# taz.de -- Branche im Wandel: Zukunftsmusik | |
> Nicht mehr die Plattenfirmen bestimmen, welcher Musiker Erfolg hat. Dank | |
> des Internets gibt das Publikum heute den Ton an. | |
Bild: Der Rechner hat bei den Tönen mitzuentscheiden. | |
Vor vier Jahren habe ich als Solokünstler einen Plattenvertrag bei Sony/BMG | |
unterzeichnet. Zu einer Zeit, in der Internetportale wie Youtube und | |
Myspace gerade aufkamen. Das Label wurde durch meine Auftritte auf mich | |
aufmerksam. Die A&R-Abteilung, innerhalb der Plattenfirma für die | |
Einschätzung von neuen Künstlern zuständig, stufte mich als | |
erfolgversprechend ein und nahm mich unter Vertrag. | |
Das war das Ende einer Periode, in der A&Rs aufgrund ihrer Kompetenzen | |
entschieden, welche Künstler einen Vertrag bekommen sollten. Mittlerweile | |
übernimmt oft der Musikfan diesen Job. Wir, das Publikum, sind von Anfang | |
an und stärker als je zuvor in die Entwicklung von Karrieren involviert. | |
Das Internet macht es möglich. | |
Artistdeveloping, das längerfristige Aufbauen eines Künstlers, ist gänzlich | |
ausgestorben. Das Prinzip Nachhaltigkeit zum Fremdwort mutiert. Kunst nur | |
noch ein Produkt, das kurzfristig mit möglichst geringen Ausgaben hohe | |
Einnahmen bringen soll. Und wir selbst entscheiden, welches Produkt wir | |
vorgesetzt bekommen. Denn: Für große Plattenfirmen sind heute fast | |
ausschließlich Künstler interessant, die im Internet schon gut | |
funktionieren. Mit jedem Klick auf die Myspace-Seite, mit jedem View eines | |
Musikvideos auf Youtube steigern wir den Marktwert neuer Musiker. | |
Ein Beispiel ist der 22-jährige deutsche Songwriter Jasper März, dessen | |
selbstgedrehtes Video "HDL-Song" wir letztes Jahr fast 3 Millionen Mal | |
anklickten. Sony Music schlug zu und stellt stolz auf Jaspers Internetseite | |
fest: "Seine plötzliche wie unerwartete Online-Popularität blieb auch den | |
Mitarbeitern des Labels Ariola (Sony) nicht verborgen." | |
Heute suchen wir uns die Stars von morgen selber aus. Wir zeigen der | |
Branche, was in ist, nicht mehr andersherum. | |
Die Branche versucht uns unterdessen in ihr Tagesgeschäft zu integrieren. | |
So wurde die Musikmesse Popkomm in diesem Jahr kurzerhand ausgesetzt. Als | |
Begründung zogen die Veranstalter die illegalen Downloads im Netz heran. | |
Dem wurde in Fachkreisen nachdrücklich widersprochen. Schuld an der Absage | |
sei das Konzept der geschlossenen Veranstaltung. Tim Renner, ehemals | |
Deutschlandchef vom weltweiten Marktführer Universal Music, erklärte das | |
Konzept für überholt und schimpfte die Messe eine "Selbstdarstellungsfeier | |
einer Branche, die in der Tat wenig zu feiern hat, weil sie ihr | |
Geschäftsmodell nicht mehr im Griff hat". Mit Verweis auf das Versäumnis, | |
das Internet effektiv zu nutzen. | |
Renner ist einer der Initiatoren der aufgrund der Popkomm-Absage | |
kurzfristig ins Leben gerufenen alternativen Musikmesse "all2gethernow" | |
(a2n), die im September in Berlin stattfand. Es sollten kreative Lösungen | |
für Künstler, Produzenten und Nutzer gefunden werden. Anders als die | |
Popkomm war die a2n für jedermann geöffnet. Ein Netzwerken zwischen Branche | |
und Kunde sollte stattfinden. Ganz aufgegangen ist das Konzept aber nicht: | |
"Wir können uns nicht damit rühmen, große Technologiesprünge präsentiert zu | |
haben", sagt Renner. Immerhin sei aber die Eiszeit zwischen Künstlern, | |
Nutzern und der Oldeconomy beendet worden. Alle Beteiligten hätten in einer | |
entspannten Atmosphäre über mögliche Lösungen gesprochen. Konkrete Ansätze | |
zur Erschließung neuer Vermarktungswege, die den Konsumenten aktiv mit | |
einbeziehen, habe es aber noch nicht gegeben. | |
Durch die Möglichkeit im Netz, Musik selbst zu produzieren und zu | |
vertreiben, gibt es heute keine klare Trennung mehr zwischen Produzent und | |
Konsument. "Jetzt muss man zusehen, dass man den Konsumenten ernst nimmt, | |
genauso wie den Produzenten", stellt Renner fest. Diese Entwicklung sieht | |
er nicht nur positiv. "Wenn man als Industrie nur nach der Masse geht, wird | |
vieles ganz schnell zu so etwas wie DSDS." Es entstehe ein "kleinster | |
gemeinsamer Nenner", der Gefahr läuft, langweilig und beliebig zu sein. | |
Zu stoppen ist die Degradierung der Musikindustrie zum Dienstleister wohl | |
nicht mehr. "Jetzt liegt es an der Industrie, darauf zu reagieren und neue | |
Geschäftsmodelle zu entwickeln", sagt Renner. | |
Industrie und Laien werden eine gemeinsame Sprache finden müssen. Einige | |
Künstler machen es bereits vor. Britney Spears ließ etwa via Homepage ihre | |
Fans entscheiden, welche Titel es auf ihr Album "Blackout" schaffen. | |
US-Rapperin Missy Elliott bat 2008 ihre Fans im Netz um Titelvorschläge für | |
ihr neues Album. Der Gewinner sollte einen Fünfhundert-Euro-Gutschein | |
bekommen. Nicht gerade üppig. Über die Bezahlung des aktiv arbeitenden | |
Publikums wird also noch zu reden sein. | |
31 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Luis Cruz | |
## TAGS | |
Pop-Kultur | |
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