# taz.de -- Sorgerecht für ledige Väter: Begrenzung der Kampfzone | |
> Auch ledige Väter sollen jetzt bei einer Trennung das Sorgerecht | |
> beantragen können. Sind neue Rosenkriege absehbar? Das Cochemer Modell | |
> probt eine Alternative. | |
Bild: Auch ledige Väter sollen jetzt bei einer Trennung das Sorgerecht beantra… | |
Getrennt lebende Väter haben gejubelt, als der Europäische Gerichtshof für | |
Menschenrechte im Dezember verkündete, dass ihnen in Deutschland der Weg zu | |
einem gemeinsamen Sorgerecht eröffnet werden muss. Bisher hat eine ledige | |
Mutter automatisch das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder. Ein | |
leises Stöhnen dagegen war von FamilienrechtsexpertInnen zu hören: Die | |
gemeinsame Sorge kann so manchem Rosenkrieg etliche weitere Schlachtfelder | |
eröffnen. So jedenfalls lautet die Erfahrung mit dem gemeinsamen | |
Sorgerecht, das schon seit Jahren für geschiedene Elternpaare gilt. | |
Tragen die Eltern einen Machtkampf über ihre Kinder aus, dann sind Streit | |
um Umgangs- und Besuchsregelungen an der Tagesordnung. Die gemeinsame Sorge | |
bedeutet, dass man sich zusätzlich über die Schulwahl, den Ferienaufenthalt | |
und die Arztbehandlungen einigen muss. "Kinder leiden am meisten darunter, | |
wenn Eltern streiten", sagt Katharina Behrend. Die psychologische | |
Sachverständige für Familiengerichte aus Lemgo kennt aber eine Alternative | |
zum Psychoterror: das Cochemer Modell. | |
In Cochem-Zell einigen sich seit Mitte der neunziger Jahre trennungswillige | |
Eltern friedlich darauf, wie sie künftig miteinander reden und was nach der | |
Trennung mit ihren Kindern geschieht. Jahrelange Streits um Sorge-, | |
Aufenthaltbestimmungs- und Umgangsrecht finden in dem rheinland-pfälzischen | |
Landkreis nicht mehr statt. | |
Das klingt wie ein Psychowunder. Jürgen Rudolph, der geistige Vater dieses | |
Mediationsverfahrens, nennt das Modell gern einen "Paradigmenwechsel": | |
"Schlichten statt streiten." | |
Der Jurist war über 30 Jahre Familienrichter und hat, sagt er, irgendwann | |
regelrecht gelitten unter den "Schlachtfeldern, die Gerichte und Gesetze | |
bei Scheidungen hinterlassen". Denn Richter müssen ein Urteil sprechen und | |
meist sieht das so aus: Eine Seite gewinnt, die andere verliert. Vor allem | |
bei Scheidungen. | |
"Dadurch wird die Kommunikation zwischen den Eltern noch schlimmer und | |
nichts ist geregelt", sagt Jürgen Rudolph. | |
Das Cochemer Modell orientiert sich an einer einvernehmliche Lösung: Die | |
Eltern sollen sich einigen. Dabei geht es nicht mehr um die Befindlichkeit | |
von Mutter und Vater, sondern ums Kindeswohl. "Obwohl es auch den Eltern | |
automatisch besser geht, wenn der Druck raus ist", sagt Katharina Behrend. | |
Weil es den meisten Eltern aber von selbst nicht gelingt, sich in einer | |
emotional hoch aufgeladenen Situation sachlich auseinanderzusetzen, gibt es | |
in Cochem eine Vielzahl an Mediatoren und Familientherapeuten. Und es | |
sitzen AnwältInnen, JugendamtsmitarbeiterInnen und andere Sachverständige | |
mit im Boot. | |
Das Cochemer Modell hat in der Fachwelt die Runde gemacht: Familiengerichte | |
in Dresden, München, Hannover und Bonn haben das Schlichtungsprinzip | |
adaptiert und weiterentwickelt. In Berlin wendet seit 2006 rund ein Drittel | |
der Familienrichter das "Beschleunigte Familienverfahren" an, wie es hier | |
heißt. Und im Bundesgesetz über das Verfahren in Familiensachen, kurz | |
FamFG, das zum 1. September 2009 geändert worden ist, wurden Bestandteile | |
der Cochemer Praxis aufgenommen. | |
Aber was passiert, wenn Eltern trotz allem weiter bis aufs Messer streiten? | |
In Cochem, sagt Jürgen Rudolph, gibt es immer eine Einigung: "Wir haben uns | |
darauf verständigt, dass zum Beispiel von den Anwälten keine Anträge auf | |
das alleinige Sorgerecht mehr gestellt werden." | |
Das klingt nach Druck. Frauen- und Familienverbände kritisieren das. "Uns | |
scheint, dass so manche Entscheidung in Cochem unter fragwürdigen Umständen | |
zustande kommt", sagt Peggi Liebisch, Bundesgeschäftsführerin des Verbandes | |
Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Es könne vorkommen, dass | |
schlicht so lange verhandelt werde, "bis eine Seite entnervt aufgibt", so | |
Liebisch. Prinzipiell begrüßt der VAMV das Cochemer Modell. Aber seit | |
Jahren habe sich die Ideologie durchgesetzt, so Liebisch, "das die | |
gemeinsame Sorge in jedem Fall besser ist". | |
Richterin Cornelia Müller-Magdeburg, die in Berlin die Beschleunigten | |
Familienverfahren stark vorantreibt, schränkt denn auch ein: Gerade in den | |
besonderen sozialen Verhältnissen in Großstädten gebe es eben Fälle, die | |
seien nicht zu klären. Man könne sich nicht in jedem Fall einigen. Doch | |
immerhin enden bei den RichterInnen, die nach dem Schlichtungsansatz | |
arbeiten, 80 bis 90 Prozent der Verhandlungen mit einer Einigung statt | |
eines Urteils. | |
3 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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