# taz.de -- Migration nach Deutschland: Pariser Künstler träumen in Berlin | |
> Pariser Künstler treibt es nach Berlin. Hier finden sie nicht nur jenen | |
> Hauch von Bohème und Freiheit, der ihnen zu Hause fehlt, sondern den | |
> Erfolg noch dazu. | |
Bild: Inspiration für französische Künstler: Berliner Mauer. | |
"Paris hat den Bedeutungsverlust seiner Gegenwartskunst nie verwunden und | |
auch nie so recht wahrhaben wollen. Paris ist todlangweilig", frotzelt der | |
französische Maler Damien Deroubaix, der heute in Berlin lebt und arbeitet. | |
Der 37-Jährige, der in Lille aufwuchs und die Kunsthochschulen in | |
Saint-Étienne und Karlsruhe besuchte, gilt mittlerweile als einer der | |
aufregendsten französischen Künstler der Gegenwart. | |
Doch erst der Umzug von Paris nach Berlin machte den Künstler zu dem, was | |
er heute ist. Ihm verdankt er nicht nur ein größeres Atelier und ein | |
finanziell sorgenfreieres Leben, sondern auch seine Inspiration: "Du bist | |
in Paris, es ist eng, es ist laut und schnell, du sitzt in der U-Bahn, und | |
überall prallt Werbung auf dich ein. Berlin dagegen ist riesig und durch | |
seine Weite unheimlich inspirierend. Meine Bilder sind dadurch | |
tiefgründiger geworden. Sie sind vielschichtiger, perspektivischer." | |
In seinen heute großformatigen Malereien verbindet der Franzose die | |
unterschiedlichsten Welten. Darstellungen aus der Nazi-Vergangenheit treten | |
neben Bildern aus der Trashkultur; aktuelle Newsflashs von globalen Kriegs- | |
und Politschauplätzen neben Szenen aus Underground- oder Pornomagazinen. | |
Der Kunstkritiker Thibaut de Ruyter betitelte den Maler gar als den | |
deutschesten aller französischen Maler, weil ein Großteil seiner Motive den | |
vertrauten Ikonen deutscher Kultur entstammen. Da ist der Punk, der ein | |
Hakenkreuz auf seiner Unterhose mit Eingriff trägt, da wird Karl Marx auf | |
den Status einer Konsumikone herabgestuft. | |
In Deroubaix Werken vereinigt sich die Architektur Berlins, die deutsche | |
Geschichte und Kultur mit der Konsumwelt, die ihn in Paris so stark prägte. | |
Wie der Maler dem Betrachter die Abgründe der Gesellschaft vergegenwärtigt, | |
provoziert er und macht gleichzeitig nachdenklich. Und genau das macht | |
Deroubaix als Künstler wichtig. Hier ist einer, der sich um die Welt sorgt, | |
so, wie sie ist. | |
Trotz der düsteren, fast immer in schwarzen Farbtönen gehaltenen Bilder | |
erscheint Deroubaix selbst als entspannt freundlicher Mensch. Deroubaix hat | |
Berlin gutgetan. Erst kürzlich wurde er für den Prix Marcel Duchamp | |
nominiert. Der Preis wurde in Paris von der Association pour la Diffusion | |
Internationale de lArt Française verliehen und gilt als die wichtigste | |
Auszeichnung für französische Nachwuchskünstler. Gewonnen hat ihn jedoch | |
ein anderer: Saadane Afif. | |
Auch er lebt wie Deroubaix und der Drittnominierte, Nicolas Moulin, in | |
Berlin. Ist das alles nur Zufall? Oder findet die Pariser Kunstszene | |
mittlerweile in Berlin statt? Die Frage wird noch brisanter, hält man sich | |
die Kunstfelder vor Augen, aus denen die drei stammen: Der Gewinner Afif | |
steht für Skulptur, Deroubaix für Malerei und Moulin für die konzeptionelle | |
Kunst. Die Nominierungen symbolisieren, wie wichtig Berlin für Pariser | |
Künstler aber auch für die Gegenwartskunst selbst geworden ist. Auch wenn | |
es in einer globalisierten Kunstwelt kein Zentrum mehr gibt, die | |
Kunstinteressierten via Easyjet zwischen London, New York, Basel, Paris | |
oder Istanbul unterwegs sind und das traditionelle Kunstzentrum in viele | |
kleine Zentren zerfällt, scheint es doch einen Kern für die Produktion von | |
Kunst zu geben: Berlin. | |
Alles nur Zufall? | |
Kamen Afif, Deroubaix und Moulin erst vor fünf Jahren nach Berlin (die New | |
Yorker entdeckten die Berliner Kunstszene bereits Anfang der 90er-Jahre), | |
überschwemmt derzeit eine zweite Welle die Stadt. Heute sind es vor allem | |
junge französische Künstler, die ihr Studium absolviert haben und in Berlin | |
ihre Chance sehen. "Der Weg auf der künstlerischen Leiter führt nicht mehr | |
über Paris, sondern direkt nach Berlin. Was Hollywood einst für die | |
Schauspieler war, ist Berlin heute für die Künstler", beschreibt Cédric | |
Aurelle, Direktor des Institut français in Berlin die Faszination der | |
Stadt. Er hat deshalb die Ausstellung "Une valise à Berlin / Ein Koffer in | |
Berlin" konzipiert. | |
Die Franzosen finden in Berlin das wieder, was in Paris längst der | |
Vergangenheit angehört: die lebensweltliche Freiheit. Das bestätigt auch | |
der Philosoph Boris Groys: "In Berlin entsteht heute so etwas wie eine | |
