# taz.de -- taz-Gespräch über Feminismus: "Wir brauchen einen Arschtritt" | |
> Frauenministerin Kristina Köhler (32) hat schon mit 18 gesagt: Sie wird | |
> nie Feministin! Spricht sie damit für eine Generation? Drei Frauen um die | |
> 30 debattieren über die Frauenpolitik der Zukunft. | |
Bild: Dorothee Bär, Katrin Rönicke und Katja Dörner (von links). | |
taz: Frau Rönicke, Sie erwarten in Kürze Ihr zweites Kind. Würden Sie wegen | |
des Betreuungsgeldes zu Hause bleiben? | |
Katrin Rönicke: Auf keinen Fall, mich hält ja nicht einmal das Elterngeld | |
zu Hause. Das Betreuungsgeld funktioniert doch nur, wenn der Rechtsanspruch | |
auf einen Kita-Platz realisiert ist. | |
Katja Dörner: Wir müssen in Kitas investieren, in mehr Plätze und in die | |
Qualität. Und keineswegs 1,5 Milliarden Euro jährlich für das | |
Betreuungsgeld rauswerfen. | |
Katrin Rönicke: Außerdem empfinde ich es als Ablasshandel: Geben wir den | |
Eltern einfach mal Geld dafür, dass wir es überhaupt nicht auf die Reihe | |
kriegen, ausreichend Kita-Plätze zu schaffen. | |
Dorothee Bär: Hier läuft die Diskussion in eine falsche Richtung. Die | |
Hauptverantwortung für die Kinder liegt immer noch bei den Eltern. Selbst | |
wenn sie ihre Kinder stundenweise von anderen Personen betreuen lassen. Mit | |
dem Betreuungsgeld erkennen wir die Erziehungsleistung von Eltern an. | |
Rönicke: Die Anerkennung ist auch wichtig. Aber ich wünsche sie mir anders. | |
Dass zum Beispiel mein Mann in seiner Firma sagen darf, ohne diskriminiert | |
zu werden: Wegen meiner Familie möchte ich künftig weniger arbeiten. Das | |
muss Normalität werden. Dafür brauchen wir Gesetze. | |
Bär: Aber da haben wir doch schon viel getan. Wir haben die Vätermonate und | |
das Elterngeld eingeführt, jetzt soll es das Teilelterngeld geben, das es | |
Müttern und Vätern erlaubt, während des Elternurlaubes Teilzeit zu arbeiten | |
und dadurch die Elternzeit zu verlängern. | |
Rönicke: Aber wenn die Vätermonate vorbei sind, steht der Mann wieder unter | |
dem Druck des Normarbeiterverhältnisses, dann muss er - wie vor den | |
Vätermonaten - wieder 60 Stunden in der Woche arbeiten. Von den Maskulisten | |
… | |
… der Gegenbewegung zum Feminismus … | |
… hören wir immer wieder das Argument: Was wollt ihr Frauen denn, die | |
Männer machen ja auch die meisten Überstunden. Das ist doch verquer. Wir | |
wollen, dass Männer weniger Überstunden machen müssen. Und dass die Frauen | |
nicht nur Teilzeit arbeiten. | |
Bär: Bei dieser Diskussion wird auch eine ganz wichtige Frage vergessen: | |
Was ist am besten für mein Kind? Heute ist nicht mehr eindeutig klar, dass | |
Eltern die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kinder sind. | |
Rönicke: Das bleiben sie ja auch. Aber neurologische Untersuchungen belegen | |
ebenso, dass es völlig egal ist, wo und von wem das Kind betreut wird, | |
Hauptsache, die Bindung zur Betreuungsperson ist gut. Wir müssen von diesem | |
Muttermythos wegkommen. | |
Bär: Warum ist Mutterliebe ein Mythos? | |
Rönicke: Die Liebe der Mutter im Vergleich zur Liebe anderer Menschen | |
gegenüber dem Kind wird idealisiert und überhöht. | |
Da gäbe es ja zum Beispiel noch die Vaterliebe. 20 Prozent der Väter nehmen | |
die zwei Vätermonate. Reicht das? | |
Rönicke: Prinzipiell ist es gut, dass Väter in die Kinderbetreuung | |
