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# taz.de -- Wenig Sympathie mit griechischen Protestlern: Durchlöcherte Fronten
> Ein Jahr, nachdem in Athen der 15-jährige Alexis Grigoropoulos durch eine
> Polizeikugel getötet wurde, gingen nun wieder Demonstranten auf die
> Straße. Doch der Wind hat sich gedreht.
Bild: 6.12.2009, Athen: Die Polizei kesselt Demonstranten.
Die Athener Demonstrationen vom letzten Wochenende und vom Montag sind
relativ friedlich verlaufen. Die Feststellung mag angesichts der vielen
verletzten Demonstranten und Polizisten und angesichts der vorübergehenden
Festnahme von rund 800 Demonstranten merkwürdig klingen, aber die
griechischen Maßstäbe sind nun einmal anders.
Zum Jahrestag des Todes von Alexis Grigoropoulos hatten die Öffentlichkeit
wie die Polizei ähnliche Straßenkämpfe und Brandanschläge auf Banken und
Geschäfte erwartet wie in den Tagen nach dem 6. Dezember 2008. Damals waren
in der Athener Innenstadt zehntausende Jugendliche auf die Straße gegangen.
Hunderte von Vermummten, die sich selbst "Anarchisten" nennen, hatten
Banken und Luxusgeschäfte angegriffen und das Athener Zentrum lahmgelegt.
Ein Jahr später kam es im Anschluss an eine Großdemonstration am Samstag
zwar auch zu harten Polizeieinsätzen und einem Schwerverletzten. Und die
jugendlichen Demonstranten besetzten ein paar Dutzend Universitätsinstitute
wie auch das Hauptgebäude der Athener Universität. Dort erlitt der Rektor
nach einem tätlichen Angriff einen Herzanfall und wurde ins Krankenhaus
eingeliefert. Aber auch er ist auf dem Weg der Besserung, und die Besetzer
sind noch in der Nacht zum Sonntag wieder abgezogen.
Im Dezember 2008 waren viele Universitäten noch wochenlang blockiert
geblieben. Wie um den relativen "Erfolg" zu demonstrieren, begannen
Malerkolonnen schon Montagmorgen, die Parolen auf den Mauern des
Uni-Gebäudes zu übertünchen.
Ob also die Politik der "Null-Toleranz gegenüber Gewalt" erfolgreich war,
die der für die Polizei zuständige Minister verkündet hatte, bleibt
abzuwarten. Unter der Regierung der Pasok-Partei, seit September dieses
Jahres an der Macht, wurde das frühere "Ministerium für innere Ordnung" in
"Ministerium für die Rechte des Bürgers" umbenannt.
Damit wollte die neue Mannschaft unter Regierungschef Giorgos Papandreou
signalisieren, dass man die traditionell autoritär auftretende Polizei in
den Dienst der normalen Bürger stellen will. Doch der neue Minister
Michalis Chrisochoidis fühlt sich mindestens ebenso sehr dem "Schutz des
Bourgeois" verpflichtet, will also um jeden Preis die Geschäfte der Athener
Innenstadt schützen.
Die meisten Athener haben nichts dagegen. Sie wollen nicht noch einmal eine
Vorweihnachtszeit mit brennenden Geschäften erleben wie im vergangenen
Jahr. Gewiss hat die große Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor herzliche
Sympathien für die demonstrierende Jugend, aber das Verständnis für
Besetzungen und Molotowcocktails ist innerhalb der letzten zwölf Monate
deutlich zurückgegangen.
Das liegt vor allem an der Entwicklung der militanten Athener Szene und an
der Rückkehr eines terroristischen Untergrunds, auch durch den Prozess
gegen Mitglieder der "Revolutionären Organisation 17. November", der
Organisation, die zwischen 1975 und 2001 fast 30 Menschen tötete. Die
schien mit dem Gerichtsurteil vom Dezember 2003 am Ende zu sein. Doch seit
Ende Dezember 2008 gab es in Athen wieder so viele Attentate, zum Teil mit
tödlichem Ausgang, zu der sich immer neue Gruppen einer "bewaffneten
Avantgarde" bekannten, dass die Öffentlichkeit ernsthaft beunruhigt ist.
Auch die meisten links fühlenden Jugendlichen empfinden keine Sympathie mit
Gruppen, die ihren eigenen Kampf eher diskreditieren. Zumal wenn sie in
ihren Bekennerschreiben eine Art terroristischen Nihilismus propagieren,
der die Gesellschaft gar nicht mehr verändern will und Griechen ohnehin als
ein Volk von "korrupten Kleinbürgern" verachtet.
Von solchen elitären Terroristen wollen gerade die jugendliche
"Anarchisten" nichts wissen, die oft die Speerspitze militanter
Demonstrationen darstellen. 22 von ihnen hat die Polizei am Wochenende
festgenommen, als sie im Vorort Keratsini eine Werkstatt aushob, in der
offenbar Molotowcocktails gebastelt wurden. Unter den Verhafteten befanden
sich ein Sohn und eine Tochter des Pasok-Abgeordneten Grigoris Niotis. Der
erklärte in einer ersten Reaktion gegenüber der Presse, er habe in die
griechische Justiz genauso unbegrenztes Vertrauen wie in seine Kinder.
