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# taz.de -- Tatort-Kommissar Gregor Weber: Der Extremist von der Saar
> Seit neun Jahren ist Gregor Weber "Tatort"-Ermittler in Saarbrücken. In
> dieser Zeit hat er sich noch stärker gewandelt als seine Figur. Denn
> halbe Sachen sind nichts für ihn.
Bild: Gregor Weber (li) mit Schauspieler-Kollege Maximilian Brückner.
Es geht bergauf. Ein Weg durch den Wald, die Luft feucht vom Nieselregen.
Gregor Weber tritt in die Pedale, mühelos. Es ist still, bis auf das
Geräusch der Gummireifen auf nassem Waldboden. So umfassend still, wie es
in einem Herbstwald im Süden Bayerns sein kann. "Ich habe mich hier sofort
wohlgefühlt", ruft Weber gegen den Fahrtwind. Er, der im ländlichen
Saarland aufwuchs, lebte zuletzt über zehn Jahre in Berlin. Er hat die
Natur vermisst. Richtige Natur. Nicht das, womit sich die Hauptstädter
zufrieden geben, ein paar Bäume, Wiesen am Rande von Pankow.
Neun Jahre ermittelt Gregor Weber nun schon als Stefan Deininger im
Saarland-"Tatort", zuerst als blasser Adlatus vom dauerradelnden Palu, seit
2005 als Teil eines Zweierteams. Dennoch kennen die meisten nur den Namen
des "Neuen", der ihm als Franz Kappl vor die Nase gesetzt wurde: Maximilian
Brückner, der blondgelockte Jüngling, seit Jahren als "Shootingstar"
gelabelt. Ein Bayer, ausgerechnet.
Im Sommer ist der heute 41-jährige Weber mit Frau und Kindern selbst nach
Bayern gezogen, ins Heimatdorf seiner Frau, direkt an den Waldrand. Und nun
strampelt Weber eben nicht mehr den Prenzlauer Berg hoch, sondern ist
unterwegs zu einem Wirtshaus mitten im Nirgendwo, Sonntagsspaziergänger
kehren hier gern ein. Es ist eine jener ländlichen Gegenden, wo Katzen
strawanzen gehen und Türen unabgeschlossen bleiben.
Es ist Spätherbst, die Wolken hängen tief über dem früheren Forsthaus.
"Grüß Gott", sagt Weber in den Raum mit den Geweihen an der Wand. Mit
seinem Schuhwerk und dem Karohemd passt er gut hierher. Er bestellt
Blutwurst mit Sauerkraut und krault die Wirtshauskatze.
Der Umzug in die Provinz, er symbolisiert ein Ankommen. Webers Kampf im
letzten Jahrzehnt ähnelt dem einer ganzen Riege von Schauspielern, die
nicht jeden Scheiß drehen wollen, auf das große Ding hoffen, aber Geld
verdienen müssen. Doch Webers Art, mit diesem Branchendilemma umzugehen,
ist sicher selten. Nach Berlin war er 1997 gezogen, voller Hoffnung, für
die großen Film- und Fernsehproduktionen entdeckt zu werden. Immerhin war
er ein bekanntes Fernsehgesicht, hatte sechs Jahre lang den lakonischen
Sohn in Gerd Dudenhöffers saarländischer Provinzfamilie Becker gespielt,
mit schwarzer Bikerjacke und spätpubertärer Genervtheit.
Als einziger seiner Kommilitonen hatte er einen festen Job parallel zur
Schauspielschule in Frankfurt. Er kannte das Gefühl, gefragt zu sein.
Danach folgte ein Engagement am Theater in Hildesheim, wo er seine heutige
Frau kennenlernte, damals Dramaturgin. Es zog sie beide weiter, weg aus den
Theaterhierarchien. In Berlin, so die Überlegung, zentriert sich die
Branche. Der Plan ging nicht ganz auf. Gut, bei der ZDF-Serie "Küstenwache"
spielte er mit, drehte in Frankreich in einer teuren englischen
TV-Produktion, 2009 bekam er sogar quasi einen Oscar - als Ensemblemitglied
des Kurzfilms "Spielzeugland". Das Gefühl, gefragt zu sein, war schon mal
stärker.
Aber dass er "Tatort"-Kommissar wurde, verdanke er Berlin, davon ist Weber
überzeugt. "Wenn ich im Saarland geblieben wäre, hätte ich die Rolle nicht
bekommen" - nicht beim Saarländischen Rundfunk. Die Saarländer, erklärt der
Saarländer, haben ein Problem mit einheimischen Künstlern, "schauen Sie
sich Gerd Dudenhöffer an". Dudenhöffer lieferte als Erfinder und Oberhaupt
der "Familie Heinz Becker" den Bundesbürgern das stereotype Tableau für
"den" Saarländer - in einer WDR-Produktion. Dudenhöffer schätzt Webers
"saarländischen Mutterwitz", findet: "Er wird unter seinen Fähigkeiten
gefordert."
Typen wie Gregor Weber wollen alles oder nichts. "Am besten nach Lehrbuch",
sagt Weber, "typisch Jungfrau". Und: "Der typische Saarländer ist ein
Extremist." Wenn er sich einen Hund zulegt, dann muss er auch von A bis Z
wissen, wie das geht: Hundebesitzer sein, am besten schwarz auf weiß
bestätigt. Als Weber Fechten lernte, trainierte er dreimal die Woche. Wenn
er schon ein Instrument spielen will, "dann nur, um Konzertpianist zu
werden, ein zweiter Keith Jarrett".
