# taz.de -- Schlechte Sozialwerte in Helle Mitte: Nur die Arbeit fehlt | |
> Die Helle Mitte ist im Monitoring Soziale Stadtentwicklung auf den | |
> letzten Platz in Berlin abgerutscht - die Sozialwerte sind schlecht. Aber | |
> die Bewohner sind zufrieden. | |
Bild: Sozial gefährdet? | |
Verena P. wohnt gern in der Hellen Mitte. Hier teilt sie sich mit einem | |
Kommilitonen eine WG. Die Studentin der Alice-Salomon-Hochschule schätzt | |
die kurzen Wege auf den Campus und zur U-Bahn. "Am Wochenende brauche ich | |
die raue Natur vor der Haustür", sagt die Studentin, die aus einem | |
niedersächsischen Dorf stammt. Die hat sie am nahem Schleipfuhl. Dass ihr | |
Wohnquartier im aktuellen Monitoring Soziale Stadtentwicklung auf dem 434. | |
und damit letzten Platz aller gemessenen Berliner Wohnquartiere liegt, kann | |
sie nicht nachvollziehen. "Die Nachbarn stressen manchmal. Aber sonst bin | |
ich zufrieden." | |
Wie ein Armutsquartier sieht das Mitte der 90er-Jahre als Stadtteilzentrum | |
für Hellersdorf auf ehemaligen Ackerland entworfene Quartier auch nicht | |
aus. In der Hellen Mitte haben das Bezirksamt, ein über Hellersdorf hinaus | |
bekanntes Gesundheitsfachzentrum sowie die Alice-Salomon-Hochschule ihren | |
Sitz. In dem ambitioniert entworfenen Einkaufszentrum herrscht allerdings | |
zwischen Restaurants und Läden viel Leerstand. H & M und Food Locker sind | |
längst ausgezogen. Weitere Auszüge sind zu befürchten, denn die Kaufkraft | |
der Bevölkerung fehlt. Die benachbarten Quartiere Kastanienallee und | |
Hellersdorfer Promenade haben ebenfalls sehr niedrige Sozialwerte erreicht. | |
Die Arbeitslosenrate beträgt in der Hellen Mitte 20 Prozent, die | |
Schuldnerquote 25 Prozent. Gut jeder dritte Bewohner lebt von Hartz IV - | |
viele trotz Arbeit. Die Sozialwohnungen hier sind klein und relativ teuer. | |
27 Prozent der Bewohner sind laut einer Studie der Linken im Bezirk in den | |
beiden letzten Jahren neu hinzugezogen - in der Regel Hartz-IV-Familien mit | |
Akten beim Jugendamt. Hier und in den angrenzenden Quartieren leben | |
besonders viele minderjährige Mütter. | |
Insgesamt haben im Bezirk 8 Prozent der Neugeborenen eine Mutter, die noch | |
keine 20 ist. Diese jungen Frauen stammen häufig aus Hartz-IV-Familien, | |
haben oft keinen Schulabschluss und sind meist alleinerziehend. Die Armut | |
sieht man den Müttern nicht an, wenn sie stolz den Kinderwagen durchs | |
Einkaufszentrum schieben und oft schon ein oder zwei ältere Kinder an der | |
Hand halten. Der Bezirk hat viele Programme aufgelegt, um die soziale | |
Kompetenz der jungen Mütter zu stärken. | |
Laura H. ist 17 und erwartet gerade ihr erstes Baby. Gemeinsam mit ihren | |
arbeitslosen Eltern kauft sie in der Drogerie ein. Alle drei haben von den | |
niedrigen Sozialwerten ihres Kiezes noch nichts gehört. "Es ist hier doch | |
besser als in Kreuzberg", sagt die Schwangere erstaunt. "Wer weiß, was die | |
Bürokraten da wieder für eine Studie gemacht haben." | |
49 Prozent der Bewohner der Hellen Mitte und sogar 63 Prozent der Kinder | |
und Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund. Sie sind ganz | |
überwiegend russlanddeutsche Spätaussiedler mit deutschem Pass. Eine von | |
ihnen ist Irina Riehl. Die junge Hochschulabsolventin arbeitet im | |
Quartiersmanagement für die Hellersdorfer Promenade und die Helle Mitte und | |
kümmert sich dort um die Belange von Migranten. | |
Sie kam im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. | |
"Problematisch ist es hier für die Situation der mittleren Generation", | |
sagt sie. Viele der Zuwanderer hätten in den GUS-Staaten einen | |
Hochschulabschluss erworben, der hier nicht anerkannt ist. Lehrerinnen und | |
Ärzte arbeiten als Zimmermädchen, Altenpflegerinnen, auf dem Bau oder sie | |
tragen Zeitungen aus, falls sie überhaupt Arbeit haben. "Das war ihnen vor | |
ihrer Aussiedlung nach Deutschland nicht bewusst", sagt die junge Frau. | |
"Und das sorgt für Frust. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse." | |
Lösen kann das Quartiersmanagement dieses Kernproblem allerdings nicht. Für | |
die Anerkennung von Bildungsabschlüssen sind Bund und Land zuständig. Die | |
Kinder der Spätaussiedler hätten hingegen oft sogar bessere Schulabschlüsse | |
als ihre alteingesessenen Nachbarskinder, erzählt Irina Riehl. | |
"Skaska" (Das Märchen) heißt der einzige russische Laden im Kiez. Anna und | |
Artur Jung betreiben ihn. Die Eheleute waren in der Nähe von St. Petersburg | |
Geschäftsführerin eines Heimatmuseums und und Lektor. In ihren Berufen hier | |
Arbeit zu finden, war nicht möglich. Der Laden ist für sie die Alternative | |
zur Arbeitslosigkeit. Moskauer Eis, Krimsekt, gezuckerte Kondensmilch, | |
Pelmeni und sauer eingelegte Tomaten aus Russland sind auch bei | |
alteingesessenen Hellersdorfern beliebt. Dazu bietet der Laden einen | |
Ausleihservice für russischsprachige Bücher und DVDs und Produkte wie | |
eingelegter Sauerampfersuppe oder Buchweizen, die bei Russlanddeutschen | |
geschätzt sind. Die Jungs fühlen sich in Helle Mitte wohl. "Hier ist alles | |
modern. Hier leben unsere Freunde und Bekannten. Nur die Arbeit fehlt." | |
26 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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