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# taz.de -- Zu Besuch in Vancouver: Urbanes Outdoor-Paradies
> Wenn nicht gerade Olympische Spiele sind, lässt sich Großstadt wieder von
> ihrer entspannten Seite erleben – vor allem, wenn man mit Boot oder
> Fahrrad unterwegs ist
Bild: Skyline von Vancouver und Stanley Park
Zugegeben, die Busfahrer hätten es verdient, dass wir eine
Hop-on-Hop-off-Tour durch Vancouver machen. Sie sind die nettesten der
Welt, begrüßen jeden Fahrgast persönlich und haben auch kein Problem damit,
beim Kinderwagen einer jungen Mutter mit anzufassen. Aber im Doppeldecker
eine Sehenswürdigkeit nach der anderen abhaken? Es gibt bessere
Möglichkeiten, die Zwei-Millionen-Metropole zu entdecken. Die
Olympia-Stadt, die an so vielen Stellen vom Pazifik umspült wird, muss man
erst mal vom Wasser aus erleben und die Hochhaus-Skyline auf sich wirken
lassen. Dazu bieten sich Hafenrundfahrten und Segeltörns an. Oder der
kleine Aquabus: Wie eine überdachte Nussschale sieht das Wassertaxi aus,
das ganz gemütlich durch den False Creek, eine Art Fjord im Stadtzentrum,
schippert und dabei auch einige Sightseeing-Stationen anläuft.
Wir gehen in Granville Island an Bord. Günstig gelegen zwischen Downtown
und den südlichen Wohnvierteln ist die künstliche Insel beliebter
Treffpunkt für alle, die sich nicht gleich ins Geschäftsviertel stürzen
wollen. Früher war sie Standort von Fabriken und Kleingewerbe. In den
letzten Jahrzehnten sind in die alten Lagerhallen Kunsthandwerker, Theater,
Cafés, Fischrestaurants und Souvenirläden eingezogen. Und die Markthalle,
die ein wahres Feinschmeckerparadies ist und den ganzen Tag über zur
kulinarischen Weltreise einlädt. Hier gibt es Biomuffins mit Heidelbeeren,
dort Sandwichs mit gegrilltem Lachs, mexikanische Enchiladas, Sushi, ja, an
einem Stand wird sogar frischer Ökohaferbrei mit Rhabarberpüree gereicht.
Was das Wichtigste ist: Fast alles ist Organic Food, Bioware. „Die
Vancouverites sind sehr gesundheits- und ökobewusst“, meint meine
Begleiterin Mary. „Selbst wenn sie zum Burger greifen, sollte er möglichst
aus Ökofleisch bestehen.“ Es schmeckt vorzüglich. Doch mit der Zeit drängen
immer mehr Touristen auf die beschauliche Bilderbuchinsel. Höchste Zeit,
aufs Boot zu steigen!
Gleich ziehen moderne Wohn- und Bürotürme an uns vorüber. Glasfassaden mit
dreißig oder vierzig Stockwerken, die vom Wasser in den Himmel wachsen.
Vorn der Jachthafen von Yaletown, dem Soho Vancouvers, wo die Statussymbole
betuchter Freizeitkapitäne vor sich hin dümpeln, dahinter lugt die eine
oder andere Olympiastätte hervor. Der Canada Hockey Place zum Beispiel, wo
die Eishockey-Meisterschaften ausgetragen werden. Ein Stück weiter, im BC
Place Stadium, finden Eröffnungs- und Schlussfeier statt. Beide Gebäude
sind auf dem Gelände der Weltausstellung von 1986 entstanden. Von damals
hat sich auch die Science World erhalten, die als futuristische
Edelstahlkugel aus dem Wasser ragt und junge Besucher zum Experimentieren
einlädt. Ganz neu sind dagegen die Blöcke des Olympic Athletes Village auf
der anderen Seite des False Creek: Rund 1300 Wohnungen wurden hier gerade
errichtet. Die privilegierte Lage am Wasser und im Stadtzentrum ist für ein
Olympisches Dorf wohl einzigartig. Dabei sollen 20 Prozent von ihnen nach
den Olympischen Spielen als Sozialwohnungen genutzt werden - schließlich
wollen die Spiele von Vancouver 2010 als die sozialverträglichsten,
nachhaltigsten und politisch korrektesten in die Geschichte eingehen. „Das
Problem ist nur, dass sich die Wohneinheiten inzwischen so verteuert haben,
dass keiner weiß, wie das in Krisenzeiten zu finanzieren ist“, gibt Mary zu
bedenken. „So wächst der Druck, sie an solvente Privatleute zu verkaufen.“
Größte Errungenschaft ist die Canada Line, eine Schnellbahnverbindung, die
vom Flughafen nach Downtown fährt und direkt an der Waterfront endet. Um
dorthin zu fahren, steigen wir erst mal vom Boot aufs Fahrrad um.
Verleihstellen gibt es genug, ebenso wie Fahrradwege, auf denen man sich
weite Teile der Stadt erschließen kann. Überhaupt ist Vancouver ein wahres
Outdoor-Paradies mit vorbildlich gepflegten Uferwegen, Stränden und
Parklandschaften. Der Slogan „BBC - Beautiful British Columbia“ - der unter
anderem auf den Nummernschildern der Autos steht, scheint Programm. Und
dabei geht es überall so entspannt zu, dass man das Gefühl hat, alle seien
permanent im Urlaub. Zum Beispiel an der English Bay, einem der schönsten
Strände: Da sitzen sie in der warmen Jahreszeit mit Wraps und Soft Drinks
und lassen sich die Büroblässe wegbräunen.
