündigen. | |
Lambsdorff trat, entnervt im Übrigen von den Attacken seines Parteifeindes | |
Jürgen Möllemann, 1993 vom Amt zurück. | |
Seine Bilanz fiel trübe aus: Wirtschaftsneoliberal aufstäubend, | |
argumentierend stets dann, wenn es nicht darauf ankam, bis vor wenigen | |
Jahren gern auch im Fernsehen, pragmatisch und lediglich machtorientiert, | |
wenn es echt zählte - die FDP hat immer alles an Inhalten verleugnet, wenn | |
die Union es von ihr abforderte, und Lambsdorff war der konsequenteste | |
unter diesen Pragmatikern. | |
Den für die Interessen der Bundesrepublik wichtigsten Job übernahm er | |
freilich erst unter Kanzler Gerhard Schröder. Der Sozialdemokrat betraute | |
Lambsdorff mit der Moderation der Verhandlungen über die Entschädigung von | |
NS-Zwangsarbeitern. Die Arbeit des gewieften Anwalts fand bis in alle | |
politischen Lager hinein Anerkennung. Lambsdorff, der niemals die Anliegen | |
einer konsequenten Menschenrechtspolitik an die liberale Wirtschaftspolitik | |
verriet, wusste vor allem in den Organisationen und Standesvertretungen der | |
Unternehmen für die finanzkräftige Lösung der Stiftung zugunsten der | |
Zwangsarbeiter zu werben - er wusste immer genau, wie ernsthaft und | |
glaubwürdig zwischen Interessen zu makeln sei. | |
Am 5. Dezember, nur wenige Wochen vor seinem 83. Geburtstag, ist Otto Graf | |
Lambsdorff in einem Bonner Krankenhaus gestorben - wie seine Angehörigen | |
sagten, am Ende langer, schwerer Leiden. | |
6 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
FDP | |
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