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# taz.de -- Berlusconi und das Callgirl: Die Enthüllungen der Patrizia DAddario
> Callgirl DAddario hat ein Buch über ihre Beziehung zum italienischen
> Premier veröffentlicht. Die Aufzeichnungen sagen viel über Italien und
> die Gesellschaft des Silvio Berlusconi aus.
Bild: Callgirl Patrizia DAddario liefert mit ihrem Buch Innenansichten der poli…
ROM taz | "Ein politisches Buch." Ebenso anmaßend wie absurd klingt die
Verlagswerbung für das Enthüllungswerk Patrizia DAddarios, jenes Callgirls,
das heiße Nächte bei Silvio Berlusconi zu Hause verbrachte und Italiens
Premier dann letzten Sommer mit ihren Indiskretionen schwer in Verlegenheit
brachte.
Und doch, die Werbung scheint nicht ganz falsch. "Gradisca, presidente"
("Bitte schön, Herr Präsident"), so der Titel des Werks von DAddario, mag
gerade ausländischen Lesern helfen, das Rätsel Berlusconi zu entschlüsseln.
Denn wie kann es sein, fragt halb Europa, dass Italiens Regierungschef seit
Monaten in Sexskandale verstrickt ist, von Mafiakronzeugen als Gewährsmann
der Cosa Nostra genannt wird und sich schamlos weiterhin die Gesetze
passend macht? Wie kann es sein, dass ein solcher Mann der sicheren
Wiederwahl entgegenginge, würde heute in Italien abgestimmt, auch wenn ihm
gerade ein 42-Jähriger das Nasenbein zertrümmerte?
Patrizia DAddario liefert Innenansichten weniger vom politischen Betrieb
als vielmehr von der politischen Kultur Italiens - und sie liefert sie mit
dem sicheren Blick einer Frau, die ihrem prominentesten Kunden so unähnlich
nicht ist. "Escort" ist sie. Vor allem aber verfolgt sie seit Jahren ein
von ihrem Vater geerbtes Bauprojekt. Die Realisierung eines Hotels, die an
immer neuen Widrigkeiten, vor allem an fehlenden Genehmigungen der Stadt
Bari scheitert.
##
Die Einladung zu Berlusconi nach Hause kommt da wie gerufen. Auch Silvio
hatte seine Karriere im Bausektor begonnen - und jetzt ist er der
mächtigste Mann Italiens. Sie sei halt eine "klassische Italienerin", sagt
DAddario von sich: "Ich denke, dass du am Ende Freunde haben musst, um
etwas zu erreichen, ich habe unbegrenztes Vertrauen in die Mächtigen".
So hat es schließlich Berlusconi selbst gemacht, als junger Bauunternehmer,
in hervorragendem Kontakt mit Sozialisten und Christdemokraten in Mailand.
Später als Medien-Tycoon, der sein Reich dank der Protektion Bettino Craxis
aufbauen konnte. Jetzt ist DAddario auf der Suche nach Protektion. Und ihr
moralisches Empfinden stößt sich nicht daran, dass in Italiens Politik
solche Klientelgeschäfte zum Alltag gehören - sondern, dass Berlusconi ihr
im Bett Unterstützung verspricht, dann aber keinen Finger rührt.
Völlig normal findet DAddario - und mit ihr Millionen Italiener -,
politische Macht für eigene, private Zwecke zu nutzen. Ihr wird, nach dem
Rendezvous mit Berlusconi, die Kandidatur zum Stadtrat von Bari angetragen,
zu ihrer großen Freude: "Dann könnte ich, im Innern des Systems angelangt,
das Schicksal meines Bauprojekts beeinflussen". Ganz so, wie Berlusconi
"das Schicksal" seiner Unternehmen beeinflusste, als er den Schritt in die
Politik tat mit der offenherzigen Begründung, andernfalls gingen seine
Firmen pleite oder er lande selbst womöglich im Knast. "Ja, ich denke bloß
an meine Angelegenheiten, ja und?", resümiert DAddario als
Schriftstellerin.
Wie der Regierungschef hat sie gesunde moralische Prinzipien. Das Foto auf
dem Buchcover zeigt sie mit einem Kreuz am Halskettchen. DAddario: "Ich bin
katholisch, ich gehe nicht jeden Sonntag zur Messe, aber an den hohen
Feiertagen schon." So katholisch wie Berlusconi, von dem DAddario Rührendes
zu berichten weiß. Der ältere Herr sitzt mit 20 jungen Mädels, durchweg
Escorts oder Showgirls, in seinem Wohnzimmer. Ehe es zur Sache geht, zeigt
er den Mädchen sein Fotoalbum mit Frau und Kindern, einen Film vom Family
Day - einer Großdemonstration gegen gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften, zu der Klerus und Italiens Rechte gemeinsam
getrommelt hatten. Während der Film läuft, hat Silvio seine Hand zwischen
Patrizias Schenkeln. Auf dem Sofa knutscht ein zu Berlusconis Stammgästen
gehörendes lesbisches Paar.
