# taz.de -- 5 Jahre nach dem Tsunami: Das Drama von Khao Lak | |
> Vor fünf Jahren starben durch den Tsunami rund 230.000 Menschen. Auch im | |
> thailändischen Khao Lak versuchen die Überlebenden noch immer, mit dem | |
> Geschehenen leben zu Lernen. | |
Bild: Mittlerweile wieder eine Idylle: Jogger am Strand von Khao Lak. | |
Die Frau weiß noch genau, was geschah, als sie beinahe starb. Sie bereitete | |
in der Hotelküche gerade den Salat fürs Mittagessen vor, als ihr Kollegen | |
aufgeregt zuriefen: "Ratiana, das Wasser ist weg." Das konnte nicht sein, | |
das wusste sie. Immerhin war die 32-Jährige am Meer aufgewachsen. Die See | |
ist ruhig hier, erst recht jetzt in der Hochsaison. Deswegen waren die | |
vielen Russen, Briten und Deutschen doch gekommen, hierher in die prächtige | |
neue Ferienanlage Sofitel Magic Lagoon. Neugierig war Wilawan Ratiana | |
trotzdem. Sie trat heraus aus der Salatküche, die nur rund 30 Meter vom | |
Meer entfernt lag. Aber da, wo eben noch der Strand gewesen war, war nun | |
diese brüllende, rasende Wand. | |
Im nächsten Moment hatte diese Walze aus Wasser, Sand, Liegestühlen und | |
Sonnenschirmen Ratiana schon erreicht, war um sie herum und sie in ihr. Die | |
Woge klemmte sie zwischen einem Gefrierschrank und der Küchenwand ein. Noch | |
immer stieg das Wasser, es reichte der zierlichen Frau bereits zum Kinn, da | |
floss es wieder ab. Als Ratiana sich gerettet glaubte, kam die zweite | |
Welle, noch stärker als die erste. Ratiana bekam ein Ofenrohr zu fassen, | |
kletterte daran hoch, schaffte es schließlich aufs Küchendach. Sie ahnte, | |
sie war gerettet, dabei wusste sie nicht einmal genau, wovor. Unter ihr | |
trieben Strampelnde, Schreiende, Tote. Hunderte. | |
Geschichten wie diese sind es, die viele Menschen, vor allem in | |
Deutschland, bis heute mit Khao Lak verbinden. Nirgendwo in Thailand | |
starben an jenem zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 mehr Menschen durch den | |
Tsunami, und nirgends in den zwölf betroffenen Ländern waren unter den | |
Todesopfern mehr Deutsche. Nach offiziellen Zahlen starben in ganz Thailand | |
5.400 Menschen. Allein entlang der kilometerlangen Sandküste Khao Laks | |
waren es mehr als 4.200 Menschen, darunter mehr als 500 Deutsche. Der | |
Spiegel schrieb damals: "Khao Lak ist so etwas wie der Ground Zero der | |
Bundesrepublik inmitten dieses Katastrophengebietes der ganzen Welt." | |
Fünf Jahre ist all das nun her. Wie lebt eine Gegend mit dem Erlittenen? | |
Wie viel Erinnerung ist den Menschen dort möglich, ohne das Geschäft mit | |
den Ruhe suchenden Touristen zu trüben? Darauf gibt es wohl ebenso viele | |
Antworten wie Menschen. | |
Eine davon hat die Küchenangestellte Wilawan Ratiana. Heute arbeitet die | |
scheue Frau mit den kleinen braunen Augen und der weißen Chefmütze wieder | |
genau dort, wo sie damals beinahe ertrunken wäre, eingeklemmt zwischen | |
Tiefkühlschrank und Küchenwand. Leicht gefallen ist ihr das nicht. "Vor | |
allem das erste Jahr lang dachte ich sehr oft an den Tsunami", erzählt | |
Ratiana. "Deshalb wollte ich nicht zurück." Rund sechzig ihrer Kolleginnen | |
und Kollegen wurden laut dem Hoteleigentümer damals zerschmettert, unter | |
Wasser gedrückt oder von Treibgut erschlagen. Auch fast einhundert | |
Hotelgäste starben hier. Nach Medienberichten waren es sogar mehr als | |
zweihundert tote Touristen. Das Magic Lagoon wurde zum Synonym für | |
massenhaften Tod. Warum ist die Köchin heute wieder hier? "Ich habe mir das | |
neu aufgebaute Hotel genau angeschaut", sagt Ratiana. "Heute sieht alles | |
ganz anders aus." | |
Ihren Chef werden diese Worte wohl besonders freuen. Er steht für eine | |
andere Art, mit der Vergangenheit umzugehen. Zeynel Atmacan, 47, gehörte | |
das Magic Lagoon mit seiner riesigen, verwinkelten Poolanlage und den mehr | |
als 300 Zimmern. "Nur drei Tage vor dem Tsunami feierten wir die offizielle | |
Eröffnung", sagt Atmacan auf Deutsch. Der gebürtige Türke kam vor 30 Jahren | |
zum Studieren nach Hamburg, und da sei er nun mal hängen geblieben. "Ich | |
habe zwei Töchter", sagt Atmacan am Rande des gewaltigen Pools, "und dieses | |
Hotel ist für mich wie ein drittes Kind." Der Unternehmer hat stets einen | |
druckreifen Satz auf den Lippen. Auch, wenn er mit kleinen Schritten, | |
leicht vorgebeugt, durch die vielen Gänge eilt und jeden seiner insgesamt | |
300 Angestellten grüßt, den er trifft. | |
Atmacan ist ein blendender Verkäufer. Zu Hause in Hamburg besitzt er noch | |
ein Reiseunternehmen. Hier, in Khao Lak, ist er vor allem ein nimmermüder | |
