# taz.de -- NS-Kindereuthanasie: Von vergessenen Opfern | |
> Die Morde an behinderten Kindern aus Bremen während des | |
> Nationalsozialismus deckt eine Ausstellung im Krankenhausmuseum im | |
> Klinikum-Ost auf | |
Bild: Eine Gruppe von den Nazis als behindert klassifizierter Jungen im Haus Re… | |
Dem Schicksal behinderter Kinder aus Bremen, die der NS-Kindereuthanasie | |
zum Opfer fielen, geht eine Ausstellung im Krankenhausmuseum im | |
Klinikum-Ost nach. Erschütternd sind die Fakten, die „entwertet – | |
ausgegrenzt – getötet“ nüchtern auf Schautafeln dokumentiert: Akten, | |
Gutachten, Briefe, Fotos. | |
„Wir wissen wenig über diese Menschen“, sagt Achim Tischer, Leiter des | |
Krankenhausmuseum, „aber wir wollen zumindest damit an sie erinnern, ihnen | |
ein Gesicht und ihr Recht geben.“ | |
Die Ausstellung entschlüsselt ein weitreichendes System zur Erfassung, | |
Begutachtung, und Selektion jener Kinder, die nach der NS-Rassenideologie | |
als „unwertes Leben“ galten: körperlich und geistig Behinderte, schwer | |
Erziehbare, Unangepasste. Maßgeblich daran beteiligt waren | |
Gesundheitsämter, Hebammen und Ärzte. „Sie hatten die Aufgabe, die Kinder | |
nicht nur in Heimen, sondern auch in Privathaushalten ausfindig zu machen“, | |
sagt Tischer. | |
Einmal erfasst wurden sie in so genannte Kinderfachabteilungen geschickt – | |
„ein Tarnausdruck für Stationen, die zum Töten und Forschen eingerichtet | |
waren“, wie Tischer erklärt. Mindestens 5.000 Kinder starben dort. Darunter | |
auch Bremer Kinder, die zwischen 1942 und 1944 in die Kinderfachabteilung | |
in Lüneburg geschickt wurden. | |
Wenig war bislang über sie bekannt, erst im vergangenen Jahr gab ein | |
Aktenfund im Staatsarchiv Hannover Aufschluss. Für die Ausstellung | |
recherchiert hat dort die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht. | |
In Lüneburg starben 31 der 36 Bremer Kinder nach wenigen Wochen, 18 wurden | |
zu Forschungszwecken obduziert. Die Todesursache: meist Lungenentzündung. | |
Auch das, so Tischer, ein „Tarnausdruck“. De facto starben die Kinder an | |
Unterernährung oder Beruhigungsmitteln. „Das Perfide war, dass man die | |
Eltern indirekt zu Komplizen gemacht hat“, sagt er. In der Hoffnung auf | |
neue Behandlungsmethoden hätten viele ihre Kinder in die Fachabteilung | |
geschickt. Wer sich weigerte, dem wurde mit Sorgerechtsentzug gedroht. Doch | |
auch aus Überzeugung seien Kinder weggegeben worden. „Das rassenhygienische | |
Denken war auch in der Bevölkerung tief verwurzelt“, sagt Tischer. | |
Dokumentiert wird dies durch Briefe von Eltern. „Höflichst“ bittet darin | |
ein Vater den Arzt seiner Tochter um Auskunft, wie sie „von ihren Leiden | |
erlöst“ werden könne. Weitere Teile der Ausstellung gehen dem Schicksal von | |
120 Behinderten nach, die bis 1939 in der Pflegeanstalt „Haus Reddersen“ | |
lebten. | |
Ihre Odyssee durch verschiedenste Heime endete meist in | |
NS-Tötungsanstalten. Zudem ist eine Wanderausstellung über die Kindermorde | |
am Bullenhuser Damm in Hamburg integriert. 20 jüdische Kinder wurden dort | |
für Medizinexperimente missbraucht und ermordet. Ein Begleitprogramm mit | |
Vorträgen gibt Einblicke in Forschungen zur NS-Euthanasie. | |
Doch nicht nur die Opferseite wolle man aufzeigen, erklärt Tischer, auch | |
die Mentalität der Täter. „Es waren Ärzte, die sich das medikalisierte | |
Töten im Sinne von Heilung ausgedacht haben“, sagt er. Ihr Blick auf die | |
Menschen mit Behinderung: ausschließlich negativ. Von „bildungsunfähigen“ | |
Kindern und „leeren Menschenhülsen“ ist in den ausgestellten Gutachten die | |
Rede. Zur Rechenschaft gezogen worden seien die wenigsten, die Karrieren | |
vieler beteiligter Ärzte und Psychiater liefen ungebrochen weiter, so | |
Tischer. „Man scheint an Amnesie gelitten zu haben“, sagt er. Die | |
Ausstellung im Krankenhausmuseum wird die Erinnerung hoffentlich wieder in | |
Gang setzen. | |
7 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Anna Gras | |
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