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# taz.de -- US-Indierockband Vampire Weekend: Raus aus der Uni, rein in die Tro…
> Nach dem Hype ist vor dem Hype: Vampire Weekend veröffentlichen ihr
> zweites Album "Contra": ein welthaltiges Pop-Szenario, jenseits aller
> Indie-Klischees.
Bild: Ihre Songs gehören ins Autoradio, aber sie tun auch der fortschrittliche…
In seinem Roman "Gegen den Tag" beschreibt Thomas Pynchon eine mysteriöse
Salsasauce. Ihr in tropischen Farben gehaltenes Etikett zieren ein
ausbrechender Vulkan und ein Papagei, der ausdrücklich auf die Schärfe
hinweist. Natürlich schlagen die Esser diese Warnung in den Wind. Nach der
Überdosis Salsa werden sie erst hysterisch, um sich dann gegenseitig zu
beschuldigen. Ganz so drastisch ist die Wirkung nicht, die die Musik der
Band Vampire Weekend entfaltet. Ein bisschen hebt einen die pure Freude,
die aus der Musik des New Yorker Quartetts spricht, aber doch aus den
ehemals weißen Tennissocken. Daher erscheint ein Hinweis auf die
homöopathische Dosierung ihres neuen zweiten Albums "Contra" an dieser
Stelle ratsam.
Zentrales Merkmal des gerade zu Ende gegangenen Popjahrzehnts war die
Inklusion. Und wer, wie die auch in die Zehnerjahre hineinstrahlenden
Popvisionäre Animal Collective, Dirty Projectors oder eben Vampire Weekend
einen inklusiven Ansatz verfolgte, macht mit seiner Musik keinen
Unterschied mehr zwischen high und low, Nische und Massentauglichkeit, Pop-
oder Volksmusik. Fakt ist, auch Vampire Weekend haben ihren Grundkurs
gregorianischer Gesang belegt, deswegen macht sie das aber noch lange nicht
zu Traditionalisten. Sie vermischen Eigenkompositionen mit Zitaten und
simple Hooklines mit dem Willen zum Experiment. Ihre Songs gehören ins
Autoradio, aber sie tun auch der fortschrittlichen Tanzfläche gut. Ihre
Kunst ist, dass sie in der suchmaschinenhaften Beliebigkeit der Referenzen
den Überblick behalten, schichten, gewichten, verwenden und wieder
aussortieren. Dass die Produktionsmittel durch das heilige römische Reich
der Internet Nation demokratisiert worden sein sollen, mag stimmen. Aber es
geht darum, mit diesen Mitteln Stilbewusstsein oder Raffinesse
auszudrücken. Am besten beides.
Vampire Weekend haben ihre Version von Pop mit einer horizonterweiternden
Musikfarbe versehen, wie es sie vorher noch gar nicht gab. "Tropical" hat
der afroamerikanische Journalist und Musiker Jace Clayton in seinem Essay
"World music 2,0" neulich als Bezeichnung für den kreativen Wildwuchs ins
Spiel gebracht und meint damit die große Pop-Mischpoke, die sich durch
erleichterte technische Zugangsmöglichkeiten und vereinfachte
Kommunikationswege an vielen Orten auf der Welt gleichzeitig gebildet hat.
Symbolisch bringen das Vampire Weekend auf ihrem neuen Album in dem
pynchonesken Song "California English" auf den Punkt. Während die Band in
hyperepileptischen Reggaeton verfällt, ist die Stimme vom Autotune-Effekt
verfremdet.
In der dritten Strophe singt sie von einem Stromschlag, ausgelöst durch
einen defekten Lichtschalter, der mit einer saudischen Satellitenschüssel
verschaltet ist. Der Strom fließt durchs Großhirn weiter zum "California
English", was immer das sein soll. "Wir machen organische Musik, wobei ich
organisch eher als sinnliche Eigenschaft definieren würde denn als
spezifischen Bandsound. Für mich bedeutet das eigentlich, dass wir unserem
Künstlerethos treu bleiben", erklärt Vampire-Weekend-Bassist Chris Baio.
"Afropop verwendet sehr viele Elemente von westlicher Musik, wir machen das
umgekehrt genauso, wenn wir die synkopierten Drumbeats des JuJu bewusst
einsetzen. Das ist ein Akt gegenseitiger Befruchtung."
