| # taz.de -- Verhandlungen um RAW-Tempel: Tempel der Hoffnung | |
| > Die Verhandlungen stagnieren seit Jahren. Doch in diesem Frühjahr könnten | |
| > die Kreativen Verträge über zehn Jahre kriegen. | |
| "Sie lassen uns am ausgestreckten Arm verhungern!" So beschreibt Kristine | |
| Schütt, Sprecherin des Vereins RAW-Tempel, die seit zwei Jahren | |
| festgefahrenen Verhandlungen um das Gelände an der Warschauer Brücke in | |
| Friedrichshain. "Ganz so würde ich es nicht formulieren", entgegnet dazu | |
| Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne). Doch auch er beschreibt die | |
| Situation mit "es geht drei Schritte nach vorn, dann zwei zurück, dazu | |
| halbe Ausfallschritte nach links und rechts, aber es geht weiter". Und | |
| Moritz Müller, Vertreter der Eigentümergesellschaft R.E.D., findet die | |
| Frage danach, wie "es 2010 weitergeht", zwar eine "gute Frage" - aber mehr | |
| möchte er dazu auch nicht sagen. Dabei liegt laut Schulz "ein ernst zu | |
| nehmender Vertragsentwurf auf dem Tisch". Doch der Teufel scheint in den | |
| vielfältigen Details zu stecken. | |
| Diese Details sind ebenso vielfältig wie das rund 65.000 Quadratmeter große | |
| Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) "Franz Stenzer". | |
| Seit 1998 nutzen Anwohner und knapp hundert Gruppen das stillgelegte | |
| Bahngelände mit etlichen Hallen und Verwaltungsgebäuden als | |
| Veranstaltungsort für ihre künstlerischen Aktivitäten, für Zirkus-Projekte | |
| mit Kindern bis hin zu einer bei den Jugendlichen sehr beliebten | |
| Skaterhalle und einem Konzertsaal. So entstanden auf dem gesamten Gelände | |
| in den letzten Jahren rund 130 Arbeits- und Ausbildungsplätze, der | |
| eigentliche RAW-Tempel umfasst nur die vier Gebäude entlang der Revaler | |
| Straße. | |
| "Hier kann man eine Stadtentwicklung von unten ausprobieren, weil die | |
| Voraussetzungen günstig sind und die Menschen das wollen", betonte Franz | |
| Schulz 2008 auf der Abschlusskundgebung einer Demo der NutzerInnen des | |
| RAW-Geländes. Welche kulturelle Ausstrahlung diese Ansammlung von Projekten | |
| entwickeln kann, zeigte auch ein Besuch von Bundespräsident Horst Köhler im | |
| Jahr 2005. | |
| Doch gleichzeitig möchte ein kommerzieller Investor das Gelände entwickeln. | |
| In dessen kühnsten Träumen ist am Fuß zur Warschauer Brücke ein | |
| Einkaufszentrum und am Südrand entlang der Eisenbahn eine kompakte | |
| Wohnbebauung geplant. Im Sommer 2007 hatte die R.E.D., hinter der ein | |
| isländischer Immobilienfonds steht, das gesamte Gelände von der | |
| Immobilien-Verwertungsgesellschaft der Bahn AG für rund drei Millionen Euro | |
| gekauft. "Hier trifft das globale Finanzsystem auf lokale Strukturen, hier | |
| werden die Konflikte sichtbar", sagt dazu Michael Rostalski, ein | |
| engagierter Anwohner. Im Jahr 2008 bot die R.E.D. dem RAW-Tempel dessen | |
| Teilstück, das gerade mal ein Zehntel der Gesamtfläche ausmacht, für zwei | |
| Millionen Euro zum Kauf an. Empört wies der Verein das Angebot zurück. | |
| Seitdem pokert er gemeinsam mit dem Bezirk mit seiner größten Trumpfkarte: | |
| dass noch kein Bebauungsplan - und somit kein Baurecht - besteht. | |