Solche Enthüllungen regen Katholizismus-gestählte Italiener nicht auf. Dass
"Unvereinbares" hier zusammenpasst, war schon immer geläufig. Vor allem
aber kämen sie nie auf die Idee, die Begriffe Politik, Moral und Ethik
zusammenzudenken. Die Ersten, die darauf verzichten, sind Politiker der
Opposition. Auch dafür liefert DAddario einen schönen Beleg. Kaum hatte sie
im Juni die Sexpartys Berlusconis publik gemacht, meldete sich Baris
Bürgermeister, Michele Emiliano, ein Politiker aus dem Mitte-links-Lager,
empört zu Wort. Empört nicht etwa über Berlusconi, sondern über DAddario,
die den "Ministerpräsidenten hinters Licht geführt" habe. Bald kam heraus,
dass auch Mitte-links-Politiker aus Apulien mit DAddario verkehrten.
Ein altes Muster, das seit den Zeiten der Christdemokratie unter Andreotti
überlebt hat: Bei fast allen großen Skandalen waren Politiker der Linken
auf der Rückbank dabei, während die Christdemokraten und die
Craxi-Sozialisten am Steuer saßen. Schon deshalb fiel der Kampf der Linken
zum Beispiel gegen einen Andreotti so lau aus. Ein gemeinsames Maß dessen,
was Anstand in der Politik bedeutet, existiert weder unter den Politikern
noch in der Wählerschaft Italiens.
Nach 1945 standen sich auf der einen Seite die Christdemokraten, die
zunächst der Kirche und dann Italien gegenüber loyal waren, und die
Kommunisten, deren Loyalität zunächst Moskau galt, unversöhnlich gegenüber.
Richtig in der Politik war, was der eigenen politischen (und dazu oft genug
auch der Klientel-)Familie nützte; Recht, Gesetz, Ethik, Moral wurden als
nachrangige Kriterien gehandelt.
Mit einer gewissen Asymmetrie allerdings - einer Asymmetrie, die erklären
mag, warum Berlusconi seine Skandale so schier gar nicht zu schaden
scheinen.
Schon in den Fünfzigerjahren wunderten sich US-Politologen wie Joseph
LaPalombara. Sie kamen auf der Suche nach der Civic Culture nach Italien,
in der Gewissheit, dass die Wähler der Christdemokraten natürlich bessere
Demokraten, aufrichtigere Bürger mit höherem Gemeinsinn als die Kommunisten
seien. Doch ihre Erhebungen lieferten das entgegengesetzte Bild. Wenn
staatsbürgerliche Werte irgendwo auf der politischen Landkarte Italiens
anzutreffen waren, dann vor allem bei den "Roten". Die christdemokratischen
Wähler ließen sich dagegen weit stärker von Klientelerwägungen leiten,
folgten einem "amoralischen Familismus", der bloß nach dem eigenen Ertrag
fragte und Politiker nicht mit moralischen Ansprüchen an deren Handeln
behelligte.
DAddarios achselzuckendes "Ja und?" resümiert diese bis heute anzutreffende
Haltung. Ihr "Ja und?" ist exakt die Auskunft, die Millionen
Berlusconi-Wähler geben, wenn sie zu seinem bewegten Sexleben oder auch zu
seiner Vermengung von privaten Interessen und politischen Taten befragt
werden. Jene tiefe politische Spaltung aber, die diese Haltung über
Jahrzehnte gedeihen ließ, ist seit dem Ende des Kalten Krieges eigentlich
verschwunden. Berlusconis Geniestreich besteht darin, sie künstlich am
Leben zu erhalten. So inszeniert er seinen Verteidigungskrieg gegen die
"Roten", die ihn mit Prozessen und die Italiener mit höheren Steuern
terrorisieren wollten.
Der Faschismus sei die "Autobiografie der Nation", bemerkte vor knapp 90
Jahren der Intellektuelle Piero Gobetti; heute spiegelt das Land sich in
Berlusconi und dem fröhlich-gleichgültigen Umgang mit seinen Skandalen.
DAddario dagegen ist eine Unperson, und sie selbst weiß, warum: "Das ist
so, als rege man sich über einen Spiegel auf, der Scheiße reflektiert. Ist
das etwa die Schuld des Spiegels?"
19 Dec 2009
## AUTOREN
Michael Braun
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