hineinschnuppern können. Aber was passiert danach? Dann sind wir wieder bei | |
der Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, es muss eine Debatte | |
geben über eine gerechte Arbeitsorganisation. | |
Kümmern Sie sich als Regierungspartei darum, Frau Bär? | |
Bär: Natürlich. Wir nennen das flexible Arbeitszeitmodelle. Die sind vor | |
allem wichtig für die Phasen der Familiengründung. Und sogar manche Männer, | |
die die Vätermonate genommen haben, arbeiten danach verkürzt weiter. | |
Dann brauchen wir also doch keine Männerpolitik, obwohl die im | |
Koalitionsvertrag steht? | |
Bär: Doch, schließlich sind jahrelang Mädchen und Frauen gefördert worden. | |
Jetzt haben die Jungs Nachholbedarf. Viele Jungen haben in ihren ersten | |
Lebensjahren nur mit Frauen zu tun. Beispielsweise treffen Jungen, die bei | |
Alleinerziehenden groß werden, oft erst in der fünften Klasse auf die erste | |
männliche Bezugsperson. | |
Männer werden nicht Erzieher, weil der Beruf schlecht bezahlt ist. Wollen | |
Sie das ändern? | |
Bär: Wir haben das noch nicht in einen Gesetzestext gegossen. Aber der | |
Wille zur Änderung ist da. | |
Kristina Köhler, unsere neue Frauen- und Familienministerin, will | |
Jungenpolitik in den Mittelpunkt rücken. Damit hat sie den Zuspruch von | |
Männerorganisationen sicher. Aber viele Verbände agieren stark gegen | |
Frauen. Wollen Sie eine neue Runde im Geschlechterkampf? | |
Bär: Wenn wir mehr für Jungs tun, helfen wir auch den Frauen. | |
Dann hätte sich der Feminismus erledigt. Kristina Köhler hat schon mit 18 | |
Jahren kundgetan, nie Feministin werden zu wollen. | |
Dörner: Ich bin auf jeden Fall Feministin. Feminismus heißt doch schlicht, | |
für die Gleichstellung der Geschlechter zu sein. | |
Bär: Ich würde nicht sagen, dass ich Feministin bin. Aber im Laufe meines | |
Lebens verstehe ich die Anliegen des Feminismus mehr. | |
Rönicke: Früher sagte ich lieber Geschlechterdemokratie, den Begriff | |
Feminismus fand ich so abgebrannt. Aber als ich das Buch "Wir Alphamädchen" | |
über den neuen Feminismus gelesen hatte, dachte ich: Ich möchte mich auch | |
in diese Tradition stellen. Auf der ganzen Welt ist das ein eingeführter | |
Begriff, nur die Deutschen haben damit ein Problem. | |
Bär: Nein, der Feminismus hat ein Problem, und zwar, um mal die PR-Sprache | |
zu verwenden, ein Wording-Problem. Der Begriff ist einfach negativ besetzt. | |
Ich glaube, dass man damit für berechtigte Vorhaben mehr Türen zuschlägt, | |
als man öffnet. | |
Rönicke: Frau Bär hält es vielleicht eher mit Thea Dorn. Die hat "Die neue | |
F-Klasse" geschrieben, ein tolles feministisches Buch. Aber sie fand auch, | |
dass man den Begriff nicht mehr retten kann. Aber wenn man sich mit der | |
Bandbreite der Bewegung mal beschäftigt hat, dann kann man das nicht mehr | |
so sehen. | |
Bär: Die Frage ist doch, wie ich in der Politik etwas verändern kann. Es | |
ist doch viel effektiver, mit neuen Begriffen die Ziele, die einem wirklich | |
wichtig sind, durchzusetzen, als seine Energie damit zu verschwenden, einen | |
hochgradig negativ besetzten Begriff retten zu wollen. | |
Welche neuen Begriffe würden Sie vorschlagen? | |
Bär: Frauenpolitik. | |
Dörner: Das ist ja so neu nicht. Wenn man sich vom Feminismus so | |
distanziert, wertet man auch die Leistungen früherer Frauengenerationen ab. | |