Mal weht uns beim Radeln frischer Seewind, mal der Duft von Fish and Chips
um die Nase. Auf den Sunset Beach folgen der Second und der Third Beach.
Dann ist plötzlich alles grün: Gleich neben dem Strand liegt der Stanley
Park. Ein englischer Landschaftsgarten? Ganz und gar nicht. Stattdessen ist
das 400 Hektar große Gelände eine richtige Wildnis aus jahrhundertealten
Rotzedern, haushohen Hemlocktannen und dichtem Buschwerk. Selbst wenn der
Park nur ein kleiner Ausschnitt von Kanada ist - hier bekommt man eine
Vorstellung von den Dimensionen der Natur in diesem Land. Schönster
Aussichtspunkt an der zwölf Kilometer langen Uferstraße ist der Prospect
Point. Vor ihm spannt sich die elegante Lions Gate Bridge mit dem Highway
99 über den Pazifik, der Downtown mit North und West Vancouver verbindet.
Auf der anderen Seite grüßen dann schon die schneebedeckten Berge.
Irgendwann werden wir mit der Gondel auf den Grouse Mountain fahren und uns
einen Tag lang wie in den Alpen fühlen.
Aber jetzt radeln wir erst mal weiter durch den Park zum Aquarium, wo sich
Robben, Seelöwen und Delphine tummeln. Was Knut für den Berliner Zoo ist,
sind hier die Walbabys, an deren Geburt und Aufzucht die Bevölkerung
lebhaften Anteil nimmt. Jedenfalls sind die Schlangen bei den
Fütterungsritualen wesentlich länger als vor den riesigen Totempfählen, die
ein Stück weiter in der Parklandschaft stehen.
Sie sind mehr oder weniger das Einzige, was von den First Nations, den
Westküstenindianern geblieben ist, die einst im Gebiet des Stanley Parks
lebten. Heute gehen sie in der Bevölkerungsmischung, die zu einem Drittel
aus Asiaten besteht, schlichtweg unter. „Immerhin sind vier der Stämme
unter den offiziellen Gastgebern der Winterolympiade vertreten“, meint
Mary. „Wer mehr über sie wissen will, sollte sich unbedingt das
fantastische Anthropologische Museum ansehen.“
Das liegt allerdings am anderen Ende der Stadt auf dem Gelände der
Universität von British Columbia, sodass wir den Besuch auf einen anderen
Tag verschieben müssen. Stattdessen geht es jetzt am Jachtklub, an
Grünanlagen, Hotels und Apartmenthäusern entlang zum Canada Place. Gleich
neben dem gläsernen Kongresspalast docken Kreuzfahrtschiffe an das
Geschäftsviertel an. Gleich um die Ecke liegt die Robson Street, die
Haupteinkaufsmeile Vancouvers, wo wir lieber vom Sattel steigen. Nicht,
weil die unzähligen Starbucks-Filialen - der typische Passant hält in der
einen Hand ein Handy, in der anderen einen Coffee-to-go-Becher - so
verlockend wären. Vielmehr wird es jetzt zunehmend mühsam, sich hier als
Fahrradfahrer zu behaupten. Lohnendste Station ist die National Art Gallery
an der Hornby Street. Neben guten Wechselausstellungen gibt es hier auch
Bilder der kanadischen Malerin Emily Carr zu sehen. Anders als bei ihren
meisten Kollegen tauchen auf ihren Landschaftsbildern und Porträts aus der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Motive der Ureinwohner auf.
Was heute aus einigen ihrer Nachfahren geworden ist, können wir dann auf
der anderen Seite von Downtown erleben. Kurz nach Gastown, dem ältesten
Teil der Stadt, wo es reichlich touristisch zugeht, folgt der Absturz:
Plötzlich sitzen ausgemergelte Junkies in den Hauseingängen. Obdachlose
torkeln auf der Straße, betteln um Geld oder Zigaretten. Ob hier gerade ein
Film gedreht wird? Immerhin gehört das Filmbusiness im „Hollywood des
Nordens“ zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Aber nein. Hier zeigt sich
das andere Gesicht der Fun-City, wo eben doch nicht alles adrett und
entspannt ist. „Vancouver hat ein massives Drogenproblem“, klärt uns unsere
Begleiterin auf. Nicht allein, dass es Umschlagplatz und Produktionsstätte
von chemischen Drogen ist. Hier finden sich auch die meisten Opfer, die zu
einem nicht unerheblichen Teil den First Nations entstammen. Besucher sind
geschockt, viele Anwohner genervt, die Stadtverordneten fürchten um das
Image der Metropole.
Eine US-Amerikanerin hatte bereits von ihrer Regierung gefordert, sie müsse
eine Reisewarnung für die Olympia-Stadt geben. „Im Zweifelsfall werden die
störenden Elemente kurzerhand an den Stadtrand versetzt“, gibt Mary zu
bedenken. Wenn sich in der Bevölkerung daraufhin Protest regt, kann er in
den Free Speech Zones geäußert werden, die eigens für die Olympischen
Winterspiele eingerichtet wurden. In einer gut organisierten Stadt wie
Vancouver ist eben für alles gesorgt. Für perfekte Mülltrennung,
vorbildliche Fahrradwege und freie Meinungsäußerung. Kritik scheint die
entspannte Grundstimmung im urbanen Outdoor-Paradies ohnehin nicht zu
beeinträchtigen.
30 Jan 2010
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Reiseland Kanada
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