internationale Boheme ähnlich jener im Paris der Zwanzigerjahre", | |
verkündete er in der letzten Ausgabe der Lettre International. In diesen | |
Verhältnissen scheinen viele Künstler das zu schaffen, was ihnen in Paris | |
unmöglich schien. | |
So auch Renaud Regnery, Maler und Assistent von Gregor Hildebrandt, der vor | |
zwei Jahren mit seiner Sox-Box in Kreuzberg einen öffentlichen Kunstraum | |
geschaffen hat. In diesem 300 x 225 x 60 Zentimeter großen Schaufenster | |
wird in der belebten Oranienstraße zeitgenössische Kunst ausgestellt. | |
Fanden hier zu Anfang noch primär die Werke befreundeter Franzosen wie die | |
von Nicolas Moulin Platz, etablierte sich die Box zunehmend und zeigt heute | |
Künstler aus aller Welt. Für Regnery hat die Box auch eine politische | |
Dimension: "Dieser Kunstraum bietet Künstlern die Möglichkeit, ein | |
bestimmtes Projekt in einem Rahmen zu experimentieren, der unabhängig vom | |
Kunstmarkt oder etablierten Institutionen funktioniert. Das wäre so in | |
Paris nie möglich gewesen. Paris ist elitär, ein geschlossener Raum. | |
Ausprobieren kann man sich da nicht wirklich." | |
Damit spricht Regnery ein weiteres Problem an, das viele Künstler mit der | |
Pariser Kunstwelt haben: die interne Kommunikation. Während in Paris der | |
Kunstbetrieb wie ein pyramidenähnliches Konstrukt funktioniert, den man | |
Stufe für Stufe erklimmen muss, um einen Weg nach oben zu finden, sind in | |
Berlin die sozialen Hierarchien schwächer. Etablierte Künstler reden mit | |
jungen Künstlern, Galeristen mit Kuratoren, Kuratoren mit Künstlern. Was | |
sich allabendlich auf den vielen Vernissagen und Ausstellungen in den über | |
600 Galerien tummelt, lässt ein offenes Netzwerk entstehen. In Zeiten der | |
Krise ist dieses Netzwerk der Bonus, den Paris nicht hat und durch seine | |
elitäre Geschlossenheit auch nicht haben kann. Es ist das soziale Kapital, | |
die Szene, der Diskurs, die den Künstler in einer ökonomisch schwachen | |
Stadt wie Berlin stark machen. Und so könnte Berlin nach Paris und New York | |
zum neuen Kunstzentrum aufsteigen. | |
Kulturelle Idylle Berlin | |
Berlin ist Utopie. Zumindest, was das Künstlermilieu betrifft. Folgt man | |
noch einmal Groys, der die Boheme als realisierte Utopie des angenehmen | |
Lebens in Berlin verwirklicht sieht, welche aus Armut, Stagnation und | |
staatlicher Subvention entstand, wird das wesentliche Kriterium für eine | |
Boheme deutlich: Freizeit. | |
Freizeit zu haben führt in Berlin unweigerlich dazu, in Cafés zu sitzen, in | |
Bars zu gehen oder das Nachtleben zu genießen. Dabei ist das angenehme | |
Leben nach Groys das gute Leben, das nicht der Produktion und dem Erfolg | |
geopfert werden sollte: "Das eben ist das Utopische, in der Utopie soll | |
nichts produziert werden. Außer das angenehme Leben." Interessantes | |
entstehe da eher nicht, so Groys, dazu bedürfe es Konkurrenz, Leiden und | |
extremer Anstrengungen. | |
Ist die Kunst in Berlin folglich dazu verdammt, in Bedeutungslosigkeit und | |
sinnentleerten Müll zu zerfallen? Entsteht in Paris die bessere Kunst? | |
In Paris muss man sich anstrengen und hart arbeiten, um als junger Künstler | |
Erfolg zu haben, um überhaupt eine eigene Ausstellung auf die Beine zu | |
stellen. So entstehen nicht zuletzt nach Groys Theorie Wertvolles und | |
Bedeutsames. Damit wäre Qualität die Folge der elitären Zustände in Paris. | |
Die Projektstadt Berlin hingegen lädt allabendlich zu einer Teilhabe an | |
einem Projekt ein, ob in einer Bar oder auf einer Vernissage. Räume sind | |
leicht zu finden und bezahlbar. Und: Da, wo Freizeit im Übermaß und Geld | |
ein Mangel ist, gedeihen Ideen. Damit ist Berlin eine äußerst produktive | |
Stadt, was die Kunst angeht. Monatlich entstehen neue Galerien; Projekt- | |
und Ausstellungsräume schießen aus dem Boden. Damit ist eher Quantität die | |
Folge der prekären Zustände in Berlin. | |
Leidet die Qualität an ihrer Quantität? Wohl kaum. Zwar besteht nicht nur | |
die Gefahr, dass der Künstler im Berliner Nachtleben untergeht, welches in | |
seiner Faszination und Schönheit auch schnell zum Verhängnis werden kann, | |
sondern auch in der enormen Vielfalt des vorhandenen Angebots. Dann bliebe | |
der romantische Traum von Berlin ein Traum. Doch ist es gerade die Masse, | |
die den Künstlern als Inspirationsquelle dient und wiederum auch die | |
Konkurrenz schafft, gegen die sich durchzusetzen, das Eigene oft stärkt. | |
5 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Simone Jung | |
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Einblick | |
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