# taz.de -- Über das Verhältnis zwischen Berlin und der Berlinale: Schuss und… | |
> Die 60. Berlinale feiert sich, das Kino und natürlich Berlin als großes | |
> Gesamtkunstwerk. Doch wie ist das Verhältnis wirklich zwischen Berlin und | |
> dem größten Kulturereignis in der Stadt? | |
Bild: Vor dem Friedrichstadtpalast wird das Eis weggehämmert - extra für die … | |
Wenn es einen Gleichklang gibt zwischen einem Filmfestival und seinem | |
Spielort, hält wahrscheinlich Cannes am besten die Balance: Glamour und | |
Kulisse sind identisch. Höchstens L. A. und das Los Angeles Film Festival | |
kommen da noch mit. Dort ist es die Unruhe der "Independents", die Kino und | |
Stadt eint. Für Berlin und die Berlinale lässt sich das schwerer sagen, | |
selbst wenn jetzt zum 60. Geburtstag des Festivals ein Gleiches wie für | |
Cannes oder L. A. behauptet wird: "Happy Bärsday, Berlinale!", lautet das | |
Motto, das Festivalchef Dieter Kosslick ausgegeben hat. | |
"Be Berlin, be Berlinale" - es gibt in deren 60 Jahren gemeinsamer Existenz | |
Phasen von äußerster Gleichförmigkeit und gegenseitiger Widerspiegelung, | |
die sich neben dem aktuellen Kosslickschen Marketing besonders im Erlebnis | |
der Stadt auf der Leinwand finden. "Eins, Zwei, Drei", "Solo Sunny" oder | |
"Good Bye, Lenin!" zum Beispiel sind filmische Begegnungen mit den | |
spezifischen Phänomenen der Stadt, "mit ihrem nicht kopierbaren Charakter, | |
ihrer Atmosphäre und Geschichte, ihren Typen", wie der Filmhistoriker Peter | |
W. Jansen es ausdrückt. | |
Von außen betrachtet erscheint die Corporate Identity von Stadt und | |
Kinoevent in der Zeit der Berlinale nur konsequent. Hier brummt der Bär! | |
Aber welchen Einfluss auf den Standort - und umgekehrt - hat das Festival | |
wirklich? | |
Auch auf der Leinwand ist die Stadt Moloch, Betonwüste, laut und geteilt. | |
Wir kennen das ironisch-distanzierte Verhältnis der Berliner zum Festival, | |
das zehn Tage wie ein Raumschiff am Potsdamer Platz landet und der Stadt | |
seinen Stempel aufdrückt. Große Filme und Stars sind okay, die kleinen | |
Goldenen Bärchen auch. Aber dafür Straßen sperren und solch einen Zirkus | |
machen? Lange für Karten anstehen mögen die Hauptstädter ebenso wenig wie | |
Experimentalfilme im Wettbewerb. Die intellektuelle Nischenkultur des | |
"Forums" wird von den Berlinern höchstens toleriert. Als Chiffre der Stadt | |
sehen sie es nicht. Es gibt eine Hassliebe, eine Reibung zwischen Stadt und | |
Festival. Störfaktoren definieren Berlin und die Berlinale - und machen | |
vielleicht darum jedes Jahr im Februar beide so anziehend. | |
Dass sich die "Internationalen Filmfestspiele Berlin" am 6. Juni 1951 | |
gerade in der politisch konfliktbeladenen Frontstadt ansiedelten, war kein | |
Zufall. Initiiert hatte das Filmfest der amerikanische Film-Officer Oscar | |
Martay mit Vertretern des Senats und der Filmwirtschaft. Diese Allianz aus | |
Politik, Kultur und Wirtschaft versprach sich vom Filmfest einen | |
Modernisierungsimpuls für West-Berlin und ein politisches Zeichen Richtung | |
Osten. Die Berlinale als "Schaufenster der freien Welt" war ein | |
Propagandainstrument des Kalten Krieges. | |
Die Erwartungen gingen zunächst in Erfüllung. Die Berlinale zog Filme, | |
Hollywoodstars, Politiker und Zuschauer sowie die Filmindustrie an. Doch | |
während das Publikum 1951 im Steglitzer Titania-Palast Joan Fontaine als | |
"Rebecca" feierte, zerschnitt das Berlinale-Konzept zugleich die Stadt. | |
Halb Berlin blieb vom Festival ausgeschlossen. Ost-Berlin polemisierte | |
gegen Teilnehmer und Beiträge. Filme aus der DDR und den sozialistischen | |
Bruderländern fehlten bis 1974. Bis 1989 durchdrangen die ost-westlichen | |
Konflikte und Interessen das Profil des Filmfests, gegen die es sich wehren | |
musste. | |
Zwar sonnten sich Berlin und die Filmfestspiele bis 1970 in der Ansammlung | |
von Stars. Von Anfang an aber schlug dem Festival aus der Stadt heraus | |
ebenso Ablehnung und Häme entgegen. Wer meint, dass die neue visuelle und | |
erzählerische Kraft der Nouvelle Vague, des Free Cinema oder gar des neuen | |
deutschen Films ab 1962 den Wettbewerb im Zoo-Palast dominierte, der irrt. | |
Das Publikum und die Boulevardblätter fremdelten mit Innovationen. | |
Umgekehrt lief es ebenso: Bis 1968 gab es mehrfach Versuche, Berlin als | |
Festivalort zu verlassen, die Berlinale zu kürzen oder zu schließen. | |