Das schwächt einen doch. Ich habe im Wahlkampf eine Veranstaltung | |
"Feminismus 2.0" gemacht. Erst haben viele über den Titel gestöhnt, aber | |
die Veranstaltung war gut besucht. Und hinterher hat einer der schärfsten | |
Kritiker gesagt: Wenn das Feminismus ist, dann bin ich auch Feminist. | |
Frau Bär, die Opposition will eine Quote für Aufsichtsräte, was will die | |
Union? | |
Bär: Ich bin grundsätzlich gegen solche Quoten. Frauen in verantwortlicher | |
Position werden sowieso schon als Quotenfrauen betrachtet, auch wenn es gar | |
keine Quoten gibt. Das muss man nicht noch fördern. | |
Dann kann man ja gleich welche einführen, oder? | |
Bär: Ich bin froh, dass es bei uns nie eine Quote gab. Aber ich habe auch | |
die Erfahrung gemacht, dass man manchmal mit leichtem Druck nachhelfen | |
kann. Das hat man ja bei den Vätermonaten gesehen. | |
Rönicke: Trotzdem sind die Chancen für Frauen einfach viel schlechter. Das | |
fängt schon bei der Erziehung an. Wer dazu erzogen wird, lieb und nett zu | |
sein, der kann sich später eben nicht so gut durchsetzen. Die Quote dient | |
doch auch als Arschtritt, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern. | |
Dörner: Ich glaube nicht, dass die Quote eine Bürde ist. Die alten | |
Rollenbilder sind doch einfach noch da. Und Studien zeigen doch, dass | |
Firmen davon profitieren, wenn sie Quoten haben und Vielfalt zulassen. | |
Bär: Das mit dem - wie Sie sagen - Arschtritt sehe ich anders. Es gibt nun | |
mal zwei unterschiedliche Geschlechter. Eine aktuelle wissenschaftliche | |
Studie zeigt gerade, dass Frauen, die wie Männer auftreten, eher keinen | |
Erfolg haben. Es kann nicht auf eine Gleichmacherei herauslaufen. | |
Dörner: Es geht doch nicht um Gleichmacherei! | |
Rönicke: Es geht um Stereotype. | |
Bär: Es wird die biologischen Unterschiede immer geben! | |
Rönicke: Das menschliche Gehirn ist aber sehr plastisch, die Umgebung hat | |
großen Einfluss darauf, wie männlich oder weiblich es sich entwickelt. Ich | |
will auch nichts künstlich gleich machen, aber im Moment werden wir doch | |
zwanghaft ungleich gemacht. | |
Wenn sie sich weiblich verhalten, haben Frauen keinen Erfolg. Wenn sie sich | |
männlich verhalten, auch nicht. Und nun? | |
Rönicke: Aber wenn Männer sich weiblicher verhalten, wird das positiv | |
aufgenommen. Was Frauen auch machen, sie werden auf jeden Fall abgewertet. | |
Bär: Man muss als Frau halt einfach authentisch sein und nicht der bessere | |
Mann. | |
Rönicke: Wir müssen von dem ganzen Männer- und Frauen-Klischeedenken weg. | |
Irgendwann muss man fragen: Was ist das für ein Mensch? Passt dieser Mensch | |
in unser Team? | |
Haben Sie selbst erlebt, dass Klischeefallen zuschnappen? | |
Bär: Ich bemerke eher Gedankenlosigkeit. Da werden Aufgaben untereinander | |
verteilt, und dass da keine Frau dabei ist, fällt gar nicht auf. Hinterher | |
heißt es dann, warum hat da niemand aufgepasst? | |
Dörner: Die Menschen ziehen eher Leute nach, die wie sie selbst sind. | |
Dieser unbewusste Mechanismus greift sogar bei den Grünen, obwohl wir eine | |
Quote haben. | |
Bär: Das Standing eines Alphatiers wie Joschka Fischer ist aber doch anders | |
als etwa das von Claudia Roth. Das männliche Alphatierverhalten ist in | |
jeder Fraktion da. Frauen haben zum Beispiel schon allein die leisere | |
Stimme. | |
Rönicke: Klischees sind doch dafür da, gebrochen zu werden. Man redet | |
