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# taz.de -- Schweinegrippe-Impfstoff: Biotop für Pharma-Riesen
> Die deutsche Impfstoff-Bestellung reicht für viel mehr Menschen als
> zunächst gedacht. Die EU hat die Industrie zudem beim Aufbau neuer
> Produktionskapazitäten kräftig unterstützt.
Bild: Hilft beim Abbau der Impfdosen: Gesundheitsminister Philip Rosler (FDP).
Die deutsche Bestellung für Schweinegrippe-Impfstoff könnte sich
mittlerweile fast verdoppelt haben. Das liegt nicht an einer
Nachbestellung. Es liegt an einer Dosierungsänderung: Als die Länder 50
Millionen Dosen Pandemrix bei dem Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline (GSK)
orderten, sollten je zwei Spritzen für die Immunisierung nötig sein.
Inzwischen sagen die zuständigen Behörden: Eine Erwachsenen- bzw.
Kinderdosis reicht. So steht es seit Donnerstag in der aktualisierten
Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko).
Dosierungsempfehlungen müssen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen
angepasst werden - die Impfstoffbestellung der Bundesländer muss dass
offenbar nicht. Im Vertrag mit GlaxoSmithKline gebe es keine Klauseln für
einen solchen Fall - an Bestellmenge und Preis ändere sich nichts,
bestätigte das koordinierende Thüringer Gesundheitsministerium der taz am
Freitag.
Am selben Tag rief Hessens Gesundheitsminister Jürgen Banzer (CDU) die
Bevölkerung dazu auf, sich gegen das H1N1-Virus impfen zu lassen. Besonders
empfahl er das Kindern ab einem halben Jahr und ihren Betreuenden sowie
jungen Erwachsenen bis 24 Jahre. "Aber auch alle anderen Bürgerinnen und
Bürger sollten über eine Impfung nachdenken", appellierte Banzer. Diese sei
"der beste Schutz gegen eine Infektion".
Auf finanzieller Ebene ist die Impfung auch ein Schutz für die Länder.
Sobald die Bürger das Angebot nutzen, zahlen die gesetzlichen oder die
privaten Krankenversicherungen für den Impfstoff. Es gibt Obergrenzen dafür
- aber die sind hoch.
"Was nicht verimpft wird, müssen die Länder tragen", so
Bundesgesundheitsminister Philip Rösler (FDP). Die Länder könnten aber
nicht verbrauchte Dosen weiterverkaufen. Die Ukraine habe schon angeklopft.
Ob das Geld nun aus der Ukraine kommt, aus Krankenkassenbeiträgen oder
Steuergeldern - GlaxoSmithKline scheinen 450 bis 500 Millionen Euro für die
bestellte Pandemrix-Menge sicher zu sein. Nur falls die WHO die
Schweinegrippewarnung herunterstufe, müssten die Länder nicht allen
Impfstoff abnehmen, heißt es in Erfurt.
Solch komfortable Bedingungen haben die Hersteller bei saisonalen
Grippeimpfstoffen nicht. 2008 wurden solche Produkte 18 Millionen
Kassenpatienten verordnet, hat das Wissenschaftliche Institut der AOK
(Wido) ermittelt. Den Umsatz von rund 316 Mio. Euro teilten sich viele
Firmen - es war der höchste bei Impfstoffen insgesamt. Verwunderlich ist
das kaum: Während andere Impfungen lang anhaltend schützen oder nur für
Teile der Bevölkerung relevant sind, wird die saisonale Grippeimpfung breit
beworben und soll jährlich erneuert werden, weil die Viren sich verändern.
Besonders empfohlen wird diese Grippeimpfung über 60-Jährigen. Schätzungen
zufolge machen zwischen 45 und 64 Prozent von ihnen in Deutschland davon
Gebrauch. Das aber stellt die Industrie nicht zufrieden - und sie kann die
Weltgesundheitsorganisation und die EU-Regierungen an ihrer Seite wissen.
Im Mai 2003 forderte die WHO ihre Mitgliedsstaaten auf, die Grippeimpfraten
in der älteren Bevölkerung bis 2010 auf 75 Prozent zu erhöhen. Die
Regierungen sahen sich unter Druck, sich gegen Pandemien zu wappnen. Die
Lungenkrankheit Sars hatte viele das Fürchten gelehrt. Die EU unterstützt
das WHO-Ziel. In offiziellen Dokumenten macht weder der Rat noch die
Kommission einen Hehl daraus, dass es dabei auch um Interessen der
Pharmabranche ging und geht.
Der Industrie sollen Anreize geboten werden, ihre Produktionsstätten für
den Pandemiefall zu rüsten. Die Branchengrößen im Verband Europäischer
Impfstoffhersteller (EVM) hatten das der Kommission selbst angeboten.
Politisches Engagement für die saisonale Grippeimpfung wurde als eine
Gegenleistung im "konstruktiven Dialog" betrachtet. In einem
englischsprachigen "Background Briefing" auf der EVM-Website heißt es, der
Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten "allein für die Herstellung von
Pandemie-Impfstoffen, die möglicherweise nur alle 30 Jahre gebraucht
werden", sei nicht realistisch.
Für die Herstellung des Schweinegrippeimpfstoffs können schon neue Anlagen
genutzt werden. Das Unternehmen Novartis etwa hat nach eigenen Angaben in
den vergangen drei Jahren weltweit mehr als 2 Milliarden US-Dollar für
Forschung, Entwicklung und den Ausbau von Produktionskapazitäten für
Impfstoffe ausgegeben. GalaxoSmithKline investierte 190 Millionen Euro
allein in sein Impfstoffwerk in Dresden. Im Ernstfall müsste die
Herstellung eines Pandemieimpfstoffs an die Stelle der saisonalen
Produktion treten.
8 Dec 2009
## AUTOREN
Katja Schmidt
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