Sicher, kein Festival der Welt kann es seinen Kritikern oder jungen Wilden | |
recht machen. Doch die Berlinale verschlief - manche sagen: ignorierte - | |
den Geist der Veränderungen in der Stadt und Gesellschaft, in der | |
realistischen Filmästhetik und bei den sozialen Themen. | |
1970 kam es wegen des Anti-Vietnamkriegs-Films "o. k." von Michael | |
Verhoeven zum Streit. Auf politische Intervention sollte der Film im | |
Wettbewerb abgesetzt werden. Die Jury trat zurück, schließlich wurde das | |
Wettbewerbsprogramm abgebrochen. Die Berlinale hatte ihren Skandal und | |
endlich die Diskussion um eine neue Ausrichtung sowie Repräsentanz des | |
künstlerischen und alternativen Films. | |
Zu Recht wird seither die Berlinale als das politischste Filmfestival | |
bezeichnet. Ungenügend wäre es, dies nur mit politischen Themen der | |
Beiträge zu begründen. Vielmehr waren es strukturelle und kulturpolitische | |
Entscheidungen, die das Festival profilierten: Neben dem "Wettbewerb" wurde | |
1971 das "Internationale Forum des jungen Films" von Ulrich Gregor in das | |
Filmfest integriert. Das junge Berlin, ein junges Publikum traf sich dort | |
mit den Filmemachern. 1974 wurde ein sowjetischer Film gezeigt. 1975 war | |
erstmals die DDR mit Frank Beyers "Jakob der Lügner" vertreten. Brandts | |
Ostpolitik hatte die Berlinale erreicht. | |
Als 1976 Wolf Donner die Leitung übernahm, erhielt diese Umstrukturierung | |
zusätzlich Schub. Donner verlegte das Festival, um dem Konkurrenten Cannes | |
aus dem Weg zu gehen, vom Juni in den Februar. Hinzu kamen neue Sektionen | |
wie das "Panorama", die "Deutsche Reihe", das "Kinderfilmfest", Werkschauen | |
und Retrospektiven. | |
Es wird vielfach behauptet, dass 2001 mit den Abschieden von Moritz de | |
Hadeln als Festivalchef und seinem Gegenspieler Ulrich Gregor vom "Forum" | |
sowie dem Umzug an den Potsdamer Platz sich Stadt und Berlinale wieder | |
fremder geworden seien. In der Kunstwelt des Marlene-Dietrich-Platzes und | |
den Multiplexkinos bespiegelten sich nur der Film, das Festival und seine | |
Akteure zur Steigerung des eigenen Glamours und Marktwertes. Das ist | |
richtig, aber darum noch nicht schlecht. Der Wandel war die notwendige | |
Antwort auf die Berlinalen der 90er-Jahre, die es versäumt hatten, die | |
Veränderung der Stadt nach 1990 wirklich zu reflektieren. | |
Tatsache ist, dass der Umzug in die Mitte einer | |
stadtentwicklungspolitischen Strategie folgte. Sie sollte Zeichen und | |
Reminiszenz sein an das alte und neue Berlin und dessen filmhistorische | |
Tradition. Tatsache ist auch, dass der Potsdamer Platz und der Impresario | |
der Berlinale, Dieter Kosslick, dem Festival Auftrieb gaben. Kosslick hat | |
das Filmfest von einer bleiernen Stimmung, Langeweile und Dogmatik befreit. | |
Für die Stadt und die Filmwirtschaft ist zudem zählbarer Gewinn | |
herausgekommen: Unter Kosslick ist das Festival zum größten | |
hauptstädtischen Kulturevent avanciert. | |
Alles gut also zum 60. Geburtstag? Weil der Berlinale-Chef sich im Programm | |
und Drumherum für alle filmischen und gesellschaftlich relevanten Bereiche | |
interessiert - Afrika, Asien, Nordpol und die Ernährungskrise inbegriffen | |
-, fehlt mittlerweile jede Abgrenzung zu anderen A-Festivals. Nicht gut | |
gemachtes Kino, ein thematisches Profil oder Konzentration, sondern alles | |
und jedes sind der Schwerpunkt. Zur Party mit 60 ist die Berlinale laut | |
Kosslick nicht nur Laufsteg für Renée Zellweger, Gérard Depardieu, Yu Nan, | |
Leonardo DiCaprio und Ben Kingsley, sondern auch "ökologisch". Da stimmt | |
was nicht. | |
Das wirft die Frage auf, ob in Zeiten der Krise, des Krieges und | |
zunehmender sozialer Konflikte, die sich im Berliner Alltag aufdrängen, ein | |
neuer Anstoß, diesmal von der Stadt, in Richtung Berlinale kommen müsste. | |
Draußen vor dem Kino laufen die Inhalte Krieg, Armut, soziale Verwerfungen, | |
Kulturkampf, Betrug - und natürlich die Liebe - längst offen spazieren. | |
"An welchem Punkt auf der inneren Landkarte des Kinos befindet sich die | |
Berlinale?", hat Andreas Kilb in der Zeit gefragt und die Kraft des | |
Widerspruchs, "des Kontrasts" beschworen, die die Berlinale immer wieder | |
auszeichnete. Wenn die Party vorbei ist, sollte man darüber wieder | |
nachdenken. Gerade die Kontraste haben Berlin und seinem Filmfest nie | |
geschadet. | |
9 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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