vielleicht mit einer leiseren Stimme, aber man hat trotzdem etwas zu sagen. | |
Dann ist diese Verbindung von männlich = wichtig schon mal gekappt. | |
Dörner: Man muss es bewusst machen. Zum Beispiel an der Sprache. Darüber | |
erschließt man sich nun mal die Welt. Wenn im Sprachgebrauch immer nur die | |
Männer vorkommen, dann setzt sich das fest. Da waren wir schon mal weiter. | |
Bär: Das ist nun wirklich nicht das große Problem. Ich war da nie so | |
fanatisch, was die Begrifflichkeit betrifft. Besonders schlimm finde ich | |
das große I. Das ärgert mich total. Neulich wurde ich sogar Gästin genannt. | |
Sie akzeptieren die Verhältnisse so, wie sie sind? | |
Bär: Nein, aber es stört mich persönlich, wenn die Sprache so verhunzt | |
wird. | |
Um Klischees und Vorurteile zu erkennen und um die Ungerechtigkeiten, die | |
daraus entstehen, abzubauen, wurde die Idee vom Gender-Mainstreaming | |
erfunden. Seit 1999 ist das sogar offizielle Bundespolitik. Warum hört man | |
denn davon heute nichts mehr? | |
Bär: Auch dieser Begriff ist furchtbar, er lässt die Menschen kalt, weil | |
sie ihn nicht verstehen. Aber das Thema ist keineswegs vom Tisch. | |
Dörner: Gender-Mainstreaming ist der absolut richtige Ansatz: Welche | |
Auswirkungen hat unsere Politik eigentlich auf Männer und Frauen? Das ist | |
das Zukunftsthema. Allerdings wird Gender-Mainstreaming systematisch | |
lächerlich gemacht. Ein Wochenmagazin hat es erst kürzlich über drei Seiten | |
hinweg nur mit Lächerlichkeiten wie "geschlechtergerechte | |
Waldspaziergänge", für die Geld herausgeworfen würde, in Verbindung | |
gebracht. Das war nicht nur verzerrt, sondern sachlich auch noch falsch. | |
Die Männer sollen befürchten, ihnen würde durch die Hintertür etwas | |
weggenommen. Dabei ist es zum Beispiel in der Medizin lebensrettend, wenn | |
man beachtet, dass Frauen und Männer manchmal unterschiedliche Medikamente | |
brauchen. Im Moment wird das Gendern in den Ministerien nur simuliert. | |
Gesetze sind geschlechtsneutral formuliert. Da aber die Gesellschaft nicht | |
geschlechtsneutral ist, wurden Frauen beispielsweise durch die | |
Hartz-IV-Gesetze benachteiligt. | |
Rönicke: Vielleicht sollte die Regierung mal zum Gendertraining geschickt | |
werden. | |
Wann haben Sie persönlich denn Ihren letzten Geschlechterkonflikt erlebt? | |
Bär: Gestern, in einer Sitzung, in der darüber gesprochen wurde, dass | |
Frauen in einer konkreten Sache unterstützt werden sollten. Dann kam einer | |
dieser Männersprüche, die in solchen Situationen immer zu erwarten sind: | |
Schon wieder Frauenförderung? Wir haben doch schon eine Bundeskanzlerin. | |
Rönicke: In einem meiner letzten Blogs habe ich die Maskulistenbewegung ins | |
Visier genommen. Der Text wurde im Netz stark kommentiert: Wir werden es | |
euch Feministinnen schon zeigen, wir werden immer mächtiger. Von dieser | |
Front haben wir in nächster Zeit sicher einiges zu erwarten. | |
Dörner: Ich machs mal privat. Meine Freundinnen und ich erleben immer | |
wieder, dass auch von emanzipierten Müttern erzogene Partner und Ehemänner | |
keine Fans sind von Haushaltspflichten. Da wirken alte Rollenbilder nach | |
und wir müssen jeden Tag daran arbeiten. | |
8 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
Simone Schmollack | |
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