Wobei Vampire Weekend natürlich andere ökonomische Hintergründe haben als
etwa Musiker aus Soweto. Zusammen mit dem Schlagzeuger Christopher "CT"
Thomson bewahrt Baio beim Interview-Promotionmarathon in einem Hamburger
Hotel stets Fassung. Die Antworten fallen höflich aus, er spricht
wohlüberlegte, druckreife Sätze. So ungefähr das Gegenteil vom
Rock-n-Roll-Urviech, aber in seinen Schluffi-Klamotten auch genauso weit
entfernt von den Anzug tragenden Geschäftsleuten, die ansonsten die
Hotellobby bevölkern. Ja, sie seien von der Besetzung her eine Rockband,
gesteht Baio. Mit Blick auf die Geschäftsleute schiebt er hinterher, er
kenne Anwälte und Broker, die viel härter Party feiern könnten als Vampire
Weekend. "Rock n Roll - Complete Control" reimen sie im titelgebenden Song
"I know U are a Contra".
Contra hat als Wort finstere, aber auch populistische Anklänge, von
US-Militär finanzierten Freischärlern in Mittelamerika (Contras) bis zum
beliebten Computerspiel gleichen Namens. Das Wort steckt konzeptuell hinter
jedem der zehn Songs des Vampire-Weekend Albums und bildet einen Gegensatz
zur quirligen, die Schönheit von Pop bejahenden Musik und der blauäugigen
weißen Frau mit dem Ralph-Lauren-Polohemd, die in täuschend echten
William-Eggleston-Farbtönen auf dem Plattencover abgebildet ist. "Contra
bedeutet dagegen", sagt Baio. "Es ist auch eine Abkürzung für
contradiction, Widerspruch. Alle diese Bedeutungen implizieren eine Art
Konflikt. Wir mögen, dass das Wort so vielseitig ist."
Wie alle Bandmitglieder ist Baio Absolvent der New Yorker
Columbia-Universität, die zum Kreis der US-Elite-Unis gehört. Und Vampire
Weekend meinen es ernst mit ihrem beflissenen Studentenimage: Auf dem Cover
ihres Debütalbums war ein Kronleuchter ihrer Studienbibliothek abgebildet.
Sänger Ezra Koenig hat tatsächlich eine Weile in der Redaktion des Oxford
English Dictionary (OED) mitgearbeitet. Pynchon hat das besondere Klima der
Ivory League in "Gegen den Tag" im Sinne von Vampire Weekend beschrieben.
"Die Buchgelehrsamkeit, die man sich dort aneignen konnte, und zwei, drei
gute Freunde, die noch nicht ganz zu der reflexhaften und humorlosen
Vorsicht abgerichtet waren, die zur Führung der Nation erforderlich war …"
So homogen das Studentenimage auch nach außen wirken mag, elitär sind
Vampire Weekend nicht. Immerhin hat Wu-Tang-Clanmitglied Ghostface Killah
in Interviews ausdrücklich sein Fantum bekundet. Und Chris Baio erwidert
dieses Kompliment, indem er von "Only Built 4 Cuban Linx" schwärmt, einem
Album von Raekwon aus der besten Phase des Wu Tung Clan. Vampire Weekend
erfüllen jedenfalls keine Klischees, die sie zum Hassobjekt für vulgären
Antiamerikanismus machen. Musikalisch vereint ihr Song "Holiday" die
schlimmsten und die besten Momente aus allen "Holiday"-Songs zwischen
Madonna und den Dead Kennedys. In dem nuancierten Songtext geht es um eine
Verwandte von Sänger Ezra Koenig, die nach dem Einmarsch in den Irak kein
Fleisch mehr essen konnte. Begleitet von fanfarenhaften Melodien münden
Erinnerungen an den Strandurlaub wenige Takte später in eine Werbeanzeige
für ein AK-47-Sturmgewehr.
Mit Schnellfeuergeschwindigkeit werden Vampire Weekend auch vermarktet. Aus
Angst vor Internet-Leaks streamt "Contra" gerade kostenlos auf der
Bandwebseite. Trotzdem sei man dankbar, wenn ihr neues Werk gekauft würde,
erklärt Baio.
So erklärt sich auch, dass das, woraus Musiker früherer Pop-Epochen in
relativer Isolation ganze Karrieren formten, bei Vampire Weekend gerade
noch für eine Momentaufnahme reicht. Wie schon auf ihrem Debütalbum sind
alle Songs First Take im Studio entstanden. Nach den Aufnahmen beginnt bei
Vampire Weekend die eigentliche Arbeit, die Songs so zu arrangieren, dass
sie im Live-Kontext Sinn machen. Wie gesagt, Vorsicht mit der Salsa:
"Cuidado Capron! Salsa Explosiva La Original".
7 Jan 2010
## AUTOREN
Julian Weber
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