Wenn man als Schauspieler einen Feuerwehrmann glaubhaft darstellen wolle,
schildert er seine anfängliche Überzeugung, müsse man "erst einmal fünf
Jahre als Feuerwehrmann gearbeitet haben". Als er eines Weihnachtstages
feststellte, dass seine Haare dünn wurden, rasierte er sie komplett ab,
sofort, auch wenn das zum aktuellen Rollenprofil nicht passte. Und als er
kochen lernen wollte, um der Frau an seiner Seite Paroli bieten zu können,
und weil er zur Sicherheit eine berufliche Alternative suchte, dann musste
es schon eine zweijährige Kochlehre sein, und zwar bei Kolja Kleeberg im
Berliner Spitzenrestaurant VAU.
Halbe Sachen sind nicht so Webers Ding. Auch deshalb hat es so lange
gedauert, bis er da ankam, wo er jetzt ist. Dieser Ort ist ein
Gemütszustand. Es ist die Selbstsicherheit, sich nicht auf einen Beruf
festlegen zu müssen. Er kann auch Serientreatments aushecken, Kinofilme
planen, Bücher schreiben. Das erste ist schon erschienen: "Kochen ist
Krieg", eine Reportagereise durch hiesige Küchen. Der Kampfeinsatz hinterm
Sterneherd hat Weber abgehärtet. Unabhängiger gemacht, gelassener.
Als Koch arbeiten will er nicht, aber er weiß, er kann vieles sein. Es hat
gedauert, bis er das verstand; als er das Buch schrieb, hörte er auf, sich
nur als Schauspieler zu sehen. Seine Ausstrahlung, diese Mischung aus
Robustheit und Gemütlichkeit, die etwas wurstigen Finger und die
saarländische Sprachfärbung passen zum Bild: in sich ruhend, aber ein
Geschichtenerzähler. Und hundertprozentig, wenn's drauf ankommt.
"Die Welt hat nichts verpasst, dass ich nie den Hamlet gespielt habe", sagt
er. Dieser Haltung ist es zu verdanken, dass die Figur des Deininger in den
letzten Jahren Kontur annahm. Jahrelang war er als Streber mit Gelfrisur,
Rundbrille und Tweed-Jackett an der Seite Palus dahinvegetiert: "Machen wir
uns nichts vor, die Figur war scheintot." Bis sich Gregor Weber hinsetzte
und seinem Kommissar eine Rollenbiographie schrieb. Auch deshalb haben wir
nun diesen stiernackigen Typen, kurzgeschoren, mit markantem rötlichem Bart
und Hornbrille. Dass er so in der letzten Palu-Folge auftauchte, rettete
ihm wohl das Leben.
Kampf ums Gleichgewicht
In der neuen Ära, seit 2006, gibt es nun Deininger und Kappl. Die beiden
haben seither eine Wandlung durchlaufen, wie kaum ein anderes Duo in der
ARD-Reihe. Hier der Jungspund Kappl, dort der dienstältere Deininger; vor
und hinter der Kamera musste Weber um seine Position kämpfen. Die vier
bisherigen Filme dokumentieren eine Annäherung, einen Kampf ums
Gleichgewicht. Zwischen Slapstick und folkloristischen Einsprengseln - hier
das saarländische Mantra "Hauptsach, gut gess", dort der Tuba spielende
Exilbayer.
"Die Charaktere bekommen in Zukunft ein schärferes Profil", verspricht
Christian Bauer, das gehört zu seinem großem Plan: Er ist der neue
betreuende Redakteur, der Film "Hilflos" ist der erste unter seiner Ägide.
"Klar, der Deininger ist der ewige Zweite", sagt er. Einer, der in der
Midlife-Crisis steckt, ohne es zu begreifen, der frauenlos dahindümpelt,
wohl ahnend, dass er als Mann kein Lottogewinn ist. Der weiß, dass ein
Anzug zur Position eines Kriminalhauptkommissars gehört. Und doch immer zum
falschen greift. Schlecht sitzende Zweireiher gehören für Bauer zu
Deiningers Profil: "Den letzten haben wir vorher zwei Tage in der Badewanne
gewässert."
In "Hilflos" ist der Anfang von etwas Neuem deutlich zu sehen. Eine
Geschichte über Snuff-Videos und Schülermobbing, mit jungen Schauspielern,
von einem jungen Autor, zusammengecastet vor der eigenen Haustür, beim
Saarbrücker Max-Ophüls-Preis, einer der wichtigsten Auszeichnungen für den
Branchennachwuchs. Genau den will Bauer fördern. Wenn einer noch keinen
Langfilm geschrieben hat, stört ihn das nicht: "Irgendwann ist immer das
erste Mal."
Und auch die Figuren Deininger und Kappl zeigen Neues. Sie lassen sich
erstmals wirklich aufeinander ein, öffnen sich. Und, selten beim "Tatort":
Man hat das Gefühl, das Arbeitsverständnis der Ermittler nachzuvollziehen,
etwa in den Verhörszenen, wenn jenseits eines "Good Cop, Bad Cop"-Spiels
ihre Wut, ihre Empathie durchscheinen.
Weber spielt im "Tatort", einmal im Jahr. Um andere Rollen bemüht er sich
nicht. Man war in das Dorf südlich von München gereist, um einen
Schauspieler zu treffen. Und musste dann begreifen, dass man die ganze Zeit
neben einem anderen durch die Pampa geradelt war. "Ich bin Autor", sagt
Weber. Es geht bergauf.
22 Jan 2010
## AUTOREN
Anne Haeming
## TAGS
Wochenendkrimi
Tatort
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nicht rauskriegt. ("Hilflos", So. 20.15 Uhr, ARD)
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