Das Dilemma des Pasok-Vaters ist dasselbe, vor dem seine ganze Partei und
die Regierung Papandreou stehen. Die große Mitte-links-Partei Griechenlands
droht nach ihrem Wahlsieg über die konservative Nea Dimokratia (ND) die
junge Generation und die Zukunft zu verlieren.
Der Grund ist vor allem die Wirtschaftslage. Griechenland steht mitten in
einer Rezession, die das Land weit stärker trifft und vor allem länger
dauern wird als erwartet. Im dritten Quartal 2009 ist die Wirtschaft erneut
geschrumpft, für das ganze Jahr wird der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts
1,5 Prozent betragen. Aber was noch schlimmer ist: Auch für 2010 wird mit
Minuswachstum gerechnet. Wenn es so kommt, wird Griechenland das einzige
Land der Eurozone sein, das in der Rezession stecken bleibt.
Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind jetzt schon absehbar: Die
Arbeitslosenquote wird am Jahresende bei 10 Prozent liegen, für 2010 wird
mit einem weiteren Anstieg auf mindestens 12 Prozent gerechnet. Und diese
Zahl ist auch noch unrealistisch, weil die griechische Statistik bei Weitem
nicht alle Erwerbslosen erfasst. Nach deutschen Methoden gerechnet, läge
die Quote schon heute bei über 15 Prozent.
Das ist speziell für die junge Generation eine düstere Aussicht. Bei der
Erwerbsbevölkerung unter 25 Jahren dürfte die Arbeitslosenquote auf über 25
Prozent steigen. Und selbst wer heute einen sicheren Job hat, sieht sich -
mit Hinweis auf die jugendliche Reservearmee - einem massiven Lohndruck
ausgesetzt. Die berühmte "700-Euro-Generation", die viele Beobachter als
Träger der Revolte vom Dezember 2008 identifiziert haben, droht in den
nächsten Jahren zur "600-Euro-Generation" zu werden.
Die Regierung ist sich über die Wirtschaftslage natürlich im Klaren, zumal
sie die Wahlen vom September mit dem Hinweis auf die drohende Katastrophe
gewonnen hat. Aber ihr Wahlprogramm, mit der sie die griechische Wirtschaft
aus der Krise zu führen versprach, wird sie in den nächsten zwei Jahren
nicht umsetzen können. Das liegt an dem dramatischen Haushaltsdefizit, das
die Pasok vorgefunden hat.
Nachdem die alte ND-Regierung der EU noch im August ein geschätztes
Staatsdefizit von 6 Prozent gemeldet hatte, musste der neue Finanzminister
Jorgos Papakonstantinou im Oktober für das Jahr 2009 ein Defizit von 12,8
Prozent einräumen. Seitdem steht die Haushaltsplanung der Athener Regierung
unter dem Kuratel der Brüsseler Kommissare.
Die Pasok-Regierung musste den EU-Partnern und der Europäischen Zentralbank
versprechen, das Haushaltsdefizit für 2010 auf 9,2 Prozent des BIP zu
senken. Damit ist der Spielraum für ein aktives Konjunkturprogramm, das
etwa mehr Einstiegsjobs schaffen könnte, drastisch eingeschränkt. Und auch
die erhöhten Steuern für Großeinkommen und Luxusimmobilien, die
Papakonstantinou plant, werden das Geld für neue Sozialprogramme nicht
einspielen können. Schon 2009 müssen die beiden größten
Sozialversicherungskassen mit fast drei Milliarden Euro gestützt werden.
Und dieser Subventionsbedarf wird dramatisch zunehmen, wenn in absehbarer
Zeit keine einschneidende Neuordnung des Rentensystems erfolgt.
Für die Regierung Papandreou zeichnen sich damit soziale Konflikte ab,
denen mit polizeilichen Konzepten nicht beizukommen ist. Das
Renteneintrittsalter liegt in Griechenland derzeit bei 60 Jahren. Die
Gewerkschaften wird man zu einem Verzicht auf dieses luxuriös frühe
Rentenalter kaum bringen können.
Der Hinweis auf den drohenden Staatsbankrott, den man aus internationalen
Finanzkreisen, aber auch aus Brüssel hört, wird die Massen jedenfalls nicht
zum Einlenken bringen. Viel eher werden sie den Demagogen glauben, die
hinter solchen Hinweisen eine "internationalen Verschwörung" gegen ihr
Vaterland vermuten.
Die unabhängigen Ökonomen wissen, dass die Lage eher umgekehrt ist. Einer
ihrer klugen Köpfe meinte unlängst: Gäbe es nicht die Solidarität der
Eurozone, wäre der Staatsbankrott schon da.
7 Dec 2009
## AUTOREN
Niels Kadritzke
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