| Dabei ist es aber auch geblieben. Der gemeinsame Auftritt aller Projekte | |
| auf dem Gesamtgelände als "Revaler5Eck" zerfiel seitdem mangels gemeinsamer | |
| Perspektiven; die Webseite ist seit Ende 2008 nicht mehr aktualisiert | |
| worden. Der "Ideenaufruf", ein Zusammenschluss von Anwohnern, gab | |
| frustriert auf, "weil die Interessen der BürgerInnen nicht gehört wurden", | |
| berichtet Kristine Schütt. "Die Investoren blocken alle anderen Planungen | |
| ab", fügt sie hinzu. Seit Sommer 2008 verhandeln nun die verschiedenen | |
| Projekte auf dem Gelände alleine: Manche bekamen Zwischennutzungsverträge, | |
| einige sogar über die Dauer von zehn Jahren. | |
| Der Grund dafür könnte die globale Finanzkrise sein: Denn dem Investor | |
| scheint im Augenblick durch die Krise, die ja insbesondere Island betraf, | |
| etwas die Luft auszugehen. Deshalb gibt sich Kristine Schütt überzeugt, | |
| dass auch für die vier Gebäude des RAW-Tempels in den kommenden Monaten ein | |
| langjähriger Nutzungsvertrag zustande kommen wird. "Dann haben wir endlich | |
| Vertragssicherheit und können richtig investieren." | |
| Langfristig strebt sie nach dem Nutzungsvertrag den Erwerb des Geländes | |
| durch eine Stiftung an: "Diesen Gedanken geben wir nicht auf." Doch der | |
| Investor möchte laut Schütt im Augenblick ihnen keinen Kauf ermöglichen; er | |
| hoffe noch auf ganz andere gesamtwirtschaftliche Bedingungen in zehn | |
| Jahren. | |
| So traktieren sich beide Seiten seit Monaten mit Sticheleien. Zum Beispiel | |
| betreibe die R.E.D. eine von dem Voreigentümer gestellte Räumungsklage | |
| weiter, um dann zum Gerichtstermin das Verfahren "auszusetzen, aber eben | |
| nicht grundsätzlich zurückzunehmen", wie Schütt berichtet. | |
| Dazu kamen einige Schicksalsschläge, die viel Energien der Aktiven auf dem | |
| Gelände gebunden haben. Im Herbst vergangenen Jahres entdeckte die | |
| Bauaufsicht des Bezirks schwere Mängel beim Brandschutz und forderte den | |
| Einbau einer neuen Lüftungsanlage in der Veranstaltungshalle. Allerdings | |
| beteiligten sich das Land Berlin und das Jobcenter an den Kosten von rund | |
| 40.000 Euro. Laut Schütt ist der Auflagenkatalog inzwischen weitgehend | |
| abgearbeitet. Und Ende vergangenen Jahres brach im sogenannten | |
| Verwaltungsgebäude im 1. Obergeschoss ein Feuer aus, das von zwei | |
| MitarbeiterInnen gerade noch rechtzeitig gelöscht werden konnte. Das unter | |
| Denkmalschutz stehende Gebäude wurde deshalb kaum beschädigt. | |
| Doch auch bei diesem eigentlich kleinen Brandschaden zeigte sich für Schütt | |
| bei der Frage, wessen Versicherung nun zuständig ist, "wie unsicher die | |
| Lage ist" und "wie dringend wir Klarheit brauchen". Und so hofft sie für | |
| den RAW-Tempel e. V., zu dessen fünfköpfigen Vorstand sie gehört, dass die | |
| festgefahrenen Gespräche im Januar wieder aufgenommen werden. "Ein | |
| zehnjähriger Nutzungsvertrag wäre doch eine für alle Seiten akzeptable | |
| "Win-win-Lösung", so Schütt. Und vielleicht geht es dann auch mal mehr als | |
| drei Schritte nach vorn. | |
| 3 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Villinger | |
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