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# taz.de -- Wie der Staat zum Impfstoff kommt: "Markt funktioniert hier nicht"
> Johannes Löwer, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel, über
> Lehren, die aus der Schweinegrippeimpfung zu ziehen sind, und das, was
> man dringend ändern muss.
Bild: Woher nehmen und nicht stehlen?
taz: Herr Löwer, was kann der Staat aus der Schweinegrippe lernen?
Johannes Löwer: Ich glaube, wir haben ein grundsätzliches Problem. Wir
haben hier in der Bundesrepublik die Impfung nach den Regeln der
Marktwirtschaft organisiert: Wir lassen zwar einen Impfstoff zu und geben
eine Empfehlung, aber der Rest ist dem freien Markt überlassen. Die Firma
bringt den Impfstoff auf den Markt, muss dafür werben, und dann wird der
Impfstoff benutzt. In anderen Ländern ist das Impfgeschäft anders
organisiert.
Da wird der Impfstoff staatlich besorgt. Das marktwirtschaftliche Modell
hat in der Pandemie nicht funktioniert, und es funktioniert im Pandemiefall
grundsätzlich nicht. Für die Firmen besteht im Pandemiefall keine
Notwendigkeit, selbst Produkte auf den Markt zu bringen, weil es weltweit
genug Staaten gibt, die die Impfstoffe kaufen wollen. Wir haben dann keinen
Anbietermarkt, auf dem man sagen kann: Ich kaufe dieses oder ich kaufe
jenes.
Hatte man als Großabnehmer nicht trotzdem eine starke Verhandlungsposition
gegenüber den Pharmaunternehmen?
Das Problem sind die Kapazitäten. De facto sind alle Möglichkeiten, die die
Firmen haben, so einen Impfstoff zu produzieren, seit 2006, 2007 verkauft.
Damals, nach der Vogelgrippe, haben die Staaten Verträge über
Pandemieimpfstoffe gemacht. Deutschland hat Verträge über 160 Millionen
Impfungen - weil wir 80 Millionen Bürger haben: Man dachte, jeder müsse
zweimal geimpft werden. Tatsächlich gekauft wurden jetzt 50 Millionen. Es
ist ja nicht so, dass das Produkt auf der Straße liegt.
Das war seit Jahren bekannt.
Ja. Die historische Entwicklung war ja auch, dass man sich bei der
Weltgesundheitsorganisation in Zusammenhang mit der Vogelgrippe die Frage
gestellt hat: Wie kann man im Fall einer Pandemie reagieren, in einer
Situation, in der schnell viel Impfstoff da sein muss? Und auf WHO-Ebene
ist dann gesagt worden, das geht nur, wenn wir auch die saisonale
Grippeimpfung fördern. Weil das bedeutet, dass es sich für die Firmen
überhaupt wirtschaftlich lohnt.
Niemand baut eine große Fabrik auf und dreht dann dreißig Jahre Däumchen
und wartet, bis die Pandemie kommt. Sie müssen das im Betrieb halten. Der
Vorschlag der WHO - der in der Bundesrepublik auch nicht viel gewirkt hat,
muss man sagen -, war, in den vorgegebenen Risikogruppen eine höhere Rate
von Impfungen gegen saisonale Grippe zu erreichen und die Firmen
aufzufordern, sich auf eine Pandemie vorzubereiten.
Das heißt, man fordert Menschen auf, sich gegen Grippe impfen zu lassen,
damit es bei einer Pandemie genügend Impfstofffabriken gibt?
Ja, um einen Beitrag zu liefern, dass die Kapazitäten vorhanden sind.
Deutschland hat die saisonale Grippeimpfung auch gefördert, um den
Pandemiefall vorzubereiten.
Sie sagen, das marktwirtschaftliche Modell funktioniert bei einer Pandemie
nicht. Können Sie sich ein Modell vorstellen, das funktionieren würde?
Die Alternative ist die staatliche Beschaffung von Impfstoffen, wie das zum
Beispiel Großbritannien macht. Dort gibt es eine Einheit im Ministerium,
die fast alle Impfstoffe einkauft. Da kann man natürlich auch durch
Ausschreibungen die Konkurrenz der Firmen ausnutzen und einen ganz anderen
Preis aushandeln als bei uns.
Weil die Firma frühzeitig weiß, sie kann so und so viele Millionen
absetzen. Eine staatliche Beschaffung macht auch die Verfügbarkeit bei
Ausbrüchen einfacher. Als vor einiger Zeit Masern in Nordrhein-Westfalen
ausbrachen, war nicht genug Impfstoff da, weil die Firmen nicht lieferfähig
waren und nichts gelagert war.
Was müsste also getan werden?
Für Fälle wie Pandemien wäre es schon gut, wenn die Entscheidung zum Bund
gehen würde. Das würde auch die Kommunikation besser machen.
8 Dec 2009
## AUTOREN
Matthias Lohre
Luise Strothmann
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