Werber für eine ganze Urlaubsregion, die erst in den 90er-Jahren von | |
Individualtouristen erschlossen wurde. Doch selbst ihm, dem nimmermüden | |
Macher, kamen nach dem Tsunami Zweifel. | |
"Zwei Jahre lang habe ich gebraucht, bis ich mir meiner Sache wieder sicher | |
war", sagt Atmacan. Im Hintergrund schimmert das Wasser des riesigen Pools | |
im dunklen Blau. Was vor fünf Jahren kurz nach der Fertigstellung zerstört | |
wurde, hat Atmacan nach langem Zögern wieder aufgebaut. Der lagunenartige | |
Pool ist geblieben. Der unrühmlich gewordene Name Magic Lagoon wich dem | |
Titel JW Marriott Resort and Spa. Ein Fünf-Sterne-Hotel für Paare und | |
Familien steht jetzt hier. Nichts hier soll mehr an die Katastrophe | |
erinnern. | |
Auch sonst wecken wenige Dinge schlechte Erinnerungen. Einzig das berühmt | |
gewordene Polizeiboot 813 zeugt gut sichtbar vom Ungeheuren. Das rund 40 | |
Meter lange Aluminiumboot sollte damals einen Enkel des allseits verehrten | |
Königs Bhumibol beim Wasserski-Ausflug beschützen. Dann kam der Tsunami und | |
richtete hier größere Verwüstungen an als sonst irgendwo in Thailand. Der | |
flache, kilometerlange Sandstrand, das beste Verkaufsargument von Khao Lak, | |
verstärkte noch die Wucht des Wassers. Der urlaubende Prinz starb, das | |
Polizeiboot liegt bis heute auf dem Trockenen, von der Woge eineinhalb | |
Kilometer weit aufs Festland geschwemmt. | |
Genau 10,62 Meter soll die Welle hier gewesen sein, rechneten japanische | |
Wissenschaftler kurz nach dem Desaster aus. Nur die Großstadt Banda Aceh in | |
Indonesien traf eine Welle, die noch höher war und noch zerstörerischer. | |
Eine Art Tsunami-Park, so der anfängliche Plan, sollte um Nummer 813 herum | |
entstehen. Daraus ist nichts geworden. Wer hierher kommt, will keine | |
Katastrophenschau, sondern seine Ruhe im Pauschalurlaub. | |
Die Pauschalurlauber. Von ihnen könnte Chutikol Promta viel erzählen, wäre | |
er nicht zu höflich dazu. Die Außenbordmotoren dröhnen, als Mai, wie ihn | |
alle nennen, über das redet, was sich aus seiner Sicht seit dem Tsunami | |
geändert hat. Wir sind auf einem Schnellboot zu den Similan-Inseln | |
unterwegs, einem Paradies für Taucher mit weißem Sandstrand. Russen sind an | |
Bord, Briten und Deutsche. "Früher waren vor allem Backpacker hier", sagt | |
Mai, ein braunhaariger Surfertyp mit breitem Lächeln. "Hierher kamen Leute, | |
die die dichtgedrängte Touristeninsel Phuket meldeten. Individualisten, | |
freundliche Menschen." | |
Und die Pauschalurlauber, die seit einigen Jahren Khao Laks mehr als 60 | |
Hotels bevölkern? "Die sind manchmal nicht ganz so nett." Mai kann das | |
beurteilen, er lebt seit seiner Geburt vor 24 Jahren hier. Sein Vater war | |
aus Frankfurt hier hergezogen. Europa hat sie trotzdem eingeholt. | |
"Die großen Hotelketten kommen wieder", sagt Atmacan, der Tourismusmanager | |
mit Liebe zu Khao Lak. Der Hilton-Konzern habe sich gerade erst Baurechte | |
gesichert. Das vor fünf Jahren arg beschädigte Luxushotel Le Meridien sei | |
ebenfalls im Kommen. Und das La Flora, nicht weit von Atmacans | |
Nobelherberge, wo ebenfalls viele Menschen starben, hat sich sogar | |
vergrößert. Es liegt jetzt noch näher am Strand. | |
Warum auch nicht? Schließlich rechneten schon kurz nach der Katastrophe | |
Geologen vor, dass sich beim Seebeben Spannungen der Erdkruste lösten, die | |
sich 200 Jahre lang aufgestaut hatten. Zwei Jahrhunderte Zeit. Deswegen | |
liegt auch das JW Marriott, das einst Magic Lagoon hieß, immer noch nur | |
rund 30 Meter vom Meer entfernt. Eine perfekte Lage: Wenn Gäste sich im | |
hölzernen Spa massieren lassen, hören sie die leichte Brandung und sonst | |
nichts. | |
Und was hört Ratiana, die Küchenmitarbeiterin vom neuen, alten Nobelhotel, | |
das fast ihr Grab wurde? "Ich fühle mich wohl", sagt die kleine Frau. Was | |
soll sie auch sagen? Ihr Arbeitgeber ist für seine gute Bezahlung bekannt. | |
Besser als die Arbeit in ihrer Heimat Phuket, dem Mallorca Asiens, ist ihr | |
Job im ruhigen Khao Lak allemal. Und niemand hier will zurück zur Zeit vor | |
dem Tourismus, als diese Gegend arm war und die Leute in Zinn-Minen | |
schufteten oder nach Shrimps fischten. | |
Deshalb sagt Ratiana am Ende: "Ja, ich werde wohl auch noch in fünf Jahren | |
hier in Khao Lak arbeiten." | |
Dann geht sie wieder in die Hotelküche. Zurück zu ihrer Arbeit zwischen | |
Gefrierschrank und Wand. Hinter ihrem Rücken rauscht die Brandung. | |
26 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
## TAGS | |
Tsunami | |
